Auf ein Wort mit Susanne Lin-Klitzing aus dem PROFIL-Magazin von Oktober 2022.
Liebe Kollegen und Kolleginnen,
die neu gestaltete gymnasiale Oberstufe (NGO), die Oberstufenreform, beschlossen von der KMK im Jahre 1972, ist in diesem Jahre 50 geworden. Fast unbemerkt, auch von der Kultusministerkonferenz nicht zelebriert, untergegangen unter all den belastenden Themen wie Corona, russischer Angriffskrieg auf die Ukraine, Lehrkräftemangel und… und … und.
Das Abitur ist jedoch das Herzstück unserer Arbeit. Wir im Philologenverband streben danach, das Abitur auf einem möglichst hohen Niveau durchzuführen. Wissenschaftspropädeutik, vertiefte Allgemeinbildung und allgemeine Studierfähigkeit müssen anspruchsvoll gewährleistet werden. Ein Problem nach der damaligen Oberstufenreform von 1972 war, dass sich die Länderanforderungen stark auseinanderentwickelt haben. Wir im Philologenverband stehen für „Länderkorridore“ bei gleichzeitigem Bestreben nach einer stärkeren Vergleichbarkeit der Abituranforderungen auf höherem Niveau. Deshalb waren Entwicklungen in der NGO nach 1972 von bis zu fünf Fächern auf erhöhtem Anforderungsniveau in dem einen Bundesland gegenüber zwei Leistungskursen in der Oberstufe in dem anderen Land nicht in unserem Interesse. Wir haben hier Verbesserungen kontinuierlich bei der KMK angemahnt. Die KMK hat sich nun zum „politischen Vorhaben Abitur“ bekannt. Im Jahre 2023 soll die Arbeit durch die KMK an den entsprechenden Verbesserungen für mehr Vergleichbarkeit auf höherem Niveau in den Abituranforderungen der Länder vollzogen sein. Wir fordern u.a., dass es zwei bis drei „Leistungskurse“ geben sollte, dass diese mindestens vier- und maximal fünfstündig sein sollen und wir erwarten, dass mindestens 36 bis 40 Kurse eingebracht werden (statt – wie bisher – mindestens 32). Damit Studierfähigkeit gewährleistet wird, muss klar sein, dass es für die Abiturzulassung nicht ausreicht, wenn sämtliche Basiskurse in der gymnasialen Oberstufe in Deutsch, Mathematik oder Fremdsprachen unter fünf Punkten (!) abgeschlossen werden. Das Signal der KMK an die Schülerinnen und Schüler, dass 20% aller einzubringenden Kurse unter fünf Punkten, also nicht ausreichend, sein dürfen, ist falsch und zu korrigieren. Ich gehe davon aus, dass die meisten unserer Forderungen in der KMK Gehör finden werden. Wir haben sie dort ausdauernd und mit Überzeugung platziert.
Ganz praktisch geht es uns aktuell jedoch darum, dass nun erst einmal die Anforderungen für die Abiturprüfungen wieder in den „Normalzustand“, den Vor-Corona-Modus, zurückgeführt werden, damit sich aus diesen „Corona-Ausnahmen“ kein Dauerzustand etabliert, der die Anforderungen senkt.
Zudem müssen den Kollegien grundsätzlich die Abituraufgaben früher zur Verfügung gestellt werden. Es ist unzumutbar, wie mittlerweile in vielen Ländern etabliert, dass die Schulen erst am Vortag spätnachmittags oder am selben Tag, an dem die Prüfungen stattfinden, frühmorgens die Prüfungsaufgaben nur digital zugestellt bekommen, damit dann mit einer kurzfristigen, hektischen und großen Kopieraktion die Prüflinge kurze Zeit später überhaupt mit ihren Prüfungsaufgaben versorgt werden können. Hier brauchen wir eine bessere Lösung!
Last but not least und eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber in manchen Ländern schon nicht mehr garantiert, denn z.B. in Thüringen muss die PhV-Vorsitzende Heike Schimke ihren Kultusminister ernsthaft mahnen: Die verpflichtenden 265 Wochenstunden bis zum Abitur müssen für die Schülerinnen und Schüler vorgehalten werden! Gymnasiallehrkräfte mit Oberstufenkursen in der dreijährigen Gymnasialen Oberstufe können nicht an andere Schulen zur Behebung des dortigen Lehrkräftemangels abgeordnet werden. Die gymnasiale Oberstufe kann ansonsten von den Schülerinnen und Schülern nicht ordnungsgemäß ohne das Lehrpersonal für eben diese Gymnasiale Oberstufe durchlaufen werden. Hier ist verantwortungsbewusst und vorausschauender zu handeln. Die Feier zum 50-jährigen Jubiläum der Reform der Gymnasiale Oberstufe scheint also nicht ohne Grund untergegangen zu sein…
Ihnen allen Mut, Kraft, Dank und herzliche Grüße!
Susanne Lin-Klitzing