120 Jahre Einsatz für das Gymnasium und seine Lehrkräfte 

    von Anne Schirrmacher und Heinz-Peter Meidinger 

    Einen würdigen Rahmen für ein besonders festliches Ereignis hatte sich der Bundesvorstand des DPhV für sein Jubiläum ausgesucht. Im vollbesetzten großen Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in unmittelbarer Nähe des Gendarmenmarkts feierte er zusammen mit den zahlreich erschienenen Festteilnehmern seinen 120. Geburtstag. 

    Einführungsrede durch die Verbandsvorsitzende 

    Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing, die DPhV-Vorsitzende, konnte dazu auch eine Reihe von Ehrengästen begrüßen, neben den beiden Referierenden: Karin Prien, Bildungsministerin des Landes Schleswig-Holstein und 2. Vizepräsidentin der KMK, und Festredner Prof. Dr. Peter André-Alt, den ehemaligen Präsidenten der HRK. Ferner waren u.a. die Berliner Bildungsstaatssekretärin Christina Henke, die Leiterin des IQB in Berlin, Frau Prof. Dr. Petra Stanat, die beiden Vorsitzenden der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der KMK, Prof. Dr. Felicitas Thiel und Prof. Dr. Olaf Köller, der Einladung gefolgt sowie die Vorsitzenden bzw. Vertreter des Deutschen Hochschulverbands, der Bundesdirektorenkonferenz, des Verbands der deutschen Lehrkräfte im Ausland und des Bundeselternrats neben zahlreichen Vertretern von Parteien, Dachorganisationen, Bildungsstiftungen, Verlagen, Wirtschaftsverbänden und natürlich viele Vertreterinnen und Vertreter der Philologenverbände aus Bund und Ländern, darunter die beiden DPhV-Ehrenvorsitzenden Heinz Durner (1992 bis 2001) und Heinz-Peter Meidinger (2003 bis 2017). 

    DPhV-Vorsitzende Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing schaute auf die Geschichte des Verbandes und wies auf die klassischen gymnasialen Bildungsziele hin, die auch zur Gestaltung der Zukunft wesentlich sind. Foto: DPhV/Marlene Gawrisch

    Das Jubiläum bezeichnete Prof. Dr. Lin-Klitzing in ihrer Begrüßungsrede als Anlass zur Rückschau, zur Besinnung auf zukünftige Aufgaben, aber insbesondere auch als Gelegenheit zum Dankesagen an alle diejenigen, die zum dauerhaften Erfolg dieser Verbandsgründung beigetragen haben. Das für den Festakt und den Festvortrag gewählte Motto “Was die Welt im Innersten zusammenhält…“ vermittle dreierlei Perspektiven, auf das Jubiläum zu schauen: aus der Perspektive des Verbandes, also was die Mitglieder zusammenhalte, aus Sicht der Bildungswelt und ihrer Akteure und aus Sicht der Wissenschaft, wie es ja auch Kernthema in Goethes Faust gewesen ist. Den Verband verbinde keine künstliche Einheitlichkeit, sondern Einheit in der Vielfalt mit dem Ziel des Qualitätsanspruchs, eine Einheit, die beispielsweise in den Ländern Spielräume zulasse.  

    In einem längeren historischen Rückblick würdigte die DPhV-Vorsitzende das Engagement, den Weitblick und auch die Hartnäckigkeit und Zielstrebigkeit der Gründungsväter des Bundesverbands, der am 6.10.1903 als „Vereinsverband akademisch gebildeter Lehrer Deutschlands“ gegründet wurde. Dies war vor allem auch die besondere Leistung eines Philologen, des hessischen Vorsitzenden und späteren ersten Bundesvorsitzenden Dr. Rudolf Block. 

    Als Hauptziel des Verbandes nannte er „die Hebung der Leistungen der höheren Schule und des Ansehens der an ihr unterrichtenden Lehrer, was in einem Zusammenhang stehe“. Bis heute, so Prof. Dr. Lin-Klitzing, hätten diese Worte Rudolf Blocks nichts von ihrer Kraft und Aktualität eingebüßt. 

    Mit Stolz verwies die Vorsitzende in ihrer Begrüßungsrede auf die Erfolge des Verbandes. Dass das Gymnasium heute die erfolgreichste weiterführende Schulart sei, wäre ohne den Verband und seine Mitglieder nicht möglich gewesen. Die Vorsitzende sparte auch nicht die 11 „dunklen Jahre“ aus ihrem historischen Rückblick aus, als der Philologenverband zwischen 1936 und 1947 wegen der Zwangsauflösung im Dritten Reich nicht mehr als eigenständige Organisation existieren durfte. 

    Neben der Wiedergründung der Landesverbände und des Bundesverbands nach dem 2. Weltkrieg beleuchtete Prof. Lin-Klitzing genauer die Wiedervereinigung, welche auch den gesamtdeutschen Zusammenschluss des DPhV ermöglichte. Ohne dessen Überzeugungsarbeit und ohne den Einsatz der neu beigetretenen Kolleginnen und Kollegen in den neuen Bundesländern wäre die Wiedergründung von Gymnasien nicht durchsetzbar gewesen. 

