Sachsens Kultusminister Piwarz: „Ich gehe davon aus, dass wir in diesem Schuljahr keine Schulen schließen” 

     

    Christian Piwarz (46, CDU) ist studierter Jurist und seit Dezember 2017 Kultusminister in Sachsen (© Ronald Bonss)

    Von Karolina Pajdak 

    PROFIL: Minister Piwarz, in Sachsen beginnen gerade die Herbstferien. Haben Sie Sorge, dass die Corona-Einschränkungen nach den Ferien wieder verstärkt werden müssen?   

    Christian Piwarz: Wir haben uns in Sachsen ganz bewusst frühzeitig dafür entschieden, uns von der Inzidenzbindung zu lösen. Die Grenzwerte aus den Erfahrungen der letzten drei Corona-Wellen ermöglichen es uns, die Einrichtungen länger offenzuhalten. Natürlich wird die vierte Welle an Fahrt aufnehmen, aber die Erwartungshaltung ist schon – insbesondere durch das Impfen -, dass es nicht mehr so schlimm wird, wie es schon einmal war. Ich gehe verhalten optimistisch davon aus, dass es uns gelingt, die Schulen und Kitas offenzuhalten – auch bei steigenden Fallzahlen. Ich gehe davon aus, dass es keinen weiteren Lockdown mehr geben wird.    

    PROFIL: Haben Sie Erkenntnisse dazu, wie die Impfmöglichkeiten bei Kindern ab zwölf Jahren angenommen werden?   

    Piwarz: Wir haben nur die allgemeinen bundesweiten Zahlen zur Verfügung, wo Sachsen ja nicht nur bei den Jugendlichen, sondern auch insgesamt das Schlusslicht bildet. Das gibt mir sehr zu denken.   

    PROFIL: Würden Sie den Schülerinnen und Schülern eine Impfung empfehlen?   

    Piwarz: Das ist nicht Aufgabe eines Kultusministers. Wir haben das getan, was aus unserer Sicht notwendig ist, wir haben über die Impfmöglichkeiten und –risiken aufgeklärt. Wir haben auch Impfangebote an den Schulen unterbreitet. Wir müssen aber hier auf die Vernunft und die Einsicht jedes Einzelnen setzen.    

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    PROFIL: Müssen Schülerinnen und Schüler, die sich nicht impfen lassen wollen, mit anderen Einschränkungen rechnen als geimpfte Klassenkameraden?   

    Piwarz: Ich halte das für sehr schwierig durchsetzbar. Gehen wir einmal vom schlimmsten Fall aus: Schulen bleiben nur noch für Geimpfte oder Genesene offen. Wir haben eine Schulbesuchspflicht. Das ist also überhaupt nicht durchsetzbar. Wir haben es an den Schulen nicht so einfach wie im Restaurant. Für mich gilt vielmehr: Je mehr Erwachsene sich impfen lassen, desto eher können wir diese Pandemie endlich hinter uns lassen.   

    PROFIL: Wie gut haben die Schülerinnen und Schüler in Sachsen bereits „nach Corona” aufgeholt?   

    Piwarz: Wir konnten nach dem zweiten Lockdown im Frühjahr unsere Schulen zum Glück lange öffnen und wir hatten späte Sommerferien. Deswegen konnten wir viel von dem, was wir im neuen Schuljahr machen wollten, schon im alten absolvieren oder anstoßen, zum Beispiel die Lernstandserhebungen. Die Schulen haben uns auch zurückgemeldet, dass viele Lücken bereits aufgeholt wurden, aber klar ist: Es muss hier individuell gearbeitet werden und es braucht einen ruhigen Blick des Pädagogen auf den Schüler, um zu erkennen, was genau notwendig ist. Wir brauchen passgenaue Angebote, auch mit den Mitteln des Bundes. Bei diesem Thema muss Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen. Die Erwartungshaltung, binnen eines Vierteljahres muss alles erledigt sein, funktioniert hier nicht. Wir brauchen dieses Schuljahr, um zu wissen, wo wir stehen. Manche Schüler brauchen gar keine Unterstützung, andere sehr viel.   

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    PROFIL: Wie sieht Sachsens Ausstiegsplan für Corona-Schutzmaßnahmen – Masken und Tests – aus?   

    Piwarz: Maskenpflicht gilt bei uns erst ab einer Inzidenz von 35. Sollten die Zahlen wieder sinken, gibt es an unseren Schulen nur eine allgemeine Empfehlung zum Tragen der Maske, aber keine Pflicht mehr. Ab einer Inzidenz von zehn aufwärts führen wir zweimal pro Woche Tests durch. Wir müssen deutschlandweit die Diskussion führen, ab wann wir die Maßnahmen hinter uns lassen, aber das können wir erst tun, wenn die 4. Welle abebbt, nicht wenn sie gerade Fahrt aufnimmt.  
        

