„Das vollständig grundständige Studium bleibt der beste und schnellste Weg zur Verbeamtung”

    Steffen Freiberg im Interview mit PROFIL

    Steffen Freiberg (41, SPD) war fünf Jahre lange Staatssekretär im Bildungsministerium von Mecklenburg-Vorpommern, bevor er Staatssekretär im Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg wurde. Seit April ist er in Brandenburg Bildungsminister. (Foto: MBJS)

    Von Karolina Pajdak

    Potsdam – Im Kampf gegen den Lehrkräftemangel geht Brandenburg einsame Wege, verspricht u.a. Seiteneinsteigenden mit Bachelorabschluss den Beamtenstatus. Dafür wurde das Bildungsministerium nicht nur vom Deutschen Philologenverband heftig kritisiert! Britta Ernst (61, SPD) räumte im April sogar ihren Posten als Bildungsministerin, hatte in der Koalition und den eigenen Reihen nicht mehr genug Rückhalt. Jetzt muss es ihr Nachfolger im Amt des Bildungsministers richten – ihr ehemaliger Staatssekretär Steffen Freiberg (41, SPD). In PROFIL erklärt er, warum er Bachelor-Absolventen verbeamten will, sich ein grundständiges Lehramtsstudium dennoch lohnt und wie es um die Digitalisierung in Brandenburg steht.

    PROFIL: Minister Freiberg, das Kabinett hat beschlossen, künftig auch Hochschulabsolventinnen und -absolventen mit Bachelorabschluss als Seiteneinsteigenden den Beamtenstatus zu ermöglichen. Der DPhV kritisiert diese Entscheidung, auch die KMK empfiehlt dies nicht. Warum halten Sie an diesem Alleingang dennoch fest?

    Minister Steffen Freiberg: Vielen Dank, dass Sie mir die Möglichkeit geben, die Brandenburger Qualifizierungsoffensive für Lehrkräfte im Seiteneinstieg darzustellen. Neben dem bereits bestehenden Weg, unbefristet im Land Brandenburg als Lehrkräfte beschäftigte Seiteneinsteiger mit einem Masterabschluss über gegebenenfalls erforderliche Zertifikatsstudiengänge und den berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst eine Lehramtsbefähigung zu erwerben, wird nunmehr auch die Möglichkeit eines zusätzlichen Befähigungserwerbs für Seiteneinsteigende mit einem Bachelorabschluss und der Verbeamtung als Bildungsamtfrau bzw. Bildungsamtmann (Besoldungsgruppe A 11) und Bildungsamtsrätin bzw. Bildungsamtsrat (Besoldungsgruppe A 12) geschaffen.

    PROFIL: Es hätte andere Möglichkeiten gegeben, dem Lehrkräftemangel entgegenzutreten. Zum Beispiel Bachelorabsolventinnen und -absolventen als Assistenzlehrkräfte einzusetzen (wie es bspw. SWK-Co-Vorsitzende Prof. Dr. Felicitas Thiel empfiehlt). Wieso wurden solche Überlegungen nicht berücksichtigt?

    Freiberg: Um den Lehrkräftebedarf im Land Brandenburg zu decken, stellen die vier staatlichen Schulämter zuallererst Lehrkräfte mit einer Lehramtsbefähigung ein. Diese werden in allen Schulformen in der Besoldungsgruppe A 13 verbeamtet und werden ab dem 1. August 2024 auch alle der Laufbahngruppe des höheren Dienstes angehören. Angesichts der sehr hohen Einstellungsbedarfe an Lehrkräften in den vergangenen und kommenden Jahren ist es aber unumgänglich auch Seiteneinsteigende in den Schuldienst des Landes als Lehrkräfte einzustellen. Dabei schätze ich deren Berufs- und Lebenserfahrung sehr, bringen sie doch zusätzliche Perspektiven in den Schulalltag. Gleichwohl ist es mein Anspruch, die Seiteneinsteigenden nachhaltig zu qualifizieren, um auf Dauer einen qualitativ hochwertigen Unterricht an allen Schulen des Landes anbieten zu können.

    PROFIL: Wie soll das gehen?

    Freiberg: Hierzu erhalten alle Seiteneinsteigenden, die auf Dauerstellen eingestellt werden, zunächst einen auf dreizehn Monate befristeten Arbeitsvertrag mit Entfristungsperspektive. Vor dem ersten Unterrichtseinsatz werden sie im Rahmen des ersten Teils der pädagogischen Grundqualifizierung einen Monat (vollschichtig) auf die grundlegenden Anforderungen an Lehrkräfte vorbereitet. Im ersten Schuljahr wird die pädagogische Grundqualifizierung berufsbegleitend unter teilweiser Freistellung von der Unterrichtsverpflichtung fortgesetzt (insgesamt 500 Stunden). Begleitet werden sie dabei in den Schulen zusätzlich durch erfahrene Mentorinnen und Mentoren. Nach erfolgreicher Teilnahme an der pädagogischen Grundqualifizierung und der Feststellung der Bewährung im Unterricht sind diese Seiteneinsteigenden unbefristet im Schuldienst als Lehrkräfte beschäftigt. Hieran schließen sich weitere Fortbildungspflichten aber auch weitergehende Qualifizierungsangebote an.