    Im Rahmen der Vermittlung der grundlegenden gymnasialen Ziele der vertieften Allgemeinbildung, Wissenschaftspropädeutik und Studierfähigkeit skizzierte die Verbandsvorsitzende unter Bezug auf ihren Doktorvater Wolfgang Klafki grundlegende Bildungsziele, die nicht modernistisch mit den sogenannten “4K” neu erfunden werden müssten, und gleichwohl auch in Zukunft wichtig seien: erstens Kritikfähigkeit, die Selbstkritik einschließe, zweitens konstruktive Argumentationsbereitschaft, drittens Empathiefähigkeit als Grundvoraussetzung für rationale Verständigung und viertens die Fähigkeit zum vernetzten Denken auf der Basis von Fachexpertise. Angesichts der aktuellen Herausforderungen durch Globalisierung, Klimakrise, neue Kriege und innergesellschaftliche Polarisierung seien diese Bildungsziele wichtiger denn je. 

    Grußwort der Ministerin und KMK-Vizepräsidentin Karin Prien 

    In ihrem Grußwort gratulierte die Ministerin für Bildung und Wissenschaft des Landes Schleswig-Holstein dem Verband zu diesem „großen Jubiläum“ und sprach den anwesenden Verbandsvertretern ihren ausdrücklichen Dank für ihren Einsatz für eine qualitativ hochwertige Bildung aus. Das Motto des Jubiläums, die Frage nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält, bezeichnete sie als Daueraufgabe, bei der es wohl nicht um die einfache Lösung, sondern das gemeinsame dauerhafte Suchen gehe. Heute gehe es auch verstärkt um die große Aufgabe, die Gesellschaft zusammenzuhalten, was auch die Schule vor riesige Herausforderungen stelle. In diesem Zusammenhang rückte sie den Angriff der Hamas auf Israel und das Wiederaufleben des Antisemitismus als neue große Herausforderung in den Fokus. Sie äußerte die große Sorge, dass – mitverursacht durch den Lehrkräftemangel, die Integrationsaufgabe aber auch durch die Folgen der Coronakrise – die Schulen vielfach überfordert seien, die Belastungsgrenze also überschritten sei. Die Ministerin zeigte sich aber zuversichtlich, dass die Herausforderungen im Bildungswesen gemeistert werden können. Dazu brauche es einen großen Schulterschluss aller Beteiligten. Ihre Rede schloss sie mit vier Kernthesen zur Neuorientierung in der Schulpolitik. Erstens forderte sie eine grundlegende Reform des Bildungsföderalismus, auch der Strukturen der KMK. Die Länder bräuchten mehr verbindliche Ziele, mehr Vergleichbarkeit und mehr echten Wettbewerb. 

    Die Herausforderung, die Gesellschaft in den aktuellen Krisen zusammenzuhalten, stellte Bildungsminister Karin Prien aus Schleswig-Holstein in das Zentrum ihres Grußwortes. Foto: DPhV/Marlene Gawrisch

    Zweitens plädierte sie dafür, mehr Bildungsgerechtigkeit zu realisieren. Dazu plädierte sie für eine datengestützte Schulentwicklung, die viel genauer auf die Einzelschule und den einzelnen Schüler schaue. Die ständige Präsentation von so genannten Leuchtturmschulen bringe da wenig. 

    Drittens plädierte sie für eine verstärkte Konzentration auf die Vermittlung von Grund- und Kernkompetenzen an den Grundschulen, aber nicht nur dort. Dies sei eine zwangläufige Lehre aus den immer weiter sinkenden Schülerleistungen. 

    Viertens sprach sie sich unter dem Beifall des Auditoriums dafür aus, die Bewältigung des Lehrkräftemangels nicht einseitig auf dem Rücken der Lehrkräfte umzusetzen. Das werde nicht funktionieren. Man warte auf die Vorschläge der SWK zur Steigerung der Attraktivität des Lehrerberufs. 

    Abschließend rief sie alle Beteiligten am bildungspolitischen Prozess in Deutschland dazu auf, sich nicht aufs Klagen zu beschränken, sondern die Problemlösungen in den Mittelpunkt zu stellen. 

    Prof. Dr. Peter-André Alt über Fachlichkeit und Komplexität schulischer Bildung 

    (Festvortrag) 

    In seinem fulminanten Festvortrag nutzte der ehemalige Präsident der HRK und heutige Geschäftsführer der Wübben-Stiftung Wissenschaft Prof. Dr. Alt das Motto des Festakts „Was die Welt im Innersten zusammenhält“ zu einem intensiven Blick auf Fachlichkeit und Komplexität schulischer Bildung. 

