Bayerns Kultusminister Prof. Dr. Michael Piazolo: „Unsere Lehrkräfte leisten weit mehr als Wissensvermittlung”

    Kultusminister Michael Piazolo, Foto: Andreas Gebert

    Bayern Kultusminister Prof. Dr. Michael Piazolo (Freie Wähler): 

    „Unsere Lehrkräfte leisten weit mehr als reine Wissensvermittlung”
     

    Von Karolina Pajdak 

    München – Er ist der einzige Kultusminister der Freien Wähler: Bayerns Bildungschef Prof. Dr. Michael Piazolo (62). Im Interview mit PROFIL spricht der studierte Jurist und Politikwissenschaftler über Corona-Maßnahmen an den Schulen im Freistaat, eine mögliche Noteninflation und seine Wünsche für die Zukunft. 

    PROFIL: In einigen Bundesländern gilt auch an den Schulen die 3G-Regel, in Bayern ist das nicht der Fall. Warum gehört diese Maßnahme nicht zu Ihrem Sicherheitsnetz? 

    Michael Piazolo: Ich bin davon überzeugt: Kaum ein Bereich der Gesellschaft ist so gut geschützt wie die Schulen. Wir haben in Bayern für die Schulen ein gut funktionierendes Sicherheitsnetz mit regelmäßigen Tests, mit steigenden Impfquoten, mit Lüftungskonzepten und einem Hygieneplan. Im Unterricht haben wir 3G. Grundsätzlich unterliegt der Zugang zu Behörden in Bayern aber gemäß der Entscheidung der Staatsregierung nicht der 3G-Regel. Deshalb gibt es auch bei den Schulen für Elternabende oder sonstige Unterstützungs-, Informations- und Beratungsangebote keine 3G-Regel. Bei schulischen Veranstaltungen, die eher Kultur- oder Freizeitcharakter haben, ist das etwas anderes: Hier müssen schulfremde Personen sehr wohl geimpft, genesen oder getestet sein, wenn sie teilnehmen möchten.  

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    PROFIL: In Bayern wurde flächendeckend eine Sommerschule angeboten, um in den Sommerferien durch Corona entstandene Lücken aufzuholen. Wie sieht Ihre Bilanz aus? Werden die Maßnahmen evaluiert? 

    Piazolo: Wir haben unser Förderprogramm „gemeinsam.Brücken.bauen“ bereits im letzten Schuljahr gestartet, um etwaigen Lernrückständen frühzeitig zu begegnen. Das Programm ist mit insgesamt 210 Mio. Euro ausgestattet. Wir müssen unseren Schülerinnen und Schülern die Zeit geben, die sie individuell zum Aufholen benötigen. Deswegen haben wir das Programm bewusst langfristig angelegt – wir setzen es in den Schuljahren 2021/22 und 2022/23 fort. Die Sommerschule 2021 wurde in Bayern gut angenommen. Sie ist ein wichtiger Baustein in unserem Förderprogramm „gemeinsam.Brücken.bauen“, aber bei Weitem nicht der einzige: Der Schwerpunkt des Programms liegt in den kommenden beiden Schuljahren auf der individuellen Förderung von Schülerinnen und Schülern im Regelunterricht sowie auf zusätzlichen Brückenkursen.  

    Wichtiger als eine Evaluation im Nachgang ist mir: Jede Schülerin und jeder Schüler soll ein passgenaues und individuelles Förderangebot erhalten. Was jeder einzelne braucht, können unsere Lehrkräfte an den Schulen vor Ort am besten einschätzen. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Lehrkräfte hier Hervorragendes leisten. 

    PROFIL: Das diesjährige Abitur in Bayern hat historisch gute Ergebnisse hervorgebracht. Fürchten Sie eine Noteninflation, die zur Abwertung des bayerischen Abiturs führt?  

    Piazolo: Der Abiturjahrgang 2021 und die Lehrkräfte waren seit März 2020 bis in die letzten Abiturprüfungen hinein mit einer ausgesprochen herausfordernden Pandemielage konfrontiert. Wir haben – abgestimmt zwischen allen Ländern – zum Ausgleich dieser Beeinträchtigungen die erforderlichen Maßnahmen getroffen. Wichtig war uns dabei, dass die Qualität des Abiturs auf dem gleichen Niveau bleibt wie in den Vorjahren. Dabei ist es den Lehrkräften trotz der sehr herausfordernden Rahmenbedingungen gelungen, die Schülerinnen und Schüler ganz hervorragend auf dem Weg zum Abitur zu unterstützen.  

    Inzwischen liegen für das Abitur 2021 deutschlandweit Ergebnisse vor, die etwa ein bis zwei Zehntel besser sind als die Ergebnisse vorheriger Abiturjahrgänge. Dies sind keine übergroßen Abweichungen zu den Vorjahren. Über diesen Erfolg beim Abitur 2021 in einer beispiellosen Krisensituation können wir uns alle freuen. Wir werden weiterhin unser Augenmerk auf ein anspruchsvolles Abitur sowie faire und vergleichbare Rahmenbedingungen in der Abiturprüfung richten – in Bayern und in der länderübergreifenden Abstimmung. 

    PROFIL: Die KMK hat festgelegt, dass nur zwischen 32 und 40 Oberstufenkurse in die Bewertung einfließen. Ist das Ihrer Meinung nach genug? 

