Lobbyismus an Schulen – Positionspapier des Deutschen Philologenverbandes

    1. Das Gymnasium ist dem Pluralismus verpflichtet

    Gymnasien in Deutschland stehen – wie alle Schulen – laut Artikel 7 des Grundgesetzes unter der Aufsicht des Staates. Dieser Verfassungsgrundsatz schützt auch die Unabhängigkeit der Schulen. Darüber hinaus sind sie Teil einer pluralistischen, auf dem Mit- und Nebeneinander verschiedener Interessen, Weltanschauungen und Kulturen beruhenden Gesellschaft. Der Deutsche Philologenverband begrüßt das Prinzip des Pluralismus und unterstützt aktiv Schulen sowie Kolleginnen und Kollegen, die engagiert und verantwortungsbewusst für ein liberales und demokratisches Miteinander eintreten.

    Dem freien Spiel der verschiedenen Kräfte und Interessen in der pluralen Gesellschaft sind aus gutem Grund im Bereich der Schulen Grenzen gesetzt. Drei dieser Grenzen sind aus Perspektive des Deutschen Philologenverbandes besonders hervorzuheben:

    • Das sogenannte „Überwältigungsverbot“ im Sinne des Beutelsbacher Konsenses, das in der jeweilig passenden Form für alle Unterrichtsfächer Geltung besitzt.
    • Der Schutz der einzelnen Lehrkraft vor einseitiger Beeinflussung durch die jeweiligen beamten- oder arbeitsrechtlichen Vorgaben, z.B. in Form von Korruptionsrichtlinien u.ä.
    • Die Verpflichtung aller staatlichen Organe zur unparteiischen Amtsführung, umgangssprachlich oft als „Neutralitätsgebot“ bezeichnet, an die auch die Schulen und alle Schulbehörden bis hin zur politischen Ebene gebunden sind.

    Der Deutsche Philologenverband tritt für die wirksame und sachgerechte Ausgestaltung und Anwendung dieser Prinzipien bei allen unterrichtlichen, außerunterrichtlichen, administrativen und politischen Maßnahmen und Entscheidungen im Schulsystem ein.

    Der gesellschaftliche Auftrag, Pluralismus lebendig, erfahr- und erlernbar zu machen, auf der einen Seite und die Verpflichtung, unsachgemäße Einflussnahmen abzuwehren, auf der anderen Seite eröffnen ein Spannungsfeld, innerhalb dessen einzelne Lehrkräfte und Schulen, aber auch Schulbehörden und nicht zuletzt die Schul- und Bildungspolitik ihren Standpunkt stets neu bestimmen müssen. Konkrete praktische Fragen (wie z.B. „Ist es in Ordnung, wenn ein Unternehmen sich in Abschlussklassen als Arbeitgeber präsentiert?“ oder „Sollen Mitarbeiter einer Stiftung, die klare bildungspolitische Ziele verfolgt, als Berater oder Referenten in einem Ministerium auftreten dürfen?“) zeigen die Vielschichtigkeit der Probleme in diesem Spannungsfeld.

     

    2. Für ein selbstbewusstes und selbstbestimmtes Auftreten gegenüber Einflüssen von außen

    Es ist nicht zu übersehen, dass sich der Schwierigkeitsgrad der damit beschriebenen Probleme seit Beginn des 21. Jahrhunderts sehr stark erhöht hat. Das ist unter anderem auf folgende Faktoren zurückzuführen:

    • Kinder und Jugendliche haben als Zielgruppe von interessengeleiteten Initiativen wirtschaftlicher oder politischer Natur stark an Bedeutung gewonnen. Gründe dafür sind unter anderem ihre gestiegene Kaufkraft, die gestiegene Nachfrage nach Arbeitskräften oder auch die gewachsenen Möglichkeiten politischer Teilhabe.
    • Die (informations-)technischen Instrumente, die es externen Institutionen ermöglichen, die Menschen im Schulsystem zu erfassen, sie zielgruppengerecht anzusprechen und sie z.B. als Kunden oder Anhänger zu gewinnen, haben sich stark verbessert.
    • Der Wunsch und die Bereitschaft, das Schulsystem nach (bildungs-)politischen oder ökonomischen Zielsetzungen zu beeinflussen bzw. umzugestalten, wird zunehmend systematischer, mit besser geeigneten Instrumenten und professioneller verwirklicht.