    Jubiläum des DPhV

    DPhV-Ehrenvorsitzender Heinz-Peter Meidinger, der stellvertretende Bundesvorsitzende Stefan Düll, DPhV-Ehrenvorsitzender Heinz Durner, DPhV-Bundesvorsitzende Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing, Schleswig-Holsteins Kultusministerin Karin Prien und der ehemalige Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Prof. Dr. Peter-André Alt (v.l.n.r.). Foto: DPhV/Marlene Gawrisch

    Am Anfang seines Vortrags ließ Prof. Dr. Alt Zahlen sprechen: Von 2000 bis 2021 stieg die Zahl der Studienanfänger von 267 000 auf 395 000, gleichzeitig verbesserte sich die bundesweite Abiturdurchschnittsnote seit 2013 von 2,43 auf 2,25. Umgekehrt stieg die Zahl der Studienabbrüche in den letzten 10 Jahren in frappanter Weise, in den Rechtswissenschaften von 26 auf 38 Prozent, bei den Bachelorstudiengängen von 28 auf 31 Prozent. Er stellte fest, dass generell Abiturienten zunehmend Schwierigkeiten haben, den Anforderungen der Hochschulen gerecht zu werden. Mitverantwortlich machte er dafür das Auseinanderklaffen der unterschiedlichen Lernsysteme an Schulen und Hochschulen, insbesondere, seit die bundesdeutsche Lernforschung auf das so genannte Kompetenzmodell setzt. Im Hinblick auf den Studienerfolg reiche aber das Kompetenzmodell nicht aus, vor allem, weil es dazu geführt habe, dass an Schulen vielfach auf die Vermittlung elementarer Lerninhalte zu wenig Zeit und Aufwand verwendet werde. Bei Studienanfängern fehle es zunehmend nicht nur an stofflichen Voraussetzungen, sondern auch an der Fähigkeit, den eigenen Lernprozess zu organisieren. Prof. Dr. Alt forderte zudem eine Stärkung der wissenschaftsbefähigenden Bildung in der Oberstufe. Wissenschaft sei dabei mehr als Faktenerzeugung durch Beobachtung, Experiment, Hypothese und Regelbildung. Er selbst neige eher der Auffassung von Niklas Luhmann zu, Wissenschaft habe die spezielle Funktion, die Welt für die Gesellschaft offen zu halten. Wissenschaftliches Denken bedeute Möglichkeitsdenken. Auf die Schule bezogen heiße das, dass Inhalte und Haltungen verpflichtend zu kombinieren seien. 

    Lösungen müssten durch Vergleiche erarbeitet werden. Im Zeitalter digitaler Wissensorganisation sei Wissen anders zu definieren als früher. Weniger der Zugriff auf Informationen als vielmehr die Möglichkeiten der Gliederung und Ordnung bildeten die eigentliche Herausforderung. Dabei gelte es, die Fähigkeit der Quellenkritik wiederzubeleben. Heute gelte es, KI-generierte Texte und Lösungsansätze auf ihre sachliche Evidenz überprüfen zu können. Statt der weitverbreiteten Flüchtigkeit der Informationsaufnahme und des Lesens brauche es wieder tiefere Durchdringung und Urteilskraft. Schulen müssen sich voll und ganz der Aufgabe stellen, den Schülern beizubringen, wie komplexe Texte gelesen und verstanden werden können. Konstitutiv dafür seien zwei Komponenten, zwei Lernvoraussetzungen, nämlich Neugier und Skepsis. Beides muss wechselseitig aufeinander bezogen sein. Wörtlich betonte er: „Neugierde allein birgt das Risiko, dass die Erkenntnis voranschreitet, ohne ihre Ergebnisse in Frage zu stellen. Sie bedarf der klugen Disziplinierung durch die Skepsis“, die aber, wie der Festredner anfügte, nicht zur Zweifelsucht verkommen dürfe. Als dritte Komponente müsse Ausdauer dazukommen, weil Wissenschaft oft auch Rück- und Seitenbewegungen einschließe.  

    Jubiläum des DPhV: Bläserquartett des Musikgymnasiums Carl Philipp Emanuel Bach Berlin

    Das Bläserquartett des Musikgymnasiums Carl Philipp Emanuel Bach Berlin. Foto: DPhV/Marlene Gawrisch

    In diesem Sinn seien Neugier, Skepsis und Ausdauer nicht nur Ambitionen der Grundlagenforschung, sondern auch im Sinne des Ziels der Studierfähigkeit in gymnasialen Oberstufen wesentliche Haltungen. Letztlich gehe darum, den Jugendlichen einen Kompass zu vermitteln, der ihnen helfe, einen Bildungsgang einzuschlagen, bei dem der Weg das Ziel sei. 

    Für seinen beeindruckenden Vortrag erhielt Prof. Dr. Alt langanhaltenden Beifall der Anwesenden. 

    In einem pointierten, launigen, kurzen Schlusswort dankte der stellvertretende DPhV-Bundesvorsitzende Stefan Düll den Redebeteiligten, der DPhV-Geschäftsstelle für die Organisation und insbesondere auch dem Bläserquartett des Berliner Musikgymnasiums Carl Philipp Emanuel Bach, das mit seiner virtuosen Darbietung von Musikstücken Bachs, Mozarts und Bozzas zeigte, was gymnasiale Bildung an Spitzenleistungen hervorzubringen vermag. 

     

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