    PROFIL: Wie wollen Sie das hohe Niveau und Ansehen des sächsischen Abiturs bewahren?   

    Piwarz: Wir haben in Sachsen die Latte mit dem Leistungsversprechen und den Leistungserwartungen hoch gelegt. Aber das Abitur ist unsere höchste schulische Ausbildungsstufe und es ist angemessen, dass wir da unsere Leistungserwartung klar artikulieren und deutlich machen: Wir bereiten hier nicht nur auf das weitere Leben vor, sondern wir bringen die Schülerinnen und Schüler dazu, ein Hochschulstudium nicht nur zu beginnen, sondern auch erfolgreich abzuschließen. Wir werden den Fächerkanon weiterhin voll umfänglich anbieten, werden dort auch keine inhaltlichen Abstriche machen. Wir wünschen uns sehr, dass wir uns in der deutschlandweiten Diskussion über eine bessere Vergleichbarkeit des Abiturs nicht auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, sondern, dass wir uns darauf verständigen, deutschlandweit ein möglichst hohes Niveau anzustreben. Wir haben gerade zwei Abiturjahrgänge unter Coronabedingungen erlebt. Diese beiden Jahrgänge haben sehr gute Ergebnisse erzielt, wahrscheinlich auch aufgrund der Sonderbestimmungen. Wir haben zwei Jahrgänge mit dem besten Notendurchschnitt und der höchsten Bestehensquote. Das macht mich einerseits zufrieden, auf der anderen Seite macht es mir natürlich auch Sorgen, weil ich mich frage, ob das Anspruchsniveau nicht hoch genug gewesen ist. Aus unserer Sicht sind diese Zahlen fast schon zu gut.  

    Es ist nicht wichtig, dass unsere Statistiken gut aussehen, sondern dass die Schülerinnen und Schüler im Anschluss ein Studium gut bewältigen können. Wir sind hier in der Pflicht und machen klar: Wer in Sachsen Abitur macht, kann darauf richtig stolz sein.   

       

    PROFIL: Die KMK und auch Sachsen ermöglichen es den Abiturienten, durch sämtliche Basiskurse in Deutsch und Mathematik in der Gymnasialen Oberstufe “durchzufallen”. Mancherorts ist es sogar möglich, mit 0 Punkten Prüfungsleistung das Abitur zu bekommen. Der DPhV kritisiert das.    

    Piwarz: Das Abitur muss den Absolventen die allgemeine Studierfähigkeit bescheinigen. Gegenwärtig ist es so, dass bis zu 20% der einzubringenden Kurshalbjahresergebnisse unter 5 Punkten liegen dürfen. Das heißt tatsächlich, dass bei 40 einzubringenden Kursen 8 mal die Schulnote 5 auf dem Zeugnis stehen darf. Ob Abiturienten, die alle Kurshalbjahre der gymnasialen Oberstufe diese Schulnote 5 in Mathematik oder ihrer Muttersprache Deutsch erzielt haben, dann erfolgreich ein Studium absolvieren können, ist in der Tat zu hinterfragen. Von daher verstehe ich die Kritik des Philologenverbandes. Da diese Regelungen aus der „Vereinbarung zur gymnasialen Oberstufe“, also einem KMK-Beschluss resultieren, ist eine Änderung nur im Rahmen der Kultusministerkonferenz möglich. Sachsen kann das nicht im Alleingang entscheiden. Denn sind wir in der Pflicht, vergleichbare Regelungen in allen Ländern zu haben. Ich könnte mir eine Regelung vorstellen, nach der in einem belegten Fach in mindestens einem oder zwei Kurshalbjahresergebnissen mindestens 5 Punkte erreicht werden müssen.  

    PROFIL: Der DPhV spricht sich dafür aus, dass in allen Bundesländern möglichst viele Oberstufenkurse in die Abiturwertung eingebracht werden. Wie sehen die sächsischen Erfahrungen mit der Einbringungsverpflichtung aus?    

    Piwarz: Wir haben früher 52 Kurshalbjahresergebnisse eingebracht, jetzt haben wir uns mit der KMK auf 40 geeinigt. Das hatte zur Folge, dass sich die sächsischen Schüler um 0,1 in der Note verbessert haben. Das kann man gut finden, man kann aber auch fragen, ob das etwas mit der Qualität zu tun hat. Wir sind auf die 40 Kurse eingeschwenkt, weil ich sächsische Schülerinnen und Schüler gegenüber anderen natürlich nicht benachteiligen möchte. Wir müssen generell darüber diskutieren, welchen Leistungs- und Qualitätsanspruch wir mit einem einheitlicheren Abitur verbinden. Das geht weit über eine KMK-Debatte hinaus. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Diskussion.   

    PROFIL: Halten Sie es weiterhin für notwendig, coronabedingte Erleichterungen für die Abiturprüfungen vorzusehen?   

