„Wir bilden keinen Einheitslehrer aus”

    von Karolina Pajdak 

    München – Sie ist erst wenige Monate im Amt, doch Bayerns Kultusministerin Anna Stolz (41, Freie Wähler) ist längst mitten im Geschehen. Im Interview mit PROFIL erklärt sie, wie sie den Lehrkraftberuf in Bayern attraktiver machen möchte, was sich an den Grundschulen ändern muss und was sie aus PISA gelernt hat.  

    PROFIL: Ministerin Stolz, Sie waren gerade mal einen Monat im Amt, als die PISA-Studie einschlug. Was haben Sie gedacht, als Sie von diesen Ergebnissen erfahren haben? 

    Anna Stolz (41, Freie Wähler) ist seit November 2023 Kultusministerin in Bayern, zuvor war sie als Staatssekretärin im Ministerium tätig. Bis 2018 war die Juristin Bürgermeisterin der unterfränkischen Stadt Arnstein. Credit: StMUK

    Anna Stolz: Mein oberstes Ziel ist es, die Kinder stark zu machen. Ich bin der festen Überzeugung: Lesen, Schreiben, Rechnen sind das Wichtigste, was unsere Schülerinnen und Schüler können müssen. Die PISA-Ergebnisse haben uns nochmal deutlich vor Augen geführt, dass es an der Zeit ist, jetzt zu handeln. Deswegen haben wir uns auch gleich zusammen mit der Schulfamilie auf den Weg gemacht und ein umfangreiches Maßnahmenpaket für die Grundschule geschnürt. 

    PROFIL: Was ist aus Ihrer Sicht am notwendigsten? 

    Stolz: Auch in den Gesprächen mit der Schulfamilie kamen wir zum übereinstimmenden Ergebnis, dass die Stärkung der Basiskompetenzen der Schlüssel zu mehr Bildungserfolg ist. Dafür müssen wir uns wieder auf das Wesentliche fokussieren. Herzstück des Maßnahmenpakets ist deshalb eine Neuausrichtung der Stundentafel in der Grundschule. Im Mittelpunkt stehen dabei sechs Stunden mehr Zeit für Lesen, Schreiben und Rechnen. Durch eine gleichzeitige Flexibilisierung der Stundentafel schaffen wir auch mehr Spielräume und Freiheiten für die einzelne Schule, Förderschwerpunkte selbst zu setzen. So kann vor Ort eigenverantwortlich entschieden werden, wo die richtigen Hebel sitzen. Zum Maßnahmenpaket gehört auch, dass alle Kinder noch zielgerichteter individuell gefördert werden. Deshalb werden verbindliche Lesescreenings eingeführt, um den Lehrkräften noch besser Aufschluss über Lesefähigkeiten zu geben und eine genauere Diagnose zu ermöglichen. Zielgerichtete Lehrerfortbildungen, Unterrichtsmaterialien und die Stärkung der frühkindlichen Sprachförderung werden das Paket noch ergänzen und abrunden. 

    PROFIL: Eines der drängendsten Probleme ist und bleibt der Lehrkräftemangel. Was tun Sie, damit gerade die vielen Bestandslehrkräfte im System bleiben?  

    Stolz: Ein dauerhaft attraktiver Lehrerberuf ist unser klares Ziel. Dabei ist mir wichtig, dass der Fokus wieder darauf gelegt wird, was diesen wunderbaren Beruf ausmacht: Kinder auf ihrem Lebensweg pädagogisch zu begleiten und dabei stark für die Zukunft zu machen.  

    Aktuell gibt es mehr als 100.000 Lehrerinnen und Lehrer an unseren staatlichen Schulen. Sie sind echte Profis und leisten herausragende Arbeit für ihre Schülerinnen und Schüler. Um sie dabei noch stärker zu unterstützen, sorgen wir für Entlastungen und haben ein großes Entbürokratisierungspaket auf den Weg gebracht. Dabei geht es beispielsweise um unübersichtliche Formulare, umständliche Abstimmungsschleifen oder unnötige Dokumentationspflichten. Das alles kommt auf den Prüfstand, denn nicht alles, was einmal eingeführt wurde, muss auch heute noch unbedingt nötig sein. 