    Der Deutsche Philologenverband steht trotzdem pauschalen und undifferenzierten Abwehrreaktionen skeptisch gegenüber. Selbstverständlich müssen die verschiedenen Formen externer Einflüsse auf Schulen fein unterschieden werden; nicht jede kleine Anzeige eines Sponsors in einer Schulzeitung, die letztlich nur ein unstrittiges Schülerprojekt unbürokratisch unterstützen will, sollte als grundsätzliches Problem angesehen werden. Gerade deswegen jedoch lehnt der Deutsche Philologenverband eine Denkweise ab, die die Lehrkräfte, die Schulen und die Verantwortungsträger auf eine rein beobachtende und begleitende oder moderierende Funktion festlegen will. Maßstab für Kooperationen mit externen Partnern muss stets der Bildungsauftrag der Schule sein und sie müssen in der Verantwortung der Lehrkräfte für die ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schüler stehen. Gerade weil die Einflussnahme von außen stark angewachsen ist, müssen die Lehrkräfte, die Schulen und die Verantwortungsträger in der Bildungs- und Schulpolitik eine selbstbewusste und selbstbestimmte Rolle einnehmen. Dazu ist ein Mehr an Transparenz, an klaren Richtlinien und an sachgerechten und praktikablen Verfahren nötig.

     

    3. Für mehr Transparenz gegenüber Lobby-Arbeit in der Bildungspolitik

    Der Deutsche Philologenverband schätzt die beratende Funktion von externen Institutionen wie z.B. Stiftungen und Instituten, die – ausgelöst nicht zuletzt durch die stark intensivierte empirische Bildungsforschung – dem Schulsystem insgesamt wertvolle Informationen und Analysen zu Stärken und Schwächen zur Verfügung stellen. Die darin enthaltene Expertise, die nicht nur auf einem oft wissenschaftlich fundierten Ansatz und auf einem „Blick von außen“ beruht, sondern auch den Anschluss an internationale Errungenschaften in der Bildungsforschung eröffnet, liefert wertvolle Impulse, die dabei helfen, die Arbeit im Bildungssystem zu verbessern. Auch die Tätigkeit von wirtschaftsnahen Institutionen wie z.B. Branchenverbänden hat positive Effekte, z.B. für die Studienfachwahl von Schülerinnen und Schülern oder für das Entdecken von persönlichen Neigungen und Möglichkeiten. Damit wird nicht zuletzt auch ein Beitrag zur Überwindung von sachfremden Barrieren in der persönlichen Entwicklung von Heranwachsenden geleistet, wie sie z.B. einseitige Rollenvorstellungen, Nachteile durch ungünstige soziale Verhältnisse oder geografische Nachteile sind.

    Nicht zu leugnen ist jedoch, dass speziell auf der Ebene der Bildungs- und Schulpolitik sowie auf der Ebene der Schulbehörden politische und – mit Abstrichen – auch wirtschaftlich orientierte Einflussnahmen ein zum Teil beängstigendes Ausmaß angenommen haben. Eine ganze Reihe von Stiftungen und ähnlichen Organisationen verfolgen einseitige (bildungs-)politische Ziele mit Hilfe von Vorgehensweisen, die oft außerhalb der demokratischen und rechtsstaatlichen Verfahren (wie z.B. Anhörungen) stehen, zum Teil sogar explizit darauf abzielen, diese Verfahren außer Kraft zu setzen bzw. ihrer Wirksamkeit zu berauben. Solchen Vorgehensweisen erteilt der Deutsche Philologenverband eine eindeutige Absage.

    Daher fordert der Deutsche Philologenverband:

    • Ein Lobby-Register für alle Institutionen, Stiftungen und ähnlichen Einrichtungen, die auf die Bildungs- und Schulpolitik Einfluss nehmen bzw. in diesem Bereich tätig sind.
    • Einen jährlichen Bericht jedes Bildungsministeriums und jeder Schulbehörde über formelle und informelle Arten der Zusammenarbeit mit Akteuren aus dem Lobby-Register sowie über die inhaltlichen Auswirkungen bzw. Ergebnisse dieser Zusammenarbeit.
    • Ein generelles Verbot für kostenlose Beratungen, Dienstleistungen und Informationen von Akteuren aus dem Lobby-Register für Bildungsministerien und Schulbehörden. Stattdessen die Verpflichtung, Beratungen und ähnliche Aktivitäten ausschließlich auf Basis von Verträgen und angemessenen Honorarzahlungen zu akzeptieren.

