Astrid-Sabine Busse: Was haben Sie sich als neue KMK-Präsidentin vorgenommen?

    Berlins Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse

    Astrid-Sabine Busse (SPD) ist seit Dezember 2021 Senatorin für Bildung, Jugend und Familie in Berlin. Zuvor leitete sie fast 30 Jahre lang eine Grundschule im Berliner Stadtteil Neukölln, Credit: Lena Giovanazzi

    Berlins Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse 

    Was haben Sie sich als neue KMK-Präsidentin vorgenommen? 

    Von Karolina Pajdak 

    Berlin – Sie kommt nicht aus der Politik, nicht aus der Verwaltung, sondern dorther, wo die wenigsten Kultusministerinnen und -minister herkommen: aus der Schule. Fast 30 Jahre lang hat Astrid-Sabine Busse (65, SPD) eine Grundschule im Berliner Bezirk Neukölln geleitet. Jetzt ist sie nicht nur Bildungssenatorin, sondern seit Jahresbeginn auch turnusmäßig die Präsidentin der Kultusministerkonferenz. Im Interview mit PROFIL sprach Busse über die Ziele ihrer Präsidentschaft, die Probleme im Berliner Bildungsbetrieb und über den 12. Februar: der Tag, an dem ihre Amtszeit plötzlich enden könnte. 

    PROFIL: Senatorin Busse, Sie haben gerade die KMK-Präsidentschaft übernommen. Ihr Schwerpunktthema lautet „Qualitative Weiterentwicklung der Ganztagsschule in der Primarstufe“. Was konkret haben Sie sich vorgenommen? 

    Astrid-Sabine Busse: Ein gutes Ganztagsangebot, das Kindern Spaß macht, fördert sowohl die sozialen wie auch die kognitiven Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler. Davon bin ich überzeugt. Ich persönlich bin ein großer Fan der gebundenen Ganztagsschule. Eine solche Schule habe ich fast 30 Jahre lang geleitet und entwickelt. Als junge Lehrerin an einer Förderschule habe ich mich gefragt: Wo schickst Du Deine Schüler denn mittags hin, wenn die Schule aus ist? Seitdem steckt meine ganze berufliche Liebe und Überzeugung in diesem Projekt. Insgesamt sind die Ganztagsstrukturen in den vergangenen Jahren in ganz Deutschland ausgebaut worden. Jetzt muss es um die Qualität gehen: Vor- und Nachbereitungszeit für Erzieher beispielsweise, wie wir sie in Berlin schon vorsehen, oder auch die verstärkte Kooperation mit externen Partnern. Hier müssen wir etwas tun, zumal wir ab 2026 den gesetzlichen Anspruch auf die Ganztagsschule bundesgesetzlich verankert haben. Wir werden über die verschiedenen Ausformungen des Ganztags reden müssen. In unserer Berliner KMK-Präsidentschaft bereiten wir auch einen Kinderkongress vor, damit die Schülerinnen und Schüler ihre Vorstellungen eines guten Ganztagsangebots selbst einbringen können. Denn die Akzeptanz der Zielgruppe ist entscheidend für den Erfolg des Angebots. 

    Hier geht’s zum Interview mit Thüringens Bildungsminister Helmut Holter!

    PROFIL: Berlin hat keinen guten Ruf, was Bildung angeht. Die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends 2022 sind alarmierend. Was muss sich ändern? 

    Busse: Es sagt sich immer so schön, dass Berlin bildungsmäßig hinten liegt. Aber Berlin ist nicht Bad Kissingen. Wir haben fast 4 Millionen Einwohner, und die sind sehr heterogen. Zu viele Kinder wachsen in Berlin in Armut auf, viele haben eine andere Herkunftssprache als die deutsche. Um dieser besonderen Ausgangssituation Rechnung zu tragen, hatte Berlin bereits vor meiner Amtszeit eine Expertenkommission zur Qualitätssicherung unter dem renommierten Bildungsforscher Prof. Köller eingerichtet. Heute befinden sich viele Empfehlungen der Kommission in der Umsetzung wie die Gründung eines eigenen Landesinstituts für Aus-, Fort- und Weiterbildung.  

    PROFIL: Berlin ist endlich zur Verbeamtung von Lehrkräften zurückgekehrt. Ist das die Lösung für den Lehrkräftemangel in der Hauptstadt? 

