„Gemeinsame Sorgen, gleiche Kämpfe“

    Die Gründung des DPhV vor 120 Jahren war die Konsequenz eines jahrzehntelangen Prozesses – und erforderte dennoch das ganze organisatorische und kommunikative Geschick von Rudolf Block.

    So selbstverständlich eine zentrale Dachorganisation für Deutschlands Philologenverbände heute erscheinen mag – so mühsam war der Weg dahin. Noch am Tag der konstituierenden Sitzung am 6. Oktober 1903 im Ratskeller in Halle konnte sich der Vorsitzende der Philologen des Provinzialverbandes in Hessen-Darmstadt, Prof. Dr. Rudolf Block, nicht sicher sein, dass sein ambitioniertes Anliegen gelingen würde, einen einflussreichen nationalen Gesamtverband ins Leben zu rufen.

    Mitglieder der Gründungsversammlung am 6. Oktober 1903

    Einerseits befürchteten einige regionale Vertreter einen Kompetenzverlust der Provinzial- und Landesvereine (u.a. Bayern), sahen eine unnötige Konkurrenz zum Philologentag des „Vereins deutscher Philologen und Schulmänner“, befürchteten einen Mangel an Themen oder – noch viel schlimmer – gar das Aufkommen eines weiteren „Streikvereins“. Anderseits fanden sich Gegner im Deutschen Gymnasialverein, der vor allem die humanistische Schulbildung im Sinne Alexander Humboldts (1769 – 1859) mit den Kernfächern Latein und Altgriechisch zu wahren versuchte – im Gegensatz zu den seinerzeit so genannten „Realschulen“. Der Fokus dieser wohl besser als „Real-Gymnasium“ bezeichneten Lehranstalten lag auf der Mathematik – eine unmittelbare Folge der neuen Anforderungen von Industrie und Handel, die im Zuge der industriellen Revolution das Wesen des deutschen Staates fundamental verändert hatten.

    Gesellschaftliche Veränderungen

    Das zutiefst preußisch geprägte Deutsche Kaiserreich hatte in den Jahrzehnten vor der Jahrhundertwende einen gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Die deutsche Bevölkerung wuchs von 1890 bis 1913 von 49,2 Millionen auf 67 Millionen. Und auch die durchschnittliche Lebenserwartung erhöhte sich von Ende 30 auf Ende 40. Militärische Erfolge ermöglichten die finanziellen Ressourcen zum Aufbau eines auch im Weltmaßstab konkurrenzfähigen Eisenbahnnetzes und einer führenden Industrie.

    Rudolf Block, erste

    Der Vorsitzende der Philologen des Provinzialverbandes in Hessen-Darmstadt, Prof. Dr. Rudolf Block, der die Gründung auf nationaler Ebene vorantrieb und in Halle dann auch zum ersten Vorsitzenden des neuen Verbandes gewählt wurde.

    Da Arbeitnehmerrechte in dieser fundamentalen gesellschaftlichen Umwälzung viel zu lange auf der Strecke geblieben waren, gab es genug Nährboden für die Entstehung von Interessenvertretungen bzw. Gewerkschaften. So auch bei den Gymnasiallehrern. Meist auf regionaler Ebene, teils mit sehr unterschiedlichen Interessenslagen.

    Erste Gründungen

    Nach dem Bayerischen Philologenverband (1863 als Verein von Lehrern an bayerischen Studienanstalten gegründet) war der Hessische Verein der Lehrer an den Unterrichtsanstalten der Provinz Hessen-Nassau und des Fürstentums Waldeck im Jahr 1873 entstanden. Mühsam konnten erste Erfolge (vor allem bei der Besoldung) mit Hartnäckigkeit erkämpft werden. Noch im Jahr 1898 musste Reichskanzler Otto von Bismarck zugeben, dass es ein „Missverhältnis zwischen der Bedeutung … und bisherigen Würdigung“ des höheren Lehrerstands gebe.

    Die Rolle des Korrespondenzblattes

    Rudolf Block war die Notwendigkeit einer starken nationalen Interessenvertretung schon länger klar. Doch um diese Idee in die Realität umzusetzen, war viel Überzeugungsarbeit notwendig – und die Kommunikation über große Entfernungen seinerzeit wesentlich beschwerlicher und teurer als heutzutage.

