Sachsen-Anhalts Bildungsministerin Eva Feußner: „Wir suchen mit Headhuntern nach neuen Lehrkräften” 

    Kutusministerium Sachsen-Anhalt

    Magdeburg – Sie ist eines der neuen Gesichter am Tisch der Kultusministerkonferenz. Seit September ist Eva Feußner (58, CDU) Bildungsministerin in Sachsen-Anhalt. PROFIL traf die Lehrerin (Mathematik, Physik, Astronomie) zum Gespräch. 

    Von KAROLINA PAJDAK

    PROFIL: Ministerin Feußner, wir sind wieder im Corona-Modus in ein neues Jahr gestartet. Wird es auch 2022 ein Abitur mit situationsangepassten Erleichterungen geben? 

    Eva Feußner: Ja, das muss es geben – auch ganz unabhängig davon, wie der Januar und der Februar verlaufen. Die Schülerinnen und Schüler, die jetzt kurz vorm Abitur stehen, haben im vergangenen Jahr viel Ausfall gehabt und das, obwohl die 11. und 12. Klassen eigentlich nonstop in der Schule waren. Dieser Jahrgang braucht Bedingungen, die es möglich machen, auf die Ausfälle einzugehen.  

    PROFIL: Wie steht es denn um das Aufholen nach Corona”, wo wir doch eher wieder mitten in Corona” sind? 

    Feußner: Hier müssen wir dringend mit dem Bund Gespräche führen. Es wird uns nicht möglich sein, das Versäumte bis Ende 2022, wenn das Bundesprogramm ausläuft, aufzuholen. Es wird uns auch nicht möglich sein, die Bundesmittel auszuschöpfen, denn wir sind mit dem regulären Unterricht beschäftigt. 

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    PROFIL: Der Bund hat erhebliche finanzielle Mittel für Luftfilteranlagen zur Verfügung gestellt. Ca. 200 Mio. Euro sind noch nicht abgerufen. Woran liegt das? 

    Feußner: Das liegt vor allem daran, dass wir keine Firmen haben, die das ausführen können und dass bauliche Maßnahmen in den Schulen vor allem in den Ferien erfolgen sollten. Die Marktlage ist außerdem schwierig. Ich würde da keiner Kommune und keinem Träger einen Vorwurf machen. Das Gleiche sehen wir doch beim Digitalpakt. Dort fließen die Gelder ähnlich langsam ab aus den gleichen Gründen. 

    PROFIL: Wie wollen Sie langfristig in Sachsen-Anhalt ein Abitur auf hohem Niveau sichern?  

    Feußner: Wir halten uns strikt an die Vorgaben der KMK, auch was die Vergleichbarkeit angeht. Wir sind ein Bundesland, das zahlreiche Aufgaben aus dem IQB-Pool zieht. In Mathematik bedienen wir uns ausschließlich aus diesen Aufgaben. Ich finde es schade, dass das noch nicht alle Länder machen. Wir haben außerdem fünf Prüfungsfächer in unserer Oberstufenvorordnung. Wir belegen in der Oberstufe durchgehend Geschichte als Grundkurs und legen einen großen Fokus auf Naturwissenschaften. Ich freue mich, dass wir auch in den Naturwissenschaften bald aus dem IQB-Pool schöpfen können. 

    Eva Feußner (58, CDU) ist seit vergangenem September Bildungsministerin von Sachsen-Anhalt. Davor war die gebürtige Naumburgerin drei Jahre lang Staatssekretärin im selben Ministerium, Credit: Ministerium für Bildung des Landes Sachsen-Anhalt

    PROFIL: Die KMK ermöglicht es Abiturienten, durch sämtliche Basiskurse in Deutsch und Mathematik in der Oberstufe „durchzufallen“. Der DPhV kritisiert das scharf. Welche Lösungsmöglichkeiten sehen Sie?  