    PROFIL: Wieso setzen Sie nicht auf Teams und stellen Assistenzlehrkräfte ein?

    Steffen Freiberg: Assistenzlehrkräfte kennt das Brandenburger Schulsystem bisher hingegen nicht. Nahe kommt dem Begriff das sonstige pädagogische Personal. Diese Berufsgruppe unterstützt Lehrkräfte im Unterricht, gibt aber keinen selbstständigen Unterricht. Für die Unterrichtsabsicherung sind daher Lehrkräfte einzustellen.

    PROFIL: Wer mit Bachelorabschluss schon verbeamtete Lehrkraft werden kann, wer sollte dann noch ein grundständiges Lehramtsstudium anstreben? Was bedeutet das für die Bildungsqualität an unseren Schulen?

    Freiberg: Sie sitzen einem verbreiteten Irrtum auf. Wer nach dem Abitur den Traumberuf Lehrer bzw. Lehrerin anstrebt, für den ist und bleibt das vollständig grundständige Studium der beste und schnellste Weg zur Verbeamtung. Seiteneinsteigende mit einem Bachelorabschluss (Regelstudienzeit 3 Jahre) müssen zunächst die 13-monatige befristete Beschäftigung inklusive der pädagogischen Grundqualifizierung bis zur unbefristeten Weiterbeschäftigung erfolgreich absolvieren, nachdem sie sich im Einstellungsverfahren durchgesetzt haben. Daran schließt sich (zumindest) eine 18-monatige Zertifikatsqualifizierung an (= lehrerbildungsrechtlicher Befähigungserwerb), bevor eine Verbeamtung möglich ist. Im Minimum (Idealfall) beträgt die Qualifizierungsdauer daher 67 Monate. Die grundständige Ausbildung für Lehrkräfte dauert im Minimum 60 Monate bei einer Regelstudienzeit von 5 Jahren.

    PROFIL: Sie haben gleich nach Amtsantritt die von Britta Ernst geplante Streichung von 200 Lehrerstellen rückgängig gemacht. Als Staatssekretär hatten Sie aber maßgeblich an der Entwicklung dieses Planes mitgewirkt. Warum haben Sie nun anders entschieden?

    Freiberg: In der Folge habe ich neue Vorschläge vorgestellt.  Einer ist das Programm 63+. Es zielt darauf, künftig mehr lebensältere Lehrkräfte mit attraktiven Angeboten länger im Schuldienst halten zu können. Ein weiterer Vorschlag ist das Personalbudget für Schulen: Unbesetzte Stellen im neuen Schuljahr sollen teilweise kapitalisiert werden und den Schulen als frei verfügbares Budget zur Verstärkung unterrichtsergänzender Angebote zur Verfügung stehen. An vielen weiteren Stellschrauben drehen wir auch. Das wird aber nicht alles gleichzeitig wirken.

    PROFIL: Der Beruf der Lehrerin und des Lehrers muss attraktiver werden. Lehrkräfte müssen wieder mehr Zeit für guten Unterricht haben. Was sind Ihre Ideen, um bspw. die Lehrkräfte mit weniger Bürokratie zu belasten?

    Freiberg: Wir haben für eine Vielzahl von Prozessen bereits digitale Formate etabliert, um die erforderliche Verwaltungsarbeit effizient zu gestalten. Wir überprüfen zudem regelmäßig, welche Datenerfassungen erforderlich sind. Weiterhin sollen die rechtlichen Rahmenbedingungen mit der vorgesehenen Änderung des Brandenburger Schulgesetzes dafür geschaffen werden, dass zukünftig weiteres Landespersonal (zusätzlich zu den Lehrkräften und dem sonstigen pädagogischen Personal) Verwaltungsarbeit mit übernehmen kann. Und zudem habe ich unlängst einen wichtigen Dialog mit dem Landesschulbeirat, den Lehrerverbänden und dem Hauptpersonalrat der Lehrkräfte und des sonstigen pädagogischen Personals initiiert. Dort wurde u.a. 63+ vorgestellt. Sie alle haben Zeit, sich zu unseren Vorschlägen aus dem Eckpunktpapier zu äußern und weitere Maßnahmen vorzuschlagen. Auch diese Rückmeldungen werden derzeit ausgewertet.

    PROFIL: Werden Sie neue Funktionsstellen außerhalb der Schulleitungen schaffen?

    Freiberg: Für die Schaffung neuer Funktionsstellen außerhalb der Schulleitung müssten zunächst haushalts- und ggf. auch besoldungsgesetzliche Voraussetzungen durch den Landtag Brandenburg geschaffen werden. Voraussetzung für die Schaffung von weiteren Beförderungsämtern ist, dass dauerhaft höherwertige Aufgaben wahrgenommen werden können. Es liegt daher aus meiner Sicht näher, eine Ausweitung von Zulagenzahlungen in den Blick zu nehmen und diese lukrativer auszugestalten.

    PROFIL: Welche könnten das sein?