     

    4. Für einen Ethik-Codex für Lobby-Arbeit an Gymnasien

    Auch innerhalb der einzelnen Schulen haben externe Institutionen einen erheblichen Einfluss gewonnen. Sie ermöglichen unter anderem durch Berufsmessen, durch die Unterstützung von Wettbewerben, durch Schülerlabore in Unternehmen und viele andere Aktivitäten eine wertvolle Ergänzung der Unterrichts-, Bildungs- und Erziehungsarbeit an Gymnasien.

    Zugleich ist nicht zu übersehen, dass auch diese Maßnahmen stets als interessengeleitet und mit klaren, vom allgemeinen Bildungs- und Erziehungsauftrag des Schulsystems zu unterscheidenden Zielsetzungen verstanden werden müssen. Diese beiden Aspekte stehen im Idealfall in einer wechselseitig positiv wirkenden Beziehung, können aber auch negative Effekte in Form von Lobby-Arbeit hervorrufen. Eine besondere Gefahr besteht in der möglichen Indienststellung von Schulen für die Personalakquise von Unternehmen oder Branchen, eine weitere in der von sachfremden Erwägungen geprägten Beeinflussung von Schülern hinsichtlich ihrer schulischen und beruflichen Laufbahn, eine dritte in der Einschränkung der pädagogischen Freiheit und der Unabhängigkeit der Lehrkräfte.

    Um eine für alle Beteiligten gewinnbringende Zusammenarbeit von externen Akteuren mit den Gymnasien zu fördern, fordert der Deutsche Philologenverband:

    • Die Erarbeitung eines Ethik-Codexes für externe Einflussnahmen (Lobby-Arbeit) und alle Formen der Zusammenarbeit von Schulen mit externen Akteuren durch eine dafür einzusetzende Ethik-Kommission, in dem unter anderem die akzeptablen Zielsetzungen von solchen Kooperationen, faire und transparente Rahmenbedingungen dafür und Hinweise auf abzulehnende Praktiken und Zielsetzungen definiert werden.
    • Die Verpflichtung aller externen Akteure, die an Schulen mit Maßnahmen, Projekten oder Beratungen tätig sein wollen, auf die Einhaltung des Ethik-Codexes für Lobby-Arbeit und speziell auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte von Schülern und Lehrkräften sowie auf den Schutz der pädagogischen Freiheit der Lehrkräfte.
    • Einen ministeriellen Leitfaden zur Dokumentation von Kooperationen von Schulen mit externen Akteuren, sodass Lobby-Arbeit vermieden werden kann.

     

    5. Für die Stärkung der pädagogischen Freiheit in der Digitalisierung

    Die Digitalisierung hat als einen Nebeneffekt den Einfluss externer Akteure im Schulwesen stark verändert. Bekannte Akteure wie z.B. Schulbuchverlage haben durch innovative Medienangebote ihren Einfluss bis hin zur Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte stark gesteigert. Zugleich sind die Anbieter von Hard- und Softwarelösungen für Schulen als neue Akteure bzw. mit einer neuen Wirksamkeit hinzugetreten. Auch dies hat den Schulen und der Bildungspolitik viele Vorteile gebracht, man denke nur an die Modernisierung von Unterricht oder an die deutlich weiterentwickelten Möglichkeiten im Bereich der Schulverwaltung.

    Gleichwohl hat auch diese Entwicklung ihre Schattenseiten. Es besteht die Gefahr, dass – vermittelt durch entsprechend strukturierte Produktsortimente – Monokulturen einzelner Anbieter in Schulen entstehen, innerhalb derer die einzelne Lehrkraft praktisch nicht mehr die Möglichkeit hat, schüler- und sachgerechte Entscheidungen über Unterrichtsmethoden oder -medien zu treffen, weil sie durch entsprechende Lizenzbestimmungen oder durch Vorentscheidungen über die Auswahl der zur Verfügung gestellten