Kann man an einer Schule keine Karriere machen, Minister Holter?

    Thüringens Bildungsminister, Minister Holter, im Interview 

    Kann man an einer Schule keine Karriere machen, Minister Holter? 

    Von Karolina Pajdak 

    Erfurt – Er ist seit mehr als fünf Jahren Minister für Bildung, Jugend und Sport im Freistaat Thüringen. Dabei hat Helmut Holter (69, Die Linke) einst Betontechnologie in Moskau studiert, war aktiv in der DDR-Regierungspartei SED engagiert und leitete von 2002 bis 2006 in Mecklenburg-Vorpommern das Ministerium für Arbeit, Bau und Landesentwicklung. Mit PROFIL sprach Holter über fehlende Lehrkräfte im Freistaat, den Einsatz von Gymnasiallehrerinnen und -lehrern an anderen Schularten sowie Karriere im Lehrerzimmer. 

    PROFIL: Minister Holter, in Thüringen ist der Lehrkräftemangel groß. Auch an Gymnasien gibt es immer weniger Bewerberinnen und Bewerber für offene Stellen. Wie wollen Sie junge Lehrkräfte künftig in Thüringen halten oder nach Thüringen locken? 

    Helmut Holter: Wir müssen in Thüringen – wie in anderen Ländern auch – das ausgleichen, was in der Vergangenheit versäumt wurde. Es fehlen quasi zwei Generationen Lehrkräfte. Wir haben verschiedene Maßnahmen eingeleitet: Alle Lehrerinnen und Lehrer steigen mit A13 ein. Wir haben eine Zulage für Bedarfsschulen, Bedarfsregionen und Bedarfsfächer eingerichtet. Die ersten Stellen dafür sind ausgeschrieben. Wir müssen aber auch die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Schularten verbessern. 

    PROFIL: Das heißt, Sie wollen das Beamtenrecht verändern? 

    Holter: Wenn ein Gymnasialschullehrer oder eine Gymnasialschullehrerin an einer Regelschule tätig wird, dann muss gewährleistet sein, dass er oder sie im höheren Dienst verbleiben und sich auch entsprechend entwickeln kann. 

    PROFIL: Das heißt, die Gymnasiallehrkräfte steigen mit A13Z ein – und: Wer konkret bekommt die Zulage von 400 Euro? 

    Holter: Sie geht an Lehrkräfte, die in Bedarfsregionen gehen. Dazu gehören alle ländlichen Regionen Thüringens – also alle Kreise außer Erfurt, Jena und Weimar und den direkt angrenzenden Landkreisen. Sie geht aber auch an Lehrkräfte, die an Bedarfsschulen gehen, das sind vor allem Regelschulen, Gemeinschaftsschulen und Berufsschulen. Die Zulage geht ebenfalls an Lehrkräfte, die in Bedarfsfächern – in der Regel sind das Mintfächer – unterrichten. Das können jedoch auch Deutsch oder Fremdsprachen sein, die nicht überall abgesichert sind. Zwei dieser drei Kriterien – Bedarfsschulart, Bedarfsregion, Bedarfsfach – müssen erfüllt sein, so dass auch eine Gymnasiumstelle dazuzählen kann. Denn wir haben inzwischen auch an den Gymnasien Probleme, alle Fächer abzusichern.  

    PROFIL: Stichwort Besoldungsstufen. In den meisten Fällen scheiden die Lehrkräfte mit der Besoldungsstufe aus dem Schuldienst aus, mit der sie eingestiegen sind. Das kritisieren wir. Kann man an einer Schule keine Karriere machen? 