    Freiberg: Weitere Beförderungsämter oder eine Ausgestaltung von Zulagenregelungen sind Teilaspekte der laufenden Attraktivitätsgespräche der Landesregierung mit den Gewerkschaften, die bis zum Herbst abgeschlossen sein sollen. Von daher bitte ich um Verständnis, dass ich zum jetzigen Zeitpunkt keine Details vorwegnehmen kann.

    PROFIL: Wie steht es um die Digitalisierung an Brandenburger Schulen. Haben inzwischen alle Lehrkräfte ein digitales Endgerät erhalten?

    Steffen Freiberg: Das Bund-Länder-Förderprogramm DigitalPakt Schule sowie die Zusatzvereinbarungen tragen dazu bei, dass Schulen mit modernster Technik ausgestattet und digitale Bildungsinfrastrukturen entwickelt werden. Insgesamt stehen im Land Brandenburg dafür seit 2019 Fördermittel in Höhe von etwa 203 Millionen Euro zur Verfügung, 196 Millionen Euro daraus aus Bundesmitteln. Der Mittelabfluss (bisher 63 Mio. Euro) zeigt, dass Verbesserungen in der Ausstattung kontinuierlich umgesetzt werden. Insgesamt 46.000 Endgeräte für Schülerinnen und Schüler wurden von den Schulträgern bislang angeschafft. Bislang wurden ca. 7.500 Endgeräte für Lehrkräfte wurden davon beschafft. Die Ausstattung der Schulen mit digitaler Basisinfrastruktur und mobilen Endgeräten stellt die Weichen, um digital gestützten Unterricht durchführen zu können und ermöglicht verschiedene Unterrichtsszenarien unter Anwendung von digitalen Medien.

    Das Land stellt den Schulen kostenlos die Schul-Cloud Brandenburg als datenschutzkonforme Lehr- und Lernmanagementlösung zur Verfügung. Diese wird von über 730 Schulen im Land genutzt. Ebenfalls hat das Land Lizenzen für digitale Lehr-/Lernwerkzeuge finanziert, die von den Schulen kostenlos genutzt werden können. Dies betrifft das Mathematik-Programm „bettermarks“, das Online-Programm „Antolin“ zur Lesekompetenzförderung sowie die Lern-Software „ANTON“ zur Förderung von Basiskompetenzen in Deutsch und Mathematik.

    Noch ist es uns nicht gelungen, anders als in anderen Ländern hierüber einen Konsens zu erreichen. Einige Schulträger haben Endgeräte für Lehrkräfte im Bestand, andere lehnen dies ab. Zurzeit beraten wir mit der kommunalen Familie über die grundlegenden Fragen zur digitalen Schule. Die Digitalisierung des Schulwesens stellt eine außerordentlich bedeutende öffentliche Modernisierungsaufgabe dar, die weiterhin erheblicher und kontinuierlicher Kraftanstrengungen aller Beteiligten bedarf. Um die Digitalisierung in Schule kontinuierlich weiterzuentwickeln und zum festen Bestandteil für das schulische Lehren und Lernen zu machen, muss diese dauerhaft finanziell untersetzt werden. Diese Zukunftsaufgabe kann nur in gemeinsamer Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen gelingen. Im konstruktiven Dialog zwischen Land und kommunalen Spitzenverbänden wird in Brandenburg gegenwärtig abgestimmt, wie „Digitale Schule“ als gemeinsames Ziel, in geteilter Zuständigkeit aber gemeinsamer und kooperativer öffentlicher Aufgabenwahrnehmung verlässlich organsiert werden soll und kann.

    PROFIL: Minister Freiberg, vielleicht haben Sie zum Schluss noch eine gute Nachricht für die Gymnasien und Lehrkräfte in Brandenburg? 

    Steffen Freiberg: Eine erfreuliche Nachricht betrifft nicht nur die Gymnasien im Land, sondern alle Schulformen, die zum Abitur führen: Es ist auch in diesem Jahr gelungen, ein Abiturverfahren ohne nennenswerte Zwischenfälle durchzuführen. Und auch wenn noch nicht alle Ergebnisse vorliegen, zeichnet sich schon jetzt ab, dass die Schülerinnen und Schüler, die in diesem Jahr die Abiturprüfungen absolviert haben, gute Ergebnisse erzielen. Das liegt nicht nur an der Leistungsbereitschaft der Schülerinnen und Schüler, sondern auch an dem Engagement der Lehrkräfte! Dafür sage ich an dieser Stelle herzlichen Dank.

    Im kommenden Schuljahr wird es für die gymnasialen Oberstufen die Möglichkeit geben, neben jahrgangsübergreifenden Kursen auch in Form einer Erprobung kombinierte Leistungs- und Grundkurse in einem Fach anzubieten. Damit soll die Möglichkeit geschaffen werden, Kurse zu bilden, die sonst wegen zu geringer Teilnehmerzahlen nicht gebildet werden könnten. Das wird einerseits den Schülerinnen und Schülern zugutekommen, die ein breiteres Kursangebot vorfinden, andererseits steigert es die Attraktivität eines Schulstandortes.

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