    Busse: Bedauerlicherweise war Berlin das einzige Bundesland, das 18 Jahre lang nicht verbeamtet hat. Bis zum Sommer 2022, da haben wir wieder damit begonnen. Man kann zur Verbeamtung ideologisch stehen, wie man will, aber ich sehe in der Rückkehr zur Verbeamtung den entscheidenden Ausgleich eines Wettbewerbsnachteils, der nun einmal bestand. Wir haben damit ein ganz entscheidendes Moment geschaffen, um zu verhindern, dass gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer aus Berlin abwandern. Die Rückkehr zur Verbeamtung ist ein wichtiger Baustein, aber er kann das demographische Problem des Fachkräftemangels nicht allein beheben. Gleichzeitig ist die Verbeamtung eine große Wertschätzung unseren Lehrkräften gegenüber. 

    PROFIL: Die KMK hatte in der Ländervereinbarung festgehalten, dass 2023 Standards für Quer- und Seiteneinsteiger festgelegt und festgehalten werden. Wird das unter Ihrer Präsidentschaft passieren? 

    Busse: Es gibt innerhalb der KMK Ausschüsse und Arbeitsgruppen, die sich damit beschäftigen. Ich möchte gerne, dass es in diesem Punkt bald gleiche Maßstäbe gibt, aber die Prozesse sind komplex. 

    PROFIL: Das heißt, es kann sein, dass es diese Standards 2023 immer noch nicht gibt? 

    Busse: Das würde ich jetzt nicht so sagen, aber garantieren kann ich es Ihnen auch nicht. Ich bin Optimistin und bereit für den Austausch mit den anderen Bundesländern. 

    PROFIL: In Brandenburg lässt Britta Ernst künftig Bachelor-Absolventen unterrichten und ebnet ihnen den Weg in die Verbeamtung. Ist das ein Weg, den Sie sich für Berlin auch vorstellen können? 

    Busse: Berlin geht diesen Weg nicht. Ich weiß nicht, was in fünf Jahren sein wird, aber jetzt gehen wir diesen Weg nicht. Aber es sollte hier keine Denkverbote geben. Mir ist es prinzipiell wichtig, die Unterrichtsqualität abzusichern. 

    PROFIL: Wenn Brandenburg die Latte so niedrig legt, wer soll dann noch ein grundständiges Lehramtsstudium anstreben? 

    Busse: Wir brauchen derzeit und auch in den nächsten Jahren die Quer- und Seiteneinsteiger, die die Schulen ja auch mit ihrer Lebens- und Berufserfahrung bereichern. Hier sollten wir auf stringente Qualifizierung setzen, wie wir sie in Berlin umsetzen. Grundsätzlich bekenne ich mich zum grundständigen Lehramtsstudium. 

    PROFIL: Warum lohnt es sich – aus Ihrer ganz persönlichen Sicht –, Lehramt zu studieren und zu unterrichten? 

    Busse: Weil der Lehrerberuf ein wunderbarer Beruf ist! Ich kann dort so viel Zufriedenheit und Glücksgefühle erzeugen und zurückbekommen. Nirgendwo bekomme ich ein so schnelles und ehrliches Feedback wie von Schülern. Natürlich ist ein Montag mit drei Regenpausen nicht so toll, aber es wird auch immer wieder Dienstag.  

    PROFIL: Im Dezember wurde das Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) zu Perspektiven für die Grundschulen veröffentlicht. Sind die Bildungsstandards an unseren Grundschulen zu niedrig?  

    Busse: Wir müssen unseren Fokus wieder auf die Kernkompetenzen legen. Das wissen wir und da sind wir dran. In Berlin haben wir zum Beispiel in die ersten vier Grundschulklassen jeweils eine Stunde mehr Deutsch gegeben. Wir haben eigens einen Qualitätsbeirat eingerichtet mit Bildungsforscherinnen und -forschern, Schulpraktikerinnen und -praktikern sowie leitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus unserer Senatsverwaltung, der sich mit Fragen der Unterrichtsqualität beschäftigt. Hier ist die frühe Bildung ausdrücklich einbezogen. 

    PROFIL: Muss an den Grundschulen wieder mehr Wert auf Leistung gelegt werden? 

    Busse: Ich finde, die Grundschulkinder leisten doch etwas. Es gibt Lernzielkontrollen, die das belegen.  

    PROFIL: Sie haben als Leiterin einer Grundschule in Neukölln einiges erlebt – Schreiben nach Gehör, JÜL (Jahrgangsübergreifendes Lernen, Anm. d. Red.) – gab es im Nachhinein etwas, was Sie richtig falsch fanden? 

