bpv: Rückblick und Ausblick: „Viele Schüler werden noch lange an Corona zu knabbern haben…”

    Eine Umfrage des bpv an Gymnasien und Beruflichen Oberschulen offenbart: In 85 Prozent der Klassen gibt es Schülerinnen und Schüler mit Unterstützungsbedarf im psychosozialen Bereich. In der Hälfte der Klassen benötigen drei und mehr Schüler professionelle Hilfe.

    Am Ende des Schuljahres befragte der Bayerische Philologenverband (bpv) seine Mitglie­der, die überwiegend an Gymnasien tätig sind, und bat um einen Rückblick und Ausblick. Die Ergebnisse wurden heute in einer Pressekonferenz vorgestellt. Wichtigste Erkenntnis: Die Lernrückstände sind nur ein Teil des Problems – Bayerns Schüler und Schülerinnen brauchen neben fachlicher Unterstützung im nächsten Schuljahr vor allem Hilfe im Bereich des Psychosozialen. Michael Schwägerl, der Vorsitzende des bpv, meint dazu: „Die Hälfte der befragten Klassenleitungen gaben an, dass mindestens drei oder sogar mehr als vier Lernende ihrer Klasse nach dem zweiten Corona-Schuljahr erheblichen psychosozialen Unter­stützungsbedarf haben –  wir reden hier von zehn Prozent der bayerischen Gymnasiasten!”

    Unterstützung im psychosozialen Bereich braucht Zeit und Ressourcen

    Aus Schwägerls Sicht sind die Probleme nur in den Griff zu bekommen, wenn die Pädago­ginnen und Pädagogen genug Zeit und Ressourcen haben, die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen auch individuell zu betreuen – im Klassenzimmer sowie darüber hinaus. “Um die Defizite aufzufangen braucht es nicht nur mehr Beratungszeit für die Schulpsychologen, sondern auch mehr Lehrkräfte insgesamt. Wahlkurse, Fahrten oder Exkursionen sind laut den Befragten ebenfalls förderliche Maßnahmen – dazu brauchen wir aber genügend Personal”, fordert Schwägerl.

    Regina Knape, die in Oberfranken als Schulpsychologin tätig ist, sieht deutlichen Hand­lungsbedarf: „Die monatelangen Schulschließungen und die fehlenden sozialen Kontakte haben allen Kindern und Familien zugesetzt – den einen mehr, den anderen weniger. Das zeigt sich besonders in den Schulen und daher sind die Schulen der zentrale Ort, um langfristig und passgenau Unterstützungsarbeit zu leisten. Da verwundert es nicht, dass in der Umfrage mehr Stunden für Schulpsychologin­nen und Schulpsychologen sowie Beratungslehrkräfte gefordert werden. Die aktuelle Stundenausstattung reichte bereits vor Corona kaum aus. Jetzt müssen wir uns aber um viel mehr Schüler und Eltern kümmern.”

    Michael Lilla ist Beratungslehrer in Gauting. Er mahnt an, dass das Aufholen von Lernrück­ständen nachhaltig geschehen muss: „Die Lernrückstände in den einzelnen Fächern wur­den in den letzten Wochen erhoben und sind mittlerweile bekannt. Das Verfahren der Lern­standserhebungen jedoch wurde von den Befragten zurecht kritisiert. Jetzt geht es aber nicht nur um kurzfristige Maßnahmen wie die einmalige Sommerschule, sondern um nach­haltiges Aufholen im nächsten Schuljahr in kleineren Lerngruppen und mit individueller Förderung.” Für kleinere Lerngruppen sprechen sich auch 83 Prozent der befragten Lehr­kräfte aus.

    Mehr sprachliche Förderung ist aus Sicht des bpv insbesondere bei den Kindern und Jugendlichen wichtig, in deren Elternhäusern nicht oder nur wenig Deutsch gesprochen wird. Während der Schulschließungen fielen für sie die meisten Gesprächsanlässe außer­halb des Unterrichts weg. Hierauf muss im nächsten Schuljahr besonderes Augenmerk gelegt werden.

    Erhöhten Beratungsbedarf stellt ebenso Wolfram Janke fest. Er ist stellvertretender Schul­leiter am Max-Planck-Gymnasium München: „Alle Klassenleitungen waren in diesem Jahr besonders gefordert, sie haben beraten, unzählige Gespräche geführt, ermutigt und koordi­niert. Auch auf der Ebene der Schulleitung und der Oberstufenkoordinatoren nehmen und nahmen die Corona-Maßnahmen viel zusätzlichen Raum und Zeit ein. Verständlicherweise besteht häufig Unsicherheit bezüglich der aktuellen Situation mit all ihren – teils neuartigen – Regelungen. Es gab und gibt daher einen deutlich spürbaren Anstieg an beratender und klärender Kommunikation mit allen Mitgliedern der Schulgemeinschaft.”

    Ein Luftreiniger pro Klassenzimmer, eine Lehrerstelle pro Schule

    Die Lernenden mit ihren fachlichen und persönlichen Schwierigkeiten individuell abzuholen – da sind sich die Experten einig – das funktioniert nur im Präsenzunterricht. Deswegen muss alles dafür getan werden, die Schulen im Herbst offen zu halten und maximalen Gesundheitsschutz zu garantieren. „In der Umfrage zeigt sich nur ein Drittel der Lehrerschaft mit dem Luftaustausch in den Unterrichtsräumen zufrieden. Hier besteht also nach wie vor dringender Handlungsbedarf. Wir fordern einen Raumluftreiniger pro Klassenzimmer und eine zusätzliche Planstelle für passgenauere Förderung pro Gymnasium – das sind wir den Kindern und Jugendlichen schuldig. Die Fehler aus dem Herbst 2020 dürfen sich nicht wie­derholen“, schließt Schwägerl ab.

    Nach oben