    Piazolo: Die Schülerinnen und Schüler bringen in Bayern 40 Halbjahresleistungen in die Gesamtqualifikation ein. In der aktuellen Oberstufe ebenso wie auch in der künftigen. Es fließen alle Halbjahresleistungen in den fünf Abiturprüfungsfächern, darunter Deutsch und Mathematik in die Abiturnote ein. Zudem werden die Fremdsprachen und Naturwissenschaften in der Einbringung besonders berücksichtigt. Es können aber auch noch weitere Fächer in die Abiturnote einfließen, wie z.B. Vokalensemble oder Theater und Film. Damit spiegelt das Abiturzeugnis einerseits eine breite Allgemeinbildung wider, die das Ziel der gymnasialen Bildung ist, gleichzeitig aber auch eine gewisse individuelle Profilbildung. Wir werden alles dafür tun, den Qualitätsanspruch für eine allgemeine Studierfähigkeit, die mit der Allgemeinen Hochschulreife attestiert wird, auch künftig deutschlandweit hoch zu halten. 

    PROFIL: Wie kann das Abitur anspruchsvoll sein (und bleiben), wenn zum Beispiel alle Kurse in Mathematik und Deutsch in der gesamten Oberstufe mit unter fünf Punkten – also mangelhaft – abgeschlossen und eingebracht werden dürfen? 

    Piazolo: Die Fächer Deutsch und Mathematik als Kernkompetenzfächer sind zentral für die Studierfähigkeit und den Studienerfolg. Sie sind und bleiben daher auch wesentliche Strukturelemente in der Oberstufe des Gymnasiums und in der Abiturprüfung. Wichtig ist mir: In Bayern muss auch die Abiturprüfung grundsätzlich in den Fächern Deutsch und Mathematik abgelegt werden. Das Abitur ist nur bestanden, wenn entweder in Deutsch oder Mathematik mindestens ausreichende Leistungen erzielt worden sind. Vier Punkte sind unterpunktet, gelten aber als ausreichende Leistung auf der Notenskala. Diese Ergebnisse bilden zusammen mit den Leistungen in den 5 Abiturprüfungsfächern die Abiturgesamtnote. Wir sorgen so für einen hohen Stellenwert der beiden Kernkompetenzfächer beim Erwerb der Allgemeinen Hochschulreife. 

    PROFIL: Die Lehrerbedarfsprognose Ihres Kultusministeriums prognostiziert für das Jahr 2025 durch den zusätzlichen Jahrgang des neuen G9 einen Mangel an Lehrkräften am Gymnasium in Bayern. Was tun Sie, um diesen vorausschauend abzufedern? 

    Piazolo: Ich freue mich, dass in Bayern das G9 wieder eingeführt worden ist. Dafür habe ich mich auch persönlich sehr eingesetzt. Ein höherer Lehrkräftebedarf wird vor allem dann entstehen, wenn der erste Jahrgang in das 13. Schuljahr eintritt und deshalb die Schülerzahl deutlich ansteigt. Dies ist zum Schuljahr 2025/2026 der Fall. Das haben wir fest im Blick und wir haben bereits reagiert: Zunächst schaffen wir die im Vergleich zum G8 erforderlichen Lehrerstellen für das neue G9. Zum Teil sind diese Stellen jetzt schon den Schulen zur Verfügung gestellt worden – z. B. für zusätzliche Lehrerkapazitäten an der Schnittstelle G8/G9 oder für Sammelklassen für das Abitur 2025. Diese Kapazitäten werden 2025 freigesetzt und gehen direkt ins neue G9. So viele Lehrkräfte wie heute gab es in Bayern noch nie.  

    PROFIL: Bayern bekennt sich traditionell zu einem gegliederten Schulsystem und einem Übertrittszeugnis, das über die weitere Schullaufbahn entscheidet. Wird es dabei bleiben?  

    Piazolo: Ja. Wir sind von unserem differenzierten und durchlässigen Schulwesen überzeugt. So stellen wir sicher, dass alle jungen Menschen bei uns den für sie geeigneten Bildungsabschluss erreichen. Die verschiedenen Schularten in Bayern bereiten jeden Einzelnen erfolgreich auf Beruf und Studium vor und ermöglichen es, alle Schülerinnen und Schüler nach ihren individuellen Begabungen und Interessen zu fördern. Darin stellt der Übertritt ein wichtiges Element dar. Eltern werden frühzeitig und kontinuierlich beraten. Ein Wechsel zwischen den Schularten ist möglich, die Entscheidung für eine Schulart ist damit nicht endgültig. 

    PROFIL: Wenn Sie einen Wunsch für Ihr bayerisches Gymnasium frei hätten, was würden Sie sich wünschen?  

    Piazolo: Unsere Lehrkräfte leisten weit mehr als reine Wissensvermittlung. Engagiert und flexibel stellen sie sich tagtäglich auf die Bedürfnisse der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein und bereiten sie auf eine erfolgreiche Zukunft vor. Wie anspruchsvoll diese Aufgabe ist, wird in der Öffentlichkeit nicht immer wahrgenommen. Mein Wunsch ist deshalb, dass der Lehrerberuf in der Gesellschaft in all seinen Facetten gesehen wird. Es freut mich persönlich sehr, dass wir so viele engagierte Lehrkräfte haben, die diesen anspruchsvollen, aber tollen Beruf so professionell ausüben. 

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