Lehrkräfte an bayerischen Gymnasien und FOSBOS wünschen sich verstärkte analoge Inhalte und Methoden statt einer Dominanz des digitalen Lernens – zu diesem Ergebnis kommt eine bpv-Umfrage unter seinen Mitgliedern. Angesichts des hohen Ablenkungspotenzials digitaler Endgeräte sollte deren Nutzung erst im Verlauf der Mittelstufe angebahnt werden. Die Mehrheit der 3.500 Teilnehmer sieht zudem Handlungsbedarf bei den Regeln zur privaten Handynutzung an den Schulen. Zudem bedarf es für die Arbeit mit KI als Unterrichts-Tool einer bayernweit nutzbaren, datenschutzkonformen Anwendung.
• 89 Prozent der befragten Lehrkräfte sprechen sich für verstärktes analoges Lernen statt allumfassender Digitalisierung aus
• Alarmierend ist der vermehrte Einsatz digitaler Endgeräte in der Mittelstufe (91 Prozent) in Kombination mit hohen Werten beim Ablenkungspotenzial (83 Prozent)
• Eine flächendeckende Ausstattung der Schülerinnen und Schüler mit eigenen digitalen Endgeräten sollte daher erst in der Mittelstufe angestrebt werden
• Mehr als die Hälfte der Befragten wünscht sich eine Nachjustierung bei den Regeln zur privaten Handynutzung an Schulen
• 42 Prozent der Befragten nutzen KI-Tools wie ChatGPT im beruflichen Kontext – 54 Prozent wünschen sich ein datenschutzkonformes und rechtssicheres KI-Tool in der BayernCloud Schule
Eine deutliche Mehrheit der Lehrkräfte an Gymnasien und FOSBOS in Bayern drückt beim Thema Digitalisierung auf die Bremse – so das Ergebnis der Halbjahresumfrage des Bayerischen Philologenverbands unter seinen aktiven Mitgliedern. 89 Prozent der befragten Lehrkräfte bewerteten es demnach als erfolgsversprechender, dem Beispiel von Ländern wie Schweden insofern zu folgen, dass wieder mehr auf analoges Lernen gesetzt wird, anstatt einen Weg des allumfassenden, digitalen Lernens zu gehen. Und das ist keine „Generationenfrage“: Auch die 20- bis 29-Jährigen (83 Prozent) und die 30- bis 39-Jährigen (86 Prozent) sprechen sich klar dafür aus, das analoge Lernen nicht aus den Augen zu verlieren. „In den Ergebnissen unserer Umfrage drückt sich das Unbehagen der Kolleginnen und Kollegen angesichts einer überbordenden Digitalisierung und der klare Wunsch nach analogem Lernen aus. Ein Weg der allumfassenden Digitalisierung, bei dem schon in der Grundschule massiv mit digitalen Schulbüchern und Lehrmitteln gearbeitet wird, kommt für uns nicht infrage. Wir sollten aus den Fehlern, die andere Länder bereits begangen und auch teilweise korrigiert haben, lernen und klüger vorgehen. Für uns stehen die Kinder und Jugendlichen in ihrem Entwicklungsprozess im Mittelpunkt“, erklärt bpv-Vorsitzender Michael Schwägerl.
Diese Ergebnisse widersprechen jedoch nicht der flächendeckenden Ausstattung der Schülerinnen und Schüler mit digitalen Endgeräten, wie sie in Bayern bis 2028 vorgesehen ist. Dies soll jedoch erst in der Mittelstufe und nicht bereits ab der fünften Klasse erfolgen. So zeigen Umfrage-Ergebnisse, dass in der Mittelstufe im Vergleich zur Unterstufe ein deutlicher Anstieg beim Einsatz digitaler Endgeräte zu Unterrichtszwecken zu verzeichnen ist – 91 Prozent nutzen diese in der Mittelstufe regelmäßig (51 Prozent) oder ab und zu (40 Prozent), in der Unterstufe lediglich 36 Prozent. Alarmierend sind dabei die hohen Werte beim Ablenkungspotenzial.
In der Mittelstufe schätzen die befragten Lehrkräfte das „sehr starke“ und „starke“ Ablenkungspotenzial sogar etwas höher ein als in der Unterstufe. „Es bedarf daher in der Mittelstufe auch beim Einsatz digitaler Endgeräte eines geschärften Blickes. Angesichts des hohen Ablenkungspotenzials ist hier die Frage nach der pädagogischen Sinnhaftigkeit vor dem Einsatz besonders sorgfältig zu prüfen, verbunden mit klaren Regeln“, folgert der bpv-Vorsitzende, und resümiert weiter: „In der Unterstufe dagegen, wenn es um das Erlernen grundlegender Kompetenzen geht, sollten digitale Endgeräte nur sehr behutsam und punktuell eingesetzt werden. In dieser Entwicklungsphase hilft die Arbeit ohne einen Bildschirm den Kindern dabei, den Fokus aufrechtzuerhalten und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Für die Anschaffung digitaler Endgeräte bieten sich in dieser Altersgruppe daher vor allem Pool-Lösungen wie zum Beispiel Tablet-Koffer an.”