    PROFIL: Der DPhV spricht sich gegen ein Arbeitszeitmodell wie in Hamburg aus, dass zu bundesweit der höchsten Gruppe an Teilzeitkehrkräften führt. Unsere Stichworte sind Entlastung, Altersermäßigung, Entbürokratisierung – wir wünschen uns, dass Lehrkräfte endlich wieder Zeit für guten Unterricht haben und nicht noch Klassenfahrten abrechnen müssen. Haben Sie dazu Ideen? 

    Stolz: Wie bereits erwähnt, haben wir bereits eine große Entbürokratisierungsaktion gestartet. Dahinter steht ein Konzept, das transparent ist und bei dem es aufs Mitmachen ankommt. Gemeinsam mit Schulaufsichten, Schulämtern und Schulleitungen sammeln wir Ideen, durch die wir für Entlastung an den Schulen sorgen werden. Das Ziel: Bürokratische Hürden schnell und einfach beseitigen. Gleichzeitig werden unsere Nachrichten an die Schulen, die sog. Kultusministeriellen Schreiben (KMS), künftig noch kürzer und verständlicher formuliert werden. Das ist die schlanke und effiziente Schule von Morgen: Der Fokus liegt auf der Arbeit im Klassenzimmer. Dort, wo das Herz einer jeden Schule schlägt. 

    PROFIL: Sie wollen an den Grundschulen eine Stunde mehr Deutsch einführen. Braucht es nicht aber – angesichts der zunehmenden Zahl an Kindern mit nicht-deutschem Sprachhintergrund – auch einen neuen, durchgehenden Ansatz von der KiTa über die Grundschule bis in die weiterführenden Schulen? 

    Stolz: Wir verfolgen in Bayern eine ganzheitliche Strategie, die sich aus vielen Bausteinen zusammensetzt. Ebenfalls bereits im nächsten Schuljahr starten wir beispielsweise mit den verbindlichen Sprachstandserhebungen in der Grundschule und werden zukünftig an allen Schularten deutlich mehr finanzielle und personelle Ressourcen in die Sprachförderung stecken. Diese Mittel sind sehr gut angelegt, denn alle Kinder, die in unsere Schulen gehen, sind bayerische Kinder. Sie alle haben ein Recht auf exzellente Fördermöglichkeiten. 

    PROFIL: Die SWK fordert, die Grundschule sowie die ersten Jahre der Sek I frei von Large Language Models wie z. B. ChatGPT zu halten. Steht das nicht im Gegensatz zur bayerischen Stoßrichtung, alle Schülerinnen und Schüler mit digitalen Endgeräten zu versorgen? 

    Bayerns Ministerin für Unterricht und Kultus beim Besuch des Helene-Habermann-Gymnasiums in München, dem einzigen jüdischen Gymnasium in Bayern. Credit: Tobias Hase/StMUK

    Stolz: Für uns ist der digitale Wandel allgegenwärtig. Er verändert die Art, wie wir lernen, kommunizieren, wie wir arbeiten, wie wir unser Leben gestalten und auf diese digitale Welt müssen wir unsere Kinder und Jugendlichen vorbereiten. Deswegen verfolgen wir das Ziel der 1:1-Ausstattung, jedoch nur für die weiterführenden Schulen. Als mindestens genauso wichtig erachte ich es, digitale Werkzeuge jeglicher Art passgenau für die jeweilige Altersstufe der Schülerinnen und Schüler einzusetzen. Bei allem digitalen Fortschritt kann die Digitalisierung immer nur unterstützend wirken, nie jedoch das Herzstück des Lehrerberufs ersetzen. Das dafür in der Grundschule ganz andere Maßstäbe gelten als an den weiterführenden Schulen ist für mich selbstverständlich. Ich bin überzeugt: Lesen, Schreiben, Rechnen sind das Wichtigste, was unsere Schülerinnen und Schüler erst einmal lernen müssen.  