    Feußner: Es wird regelmäßig über die gymnasiale Oberstufe im Schulausschuss und in der Amtschefkonferenz diskutiert. Natürlich ist auch das ein Thema. Wenn ich allein entscheiden könnte, würde ich das nicht zulassen. Aber wir müssen uns hier abstimmen. Ich möchte nicht, dass unsere Schülerinnen und Schüler gegenüber anderen schlechter dastehen. 

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    PROFIL: Der DPhV spricht sich dafür aus, dass in allen Bundesländern möglichst viele Oberstufenkurse in die Abiturwertung eingebracht werden. Wie positionieren Sie sich in dieser Frage?  

    Feußner: Bei uns werden mindestens 36 Kurshalbjahresergebnisse eingebracht. Wir haben das bei der letzten Änderung der Oberstufenverordnung sehr intensiv diskutiert und finden diese Regelung gut. 

    PROFIL: In Sachsen-Anhalt findet sich nicht einmal für jede zweite Lehrerstelle ein Bewerber. Wie wollen Sie die Unterrichtsversorgung kurz- und mittelfristig absichern? Wie ist der langfristige Plan, um diesem Problem Herr zu werden? 

    Eva Feußner: Wir haben eine Werbekampagne geschaltet, um sehr intensiv um neue Lehrkräfte – auch Seiteneinsteiger – zu werben. Wir erhöhen die Anzahl der Studienplätze in Magdeburg und Halle. Insgesamt haben wir jetzt 1000 Plätze zur Verfügung, theoretisch bräuchten wir noch mehr, aber wir können noch nicht einmal die 1000 Plätze besetzen. 

    PROFIL: Sie haben eine sehr hohe Abbrecherquote. 

    Feußner: Ja, das ist leider so. Die Universitäten haben sich verpflichtet, die Abbrecherquote nicht über 25 Prozent gehen zu lassen. Jetzt sind wir leider bei 50 Prozent. Das ist viel, das liegt wahrscheinlich auch an der pandemischen Lage. 

    PROFIL: Ist denn Lehrerin und Lehrer kein attraktiver Beruf? 

    Feußner: Das ist ein toller Beruf! Ich war sehr gerne Lehrerin, aber es ist auch eine Berufung. Die Außenwelt sieht oft nicht, was alles noch vor und nach dem Unterricht zu tun ist. Wir ziehen alle Register, um neue Lehrkräfte zu finden. Wir suchen sogar mit Headhuntern nach neuen Lehrkräften. Sie suchen innerhalb Deutschlands und im europäischen Ausland nach Seiteneinsteigern und Lehrkräften.  

    PROFIL: Wieviele Interessenten haben denn die Headhunter schon gefunden? 

    Feußner: Mit den Headhuntern konnten wir 34 Lehrkräfte gewinnen. 2021 haben wir insgesamt mehr als 340 Seiteneinsteiger eingestellt. Wir freuen uns über jeden einzelnen von ihnen. Wir versuchen auch die Lehrerinnen und Lehrer, die kurz vor dem Ruhestand stehen, anzusprechen. Wir probieren alles. Der Lehrkräftemangel an den Gymnasien ist nicht unser großes Sorgenkind, dort haben wir derzeit eine Unterrichtsversorgung von 98 Prozent. Unser Hauptproblem in der Unterrichtsversorgung sind die Sekundar- und Förderschulen. 

    PROFIL: Sorgen Sie sich um die Unterrichtsversorgung am Gymnasium in absehbarer Zeit? 

    Feußner: Ja. Wir diskutieren derzeit ein Arbeitszeitkonto für Lehrkräfte, um künftigen Ausfällen vorzubeugen. Das steht auch in unserem Koalitionsvertrag. Wir haben noch bis etwa Mitte der 20er Jahre einen leichten Anstieg der Schülerzahlen, dann stagniert die Zahl und sinkt schließlich Anfang der 30er. Wir müssen also noch zehn bis 15 Jahre überbrücken. 