    Holter: Bei uns fangen alle Lehrerinnen und Lehrer inzwischen mit A13 an. Die Karriereentwicklung im Sinne einer funktionslosen Beförderung gibt es bei uns nicht. Aufsteigen kann nur, wer eine Funktion übernimmt. Ich finde, die Diskussion, die der Philologenverband aufgebracht hat, aber wichtig und richtig. Nur Schulleiterin oder Oberstufenleiter zu werden, ist zu wenig, deshalb werden wir die Karriereplanung von Lehrkräften wieder auf die Tagesordnung nehmen. Das alles hat aber auch etwas mit dem Landeshaushalt zu tun.  

    PROFIL: An den Gymnasien in Ihrem Bundesland gibt es zunehmend Stundenkürzungen und Stundenausfall. Welche Maßnahmen planen Sie, um dennoch die 265 Wochenstunden-Vorgabe zu erfüllen? 

    Holter: Diese Vorgabe wird bei uns erfüllt. Es kommt natürlich zu Ausfällen, auch an Gymnasien, weil wir nicht nur an Grundschulen, Regelschulen und Gemeinschaftsschulen zu wenige Lehrerinnen und Lehrer haben, sondern auch teilweise an den Gymnasien. Mir geht es darum, dass sich die Gymnasien gegenseitig unterstützen.  

    PROFIL: Ein Beispiel, Minister Holter? 

    Holter: Wir bringen in Gera gerade alle vier Gymnasien zusammen, damit mögliche Kooperationen besprochen werden können. An einem Gymnasium kann gerade kein Chemieunterricht stattfinden, weil die Lehrkraft fehlt. Also könnte die eine Klasse in der anderen Schule übergangsweise unterrichtet werden. Außerdem wollen wir gesetzlich absichern, dass wir verstärkt auf hybride Formate setzen oder dass im Blockformat, also epochal unterrichtet wird. 

    PROFIL: “Verstärkt auf hybride Formate setzen” heißt, dass beispielsweise eine Klasse, die gerade keinen Chemieunterricht hat, in eine andere Klasse, wo Präsenz-Unterricht stattfindet, zugeschaltet wird? 

    Holter: Ja, zum Beispiel. Es geht hier um solidarische Hilfe. Hybrider Unterricht soll auch nicht alleiniger Unterricht sein, sondern wir müssen gewährleisten, dass darüber hinaus auch ein Fachlehrer an die Schule kommt, wo gerade keiner da ist. Präsenzunterricht ist und bleibt die wichtigste Unterrichtsform. Der Gesetzespassus zum hybriden Unterricht wird jetzt eingebracht und ist eine Initiative der Koalitionsfraktionen. Wenn es gelingt, dann wird es zum Schuljahr 2023/24 erstmals angewandt. Das heißt aber nicht, dass wir nicht jetzt auch schon hybriden Unterricht anbieten. Die technischen Voraussetzungen müssen aber gegeben sein. 

    PROFIL: In wie vielen Schulen in Thüringen ist denn der Breitbandausbau so, dass ein digitaler Unterricht so funktionieren kann, wie Sie ihn wollen? 

    Holter: 75 Prozent aller Schulen sind bereits an schnelles Internet angeschlossen. Teilweise müssen da aber die Leitungen noch schneller werden. Am Rest arbeitet das Digitalisierungsministerium mit Hochdruck. 

    PROFIL: Sie ordnen Gymnasiallehrkräfte ab, um an Regelschulen, Gesamtschulen und Gemeinschaftsschulen zu unterrichten. Wie sichern Sie die Abiturientinnen und Abiturienten ab, die sich auf ihre Prüfungen vorbereiten? 

    Holter: Ich bin den Gymnasiallehrerinnen und -lehrern sehr dankbar, dass sie bereit sind, auch an anderen Schularten zu unterrichten. Wir versichern den Abschlussklassen, das haben wir auch in den Corona-Zeiten gehalten, dass dort gut abgesicherter Unterricht stattfindet. Das Wort des Freistaates Thüringen steht: Bei uns geht kein Abiturient unvorbereitet ins Abitur!  