    Busse: Vieles verdrängt und vergisst man. Aber JüL muss man differenziert sehen. Für einige war das ein gutes Prinzip, aber vor allem in Bezirken, wo viele Kinder die Unterstützung von zu Hause nicht hatten, war das nicht so gut. Für meine Schule in Nord-Neukölln war das nicht das Beste. 

    PROFIL: Besonders dramatisch gestaltet sich in Berlin die Situation beim Übergang auf das Gymnasium. An manchen Gymnasien bekommen selbst Kinder mit einem Notendurchschnitt von 1,2 keinen Platz mehr. Wie wollen Sie diese Situation in den Griff bekommen?  

    Busse: Jede Schülerin und jeder Schüler, der aufs Gymnasium möchte, hat einen Platz bekommen. Wer nicht auf das Gymnasium seiner Wahl gekommen ist, hat einen Platz an einem anderen Gymnasium erhalten. In einzelnen Fällen müssen Schüler hier leider etwas längere Fahrtwege in Kauf nehmen. Aber über 90 Prozent der Jugendlichen haben einen Platz an einer der drei angegebenen Wunschschulen erhalten. Und ja, die Schulplatzsituation insbesondere in einigen Bezirken ist angespannt, deshalb gibt es auch die Berliner Schulbauoffensive. 

    PROFIL: Stichwort marode Schulgebäude: Sie haben viele neue und neusanierte Schulen eröffnet. Trotzdem befinden sich viele alte Gebäude in marodem Zustand.  

    Busse: Es liegt in erster Linie an den Bezirken, die sich kümmern müssen. Hier gibt es im berlinweiten Vergleich große Unterschiede zwischen den Bezirken. Mit der Berliner Schulbauoffensive läuft derzeit das größte Investitionsvorhaben Berlins in dieser Legislaturperiode, ich bin fast jede Woche bei Grundsteinlegungen, Richtfesten oder Eröffnungen von Schulgebäuden. 

    PROFIL: Der DPhV spricht sich dafür aus, dass in allen Bundesländern möglichst viele Oberstufenkurse in die Abiturwertung eingebracht werden. Wie viele Kurse müssen in Berlin zurzeit eingebracht werden? Wofür setzen Sie sich bei der KMK ein? 

    Busse: In Berlin müssen derzeit 32 Kurse eingebracht werden bei verbindlicher Doppelgewichtung der Leistungskurse. Und natürlich wollen wir hier eine Vergleichbarkeit zwischen allen 16 Bundesländern ermöglichen. Daher steht Berlin aktiv und kompromissbereit hinter den politischen Vorhaben und befürwortet eine ländergemeinsam einheitliche Einbring- und Belegverpflichtung. 

    PROFIL: Wie kann das Abitur anspruchsvoll sein (und bleiben), wenn zum Beispiel alle Kurse in Mathematik und Deutsch in der gesamten Oberstufe mit unter fünf Punkten – also mangelhaft – abgeschlossen und eingebracht werden dürfen? 

    Busse: Wer durchgehend weniger als fünf Punkte in Mathe und Deutsch bekommt, kann kein Abitur erhalten. Damit beschäftigt sich aber in der KMK eine Arbeitsgruppe, von der ich glaube, dass sie zu guten Ergebnissen kommen wird. Das Abitur muss anspruchsvoll bleiben. Ich möchte an dieser Stelle aber auch betonen, dass unsere Schülerinnen und Schüler in den vergangenen Jahren nicht nur mit anspruchsvollen Prüfungsformaten konfrontiert wurden, sondern auch mit enormen pandemiebedingten Einschränkungen und Herausforderungen. Leistung ist daher immer auch im Kontext zu sehen, in dem sie erbracht wird. Und ich habe Hochachtung vor allen Abiturientinnen und Abiturienten der letzten Jahre. Übrigens auch vor allen Menschen, die sie dabei begleitet haben. 

      

    PROFIL: Am 12. Februar wird die Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin wiederholt. Wie sehen Sie diesem Tag entgegen? 

    Busse: Ich werde bis dahin die Hände nicht in den Schoß legen. Ich bin gerne Bildungssenatorin und ich möchte das auch bleiben. Wir haben viel zu tun – auch in der KMK-Präsidentschaft. Unser Schwerpunktthema ist die qualitative Weiterentwicklung der Ganztagsgrundschule. Hier ist Berlin im bundesweiten Vergleich schon ganz vorne mit dabei. 

      

       

      

     

     

    Nach oben