    PROFIL: Sie haben das Referendariat auf 16 Monate verkürzt. Ist das der richtige Weg, um Lehrkräfte schnell in die Schulen zu bringen? Der DPhV setzt sich weiterhin für 24 Monate Referendariat ein. 

    Feußner: Wenn wir genügend Lehrkräfte hätten, würden wir generell 24 Monate für das Referendariat anbieten. Für uns ist die Verkürzung natürlich eine Maßnahme, um die jungen Lehrerinnen und Lehrer schneller in den Schuldienst zu bringen. Wer möchte, kann in Sachsen-Anhalt aber auch freiwillig auf 24 Monate verlängern.  

    PROFIL: Der Philologenverband Sachsen-Anhalt fordert seit Jahren die Rückkehr zur verbindlichen Schullaufbahnerklärung am Ende der Klasse 4. Wird es unter ihrer Leitung Initiativen in diese Richtung geben? 

    Feußner: Einer unserer Koalitionspartner würde das nicht mittragen. Wir haben aber vereinbart, dass wir die Übergänge zwischen Grundschule und Gymnasium mit einer Expertenkommission näher betrachten wollen. Wir müssen da etwas ändern. 50 Prozent der Grundschülerinnen und Grundschüler wechseln zum Gymnasium, aber nur 35 Prozent legen das Abitur ab. Das geht nicht. 

    PROFIL: Für die Gymnasien wird eine zusätzliche Prüfung zum Abschluss der Klasse 10 angedacht, damit ein voller Sekundarschulabschuss gewährleistet ist, sollte es nicht zum Abitur kommen. Die Klasse 10 hat aber am Gymnasium eine andere Funktion, denn sie soll auf die Qualifikationsstufe vorbereiten und das Gelingen darin sichern. Es kann also keine intensive Vorbereitung auf eine Abschlussprüfung so wie in den Sekundarschulen geben. Wie stehen sie zu dieser Ungleichheit und daneben zur extremen Belastung der Kollegien, die dann neben dem Abitur auch noch weitere Prüfungen abnehmen müssen? 

    Eva Feußner: Wir haben im Koalitionsvertrag keine Prüfung vereinbart, aber wir müssen hier Ungerechtigkeiten ausgleichen. Realschülerinnen und -schüler müssen eine Prüfung ablegen, um ihren erweiterten Realschulabschluss zu erhalten und ein Gymnasiast bekommt das mit Versetzung in die Klasse 11 automatisch. Die Vorstellung ist, dass die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten eventuell eine höher zu gewichtende Klausur schreiben, um sich in die Situation eines Realschülers zu versetzen. Es geht nicht darum, dass die Lehrkräfte die Schülerinnen und Schüler auf eine zentrale Prüfung vorbereiten müssen. Auch hier soll sich eine Expertenkommission einbringen.  

    PROFIL: Der Koalitionsvertrag der Regierung von Sachsen-Anhalt deutet vage die Aufhebung der Fachlichkeit im naturwissenschaftlichen Unterricht an, z.B. durch Zusammenlegung von Fächern. Weder in der Sekundarschule und vor allem nicht im Gymnasium ist das für den Philologenverband Sachsen-Anhalt vertretbar. Wie ist Ihre Meinung dazu? 

    Feußner: Für dieses Konzept spricht, dass die naturwissenschaftlichen Fächer viele gemeinsame, komplexe Zusammenhänge aus verschiedenen Perspektiven untersuchen können. Auf dieser Basis soll eine Spezialisierung in den einzelnen Naturwissenschaften ab Klasse 9 erfolgen. Dafür müssen allerdings erst die curricularen Voraussetzungen geschaffen sowie Fortbildungsangebote bereitgestellt werden. 

    PROFIL: Was er warten Sie von der neuen Bundesbildungsministerin? 

    Feußner: Ich erwarte, dass die Ministerin die Länder bei den aufgelegten Bundesprogrammen sukzessiv begleitet. Ich freue mich auf eine enge Zusammenarbeit, die natürlich die Kultushoheit der Länder zu berücksichtigen hat.  

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