    Piwarz: Man muss zwischen denen unterscheiden, die in diesem Schuljahr ihren Abschluss machen und alle Lockdowns in der gymnasialen Oberstufe erlebt haben. Allein schon aus Gründen der Gleichberechtigung muss dieser Jahrgang ähnlich faire Bedingungen wie die beiden Jahrgänge zuvor haben. Entscheidend ist jetzt, wie wir durch dieses Schuljahr kommen. Ich gehe davon aus, dass wir in diesem Schuljahr keine Schulen schließen. Wenn das der Fall ist, dann brauchen die dann folgenden Jahrgänge wohl keine Corona-Vergünstigungen mehr. Im Moment ist der Zeitpunkt für eine endgültige Entscheidung noch zu früh. Aber Vergünstigungen dürfen nicht bestehen bleiben, wenn die Gründe dafür nicht mehr bestehen.   

    PROFIL: Wie gedenken Sie die Lehrkräfte in Sachsen nach den Corona-Anstrengungen zu entlasten?   

    Piwarz: Wir versuchen permanent Wege zu finden, die Lehrkräfte zu entlasten. Ich nehme einerseits wahr, wie die Heterogenität der Schüler immer mehr steigt, wie ein immer größerer Mehrbedarf an Bildung und Betreuung entsteht und wie auf der anderen Seite immer noch händeringend Lehrkräfte gesucht werden. In dieser Situation schaffe ich es nicht, die bestehenden Lehrkräfte im Stundendeputat zu erleichtern. Schlicht und ergreifend, weil ich sie brauche. Wir sind gerade dabei, unterstützende Systeme wie die Schulassistenz auch mit Mitteln des Bundes weiter auszubauen, um so an den Schulen wenigstens eine indirekte Entlastung zu schaffen.   

    PROFIL: Stichwort Lehrkräftemangel: Sachsen hatte schon vor einigen Jahren damit begonnen, Lehrkräfte aus Polen und Tschechien anzuwerben. Läuft das noch?   

    Piwarz: Wir sind weiterhin dabei, Lehrkräfte, auch aus Polen und Tschechien, dort zu integrieren, wo das möglich ist. Wir stehen da aber vor verschiedenen Hürden. Die polnische Lehrerausbildung ist schwieriger in unser System zu integrieren, sie müssen bei uns anders eingruppiert werden, es läuft sprachlich nicht so einfach wie gedacht. In der tschechischen Grenzregion, wo wir hoffen, vor allem für die sorbische Minderheit neue Lehrkräfte zu generieren, ist das Problem, dass die tschechische Republik selbst händeringend Lehrkräfte sucht und mit Argusaugen auf uns schaut, wenn wir hier Abwerbeversuche starten. Klar ist: Das funktioniert mal im Einzelfall, aber nicht in Größenordnungen.   

    PROFIL: Wird Sachsen die Verbeamtung beibehalten?   

    Piwarz: Wir debattieren gerade darüber, wie es weitergehen soll. Wir haben unsere Verbeamtungsentscheidung von 2018 mit einer Frist von fünf Jahren versehen. Jetzt sind wir dabei, einen Bericht über die Entwicklung für den Landtag zu erstellen. Dann muss diskutiert werden, ob wir das nach 2023 so fortsetzen wollen. Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube: Wir haben keine andere Wahl als an dieser Verbeamtungsreglung festzuhalten, denn sie bringt gute Ergebnisse. Wir können in Sachsen ein wirklich konkurrenzfähiges Angebot an Lehrerinnen und Lehrer unterbreiten. Früher blieben nur 60 der Referendare zum Vorbereitungsdienst im Freistaat Sachsen, weil anderswo die Verbeamtung lockte, heute sind es 80 Prozent. Ich respektiere aber natürlich, dass es eine Debatte geben muss und am Ende der Landtag entscheidet.    

    PROFIL: Woran liegt es, dass noch immer nicht alle Lehrkräfte ein digitales Endgerät vom Dienstherrn zur Verfügung gestellt bekommen haben.   

    Piwarz: Wir haben im Juli unser Förderprogramm scharf geschaltet. Mittlerweile sind die Gelder verfügbar, aber die Lieferfristen der Geräte sind sehr lang, so dass die Schulträger da jetzt in einer langen Warteschlange mit den Kunden aus anderen Bundesländern stehen.   

    PROFIL: Was erwarten Sie von der nächsten Bundesbildungsministerin oder dem nächsten -minister?   

    Piwarz: Mir ist wichtig, dass wir eine wirkliche Partnerschaft zwischen Bund und Ländern hinbekommen, dass wir wegkommen von dem Bild, in dem der Bund Geld ins Schaufenster stellt, an dem wir in den Ländern nicht vorbeikommen, dann aber mit den weiterführenden Kosten sitzen gelassen werden. Stichwort Digitalpakt. Ich erwarte eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit, aber auch ein klares Bekenntnis zum Föderalismus und zur Bildungshoheit der Länder.  

      

      

      

      

      

     

     

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