Wenn digitale Endgeräte im Unterricht genutzt werden, dann müssen Lehrkräfte vollumfänglich Zugriff darauf haben, um das Ablenkungspotenzial zu minimieren und einen gewinnbringenden Einsatz zu garantieren. Dass derzeit noch vielerorts aus Mangel an Alternativen private Geräte zu Unterrichtszwecken eingesetzt werden, bestätigt auch eine deutliche Mehrheit der Befragten: Bei 82 Prozent kommen private Tablets zum Einsatz, zudem werden bei 69 Prozent private Handys für Unterrichtszwecke genutzt. „In diesem Sinne begrüßen wir prinzipiell – in Form einer sukzessiven und zielführenden Einführung ab der Mittelstufe – die geplante Vollausstattung. Durch eine staatliche Ausstattung werden die geeigneten Rahmenbedingungen geschaffen, um digitale Geräte qualitätssteigernd im Unterricht einsetzen zu können“, betont Schwägerl. Durch mehr schuleigene Geräte wäre es auch möglich, die Regelungen zur privaten Handynutzung an den Schulen anzupassen, die diese seit 2022 in Bayern selbst aufstellen dürfen.
Die bpv-Umfrage zeigt, dass an dieser Stelle eine Nachjustierung erforderlich ist. So sind für weniger als die Hälfte der befragten Lehrkräfte die Regeln zur privaten Handynutzung an ihrer Schule gelungen, 24 Prozent wünschen sich eine Verschärfung der schuleigenen Regeln, 28 Prozent sprechen sich für eine bayernweite Regelung aus. „Seit wir an unserer Schule die Regeln zur privaten Handynutzung verschärft haben, gehen die Schülerinnen und Schüler deutlich maßvoller und zurückhaltender mit den Handys um“, berichtet Prisca Hagel, Lehrerin für Englisch und Italienisch am Holbein-Gymnasium Augsburg.
Digitale Medien haben enormen Einfluss auf unsere Lebenswelt und auch die Schulen müssen dieser Entwicklung – mit Maß und Verstand – Rechnung tragen. Dazu zählen die rasanten Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz und generativen Sprachmodelle, die in Medienkonzepte miteinfließen müssen. 42 Prozent der Lehrkräfte gaben in der Umfrage an, aktuell ChatGPT oder ähnliche KI-Tools für berufliche Zwecke einzusetzen. Dreiviertel davon nutzen diese zur Unterrichtsvorbereitung, lediglich 34 Prozent wenden sie auch im Unterricht mit den Schülerinnen und Schülern an.
Den befragten Lehrkräften fehlt es im schulischen Umgang mit KI-Systemen neben der Hilfe beim Erkennen von KI-generierten Texten (78 Prozent) insbesondere an einem datenschutzkonformen, kostenfreien Zugang zu KI-Systemen (66 Prozent) und Vorgaben zur rechtskonformen Nutzung (64 Prozent). Das bestätigt auch Marco Korn, Schulleiter am Friedrich-Koenig-Gymnasium Würzburg, das am Schulversuch „KI@school“ teilnimmt: „Datenschutz und Datensicherheit werden an den Schulen aufgrund des Alters unserer Schülerinnen und Schüler und ihres Schutzstatus stark in den Fokus genommen, weshalb viele Lehrkräfte im Moment noch eher zurückhaltend sind, vor allem im Einsatz in den Klassen.“
Relevant wird dieser Aspekt insbesondere für das sogenannte W-Seminar in der Oberstufe, denn dort weist der LehrplanPLUS die Anwendung von Künstlicher Intelligenz sogar als Kompetenzerwartung aus. In diesem Zusammenhang halten 54 Prozent der Befragten die Bereitstellung eines datenschutzkonformen und rechtssicheren KI-Tools in der BayernCloud Schule für notwendig. Korn ergänzt: „Gerade weiterführende Schulen wie Gymnasien und FOSBOS sind aufgerufen, sich mit den Chancen und Risiken von KI und Large Language Models (LLMs) auseinanderzusetzen. Die praktische Anwendung im Unterricht sowie der KI-Einsatz zur Vorbereitung dürfen sich dabei nicht in einer datenschutzrechtlichen Grauzone abspielen.“