    Obwohl man 1903 auch praktisch schon von Berlin nach Peking telefonieren konnte, stand das Telefon nur sehr vermögenden Schichten zur Verfügung. Korrespondenzen erfolgten in der Regel via Brief (oder immer opulenter verziert werdenden Postkarten). Selten, aber möglich, war der persönliche Austausch, es gab zwar gute Bahnverbindungen – aber auch das war zeit- und budgetintensiv, so dass man darauf nur bei besonderen Anlässen wie etwa beim Philologentag zurückgriff.

    Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte insofern das seit 1893 erschienene Verbandsblatt Korrespondenzblatt für die Philologenvereine Preußens (ab 1900 Korrespondenzblatt für den akademisch gebildeten Lehrerstand), das nach und nach an Umfang und Bedeutung gewann. Kurz nach 1900 hatte sich sein Umfang auf acht Seiten erweitert, erschien wöchentlich (!), und auch außerpreußische Regionen bekamen immer mehr Raum. Dieser Vorläufer von PROFIL wurde übrigens auch schon im heutigen Nordrhein-Westfalen gedruckt (seinerzeit in Gelsenkirchen).

    Verleger Dr. A. Kannengiesser und der ambitionierte Rudolf Block konnten im Korrespondenzblatt die wichtigsten Argumente für die Gründung eines nationalen Philologenverbands verschriftlichen und so weite Teile der Mitgliederschaft für sich gewinnen. Block schrieb von „Gemeinsamen Sorgen, gleichen Kämpfen und gleichen Aufgaben für die Zukunft“.

    Einstimmigkeit bei der Gründung

    Doch für die Vollendung war jener 6. Oktober in Halle notwendig. Entschlossen trat Block den Kritikern im Halleschen Ratskeller entgegen, verwies noch einmal auf die Gesamtverantwortung für das Gymnasium und seine Lehrer. Und tatsächlich gelang ihm das Kunststück, die Gegner nicht nur zu besänftigen, sondern zu integrieren. Die 250 Delegierten stimmten schließlich einstimmig (!) für die Gründung des „Vereinsverbands akademisch gebildeter Lehrer Deutschlands“ (ab 1921 Deutscher Philologenverband), bestehend aus 34 Vereinen mit über 14.000 Mitgliedern. Erster Vorsitzender: Rudolf Block. Hauptziele: die Vereinheitlichung des gesamten deutschen Schulwesens, die Schaffung eines einheitlichen Lehrerstandes und die „Gleichstellung der akademisch gebildeten Stände in Rang und Gehalt“. Die Nachricht der Gründung schaffte es in den Generalanzeiger für Halle und den Saalekreis. (Fünf Jahre später, ab dem 3. Verbandstag in Braunschweig, schlossen sich angesichts des großen Erfolgs der Verbandsgründung und der öffentlichen Wirkung auch die zuvor skeptischen Philologenverbände aus Bayern, Mecklenburg und Strelitz dem Gesamtverband an.)

    Ziel: Hebung der Leistungen der höheren Schule

    Beim ersten Verbandstag am 8. und 9. April 1904 in Darmstadt (mit Ausflug und Festmahl, wie das Korrespondenzblatt später berichtet) wandte sich Block in seiner Begrüßung an die anwesenden Vertreter des Staates und der Städte. Die Vereinsgründung sei „nicht etwa aus Verbitterung gegen die Behörden erfolgt, sondern im Gegenteil in der Absicht, mit ihnen zusammen zu arbeiten zur Erreichung des Zieles, das der Verein sich gesteckt habe: die Hebung der Leistungen der höheren Schule und des Ansehens der an ihr unterrichtenden Lehrer, was in einem Zusammenhang stehe“.

    Auch 120 Jahre später haben Rudolf Blocks Worte nichts von ihrer Kraft und Aktualität eingebüßt. Bei aller Reibung mit der Politik oder gelegentlich unterschiedlichen Positionen innerhalb der Mitglieder – der Schulterschluss zwischen dem Deutschen Philologenverband und den ihn tragenden Landesverbänden hat weit über ein Jahrhundert gehalten. Das Gymnasium und das deutsche Schulwesen überhaupt haben Rudolf Block sehr viel zu verdanken.

    Friedrich Pohl

    Alle 3 Fotos: aus: Bernhard Fluck: Gymnasium, Auftrag, Fortschritt, Deutscher Philologenverband und Gymnasium im 19. und 20. Jahrhundert. Düsseldorf: Pädagogik & Hochschul Verlag, 2003

     

     

    Das Stadthaus in Halle/Saale, Gründungsort des „Vereinsverbands akademisch gebildeter Lehrer Deutschlands“ (ab 1921 Deutscher Philologenverband)

     

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