    PROFIL: Der DPhV spricht sich dafür aus, dass in allen Bundesländern möglichst viele Oberstufenkurse in die Abiturwertung eingebracht werden. Wie viele Kurse müssen in Thüringen zurzeit eingebracht werden? Wofür setzen Sie sich bei der KMK ein? 

    Holter: Wir bringen elf Kurse/Fächer ein, dazu kommt ein Seminarfach, in dem die Schülerinnen und Schüler eine Facharbeit schreiben, die sie auch verteidigen. Damit kommen sie auf 44 Halbjahresergebnisse, wovon sie vier wieder abwählen können, davon ausgenommen sind Deutsch und Mathematik sowie die Prüfungsfächer und die Fächer im sogenannten erhöhten Anforderungsniveau. Mit 40 Halbjahresergebnissen stehen wir auch im Vergleich mit den anderen Ländern gut da. 

    PROFIL: Wie wichtig ist Ihnen Begabtenförderung, Minister Holter? Was tun Sie dafür? 

    Holter: Begabtenförderung hat in Thüringen einen hohen Stellenwert. Wir haben fünf Spezialgymnasien – drei Sportgymnasien, ein Musik- und ein Sprachengymnasium. Die Ergebnisse in Wettbewerben und Vergleichen können sich sehen lassen. 

    PROFIL: Wann gibt es einen verlässlichen Einsatz von Schulverwaltungsassistenten an Thüringens Schulen? 

    Holter: Wir starten jetzt mit zwei Modellprojekten – einmal im Kyffhäuserkreis und einmal im Landkreis Schmalkalden-Meiningen, und probieren dort verschiedene Optionen aus. Eine Option ist, eine Verwaltungsassistentin an einer Schule mit rund 1000 Schülerinnen und Schülern einzusetzen, eine andere, einen Assistenten für fünf verschiedenen Schulen bereitzustellen. Wir wollen hier schnell Erfahrungen sammeln und dann diese Möglichkeit breiter ausrollen. Wir haben aber in der anstehenden Novelle des Schulgesetzes auch festgehalten, dass es über die administrative Unterstützung hinaus auch pädagogische Assistenzen geben soll. An 112 Schulen geht es jetzt schon los. Für eine Verstetigung soll auch das gesetzlich verankert werden. So werden Lehrerinnen und Lehrer entlastet.  

    PROFIL: Diese pädagogischen Assistenten sollen dann auch Unterricht übernehmen? 

    Holter: Nein, sie sollen Schülerinnen und Schülern helfen, mit Alltagsproblemen oder schulischen Problemen klarzukommen. Sie helfen bei den Hausaufgaben oder geben Nachhilfe und unterstützen im Unterricht. 

    PROFIL: Wann entlasten Sie die Lehrkräfte durch professionelle IT-Administratoren? 

    Holter: Für die IT-Administration ist in Thüringen der Schulträger zuständig. Hier gibt es noch erheblichen Nachholbedarf. Es gibt aber auch Schulträger, die das schon ganz vorbildlich machen, zum Beispiel indem vor Unterrichtsbeginn morgens alle Schulen getestet und upgedatet werden, damit klar ist, dass am Tag auch alle Technik funktioniert. In anderen Landkreisen gibt es sogenannte kommunale Medienzentren. Wo es noch ruckelt in der Zusammenarbeit an den Schulen, wo es noch nicht funktioniert, ist es leider weiterhin oft der Mathe- oder Informatiklehrer, der helfen muss. 

    PROFIL: Zuletzt eine Frage an Sie als Sportminister und Linken-Politiker: Verfolgen Sie die Fußball-WM in Katar?  

    Holter: Ich ganz persönlich boykottierte die WM in Katar, weil ich es für falsch halte, dass eine solche Veranstaltung in einem Land stattfindet, das viele Grundrechte nicht gewährleistet, vor allem im Zusammenhang mit der Vorbereitung auf die WM.  

    PROFIL: Minister Holter, wir danken für das Gespräch! 

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