    PROFIL: Ist es angesichts der enormen Nutzungszeit von digitalen Geräten in der Freizeit der Schülerinnen und Schüler vielleicht sogar sinnvoller, Schule verstärkt analog zu halten? 

    Stolz: Gerade weil digitale Medien im Freizeitverhalten immer wichtiger werden, kann Schule hier einen wertvollen Beitrag leisten, um reflektiert und verantwortungsvoll mit Laptop, PC oder sozialen Medien umzugehen. Ich sehe hier eine wertvolle Chance für die Schule, die wir nutzen sollten. Kinder müssen sich aber vor allem auch bewegen und brauchen einen sportlichen Ausgleich. Deswegen setze ich mich für mehr Sport und Bewegung an allen Schularten ein. 

    PROFIL: Für welche hohen Standards setzen Sie sich bei der KMK für Quer- und Seiteneinsteiger ein?  

    Stolz: In Bayern absolvieren alle Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger einen Vorbereitungsdienst, auch Referendariat genannt. Dabei werden die angehenden Lehrkräfte umfassend von erfahrenen Seminarlehrkräften betreut und schrittweise an die Unterrichtspraxis herangeführt. Die Struktur des Vorbereitungsdienstes, bestehend aus Unterrichtsversuchen, Seminaren zu pädagogischen, psychologischen und schulrechtlichen Inhalten sowie der individuellen Betreuung durch erfahrene Lehrkräfte hat sich seit vielen Jahren bewährt und ist gut. Dieser Vorbereitungsdienst ist das zentrale Qualitätsmerkmal, um die Unterrichtsqualität an unseren Schulen auf dem gewohnt hohen Niveau zu sichern.  

    Seiteneinsteiger, also Personen, die ohne jede berufspraktische Qualifizierung verbeamtet bzw. unbefristet angestellt werden, gibt es in Bayern – anders als in anderen Bundesländern – nicht. 

    PROFIL: Der DPhV spricht sich gegen ein duales Lehramtsstudium für das Gymnasium aus. Wissen wir Sie dafür auf unserer Seite? 

    Stolz: Wir stehen zur differenzierten Lehrerbildung, die Grundlage für die hohe Bildungsqualität in Bayern ist. Gleichzeitig ist es mir wichtig, wo immer möglich Verbesserungen und zeitgemäße Anpassungen umzusetzen. Deswegen haben wir auch die Lehrerbildungskommission ins Leben gerufen. Die Ergebnisse der Kommission werden wir erst einmal abwarten. Klar ist aber, dass wir mehr Praxisbezug, mehr Flexibilität und mehr Attraktivität in der Lehrerbildung umsetzen möchten. Wir werden aber keinen Einheitslehrer ausbilden. Ein fachwissenschaftliches Studium für die jeweilige Schulart ist und bleibt eine zentrale Säule der bayerischen Lehrerbildung. 

    PROFIL: Ministerin Stolz, welche Schlagzeile zu einem Erfolg Ihrer Amtszeit würden Sie gerne lesen, wenn Sie eines Tages nicht mehr Kultusministerin in Bayern sind? 

    Stolz: Ganz besonders liegen mir unsere Schülerinnen und Schüler sowie unsere Lehrkräfte am Herzen. Es wäre deswegen schön, wenn einmal in Erinnerung bleiben würde, dass in meiner Amtszeit nachhaltig mehr Möglichkeiten geschaffen wurden, sich wieder auf Wesentliches konzentrieren zu können. Deshalb wäre ein schönes Fazit sicherlich: „Anna Stolz hat es als Kultusministerin mit mutigen Entscheidungen und immer im Dialog mit der Schulfamilie geschafft, dass die Lehrkräfte wieder mehr Zeit für die pädagogische Arbeit mit den Kindern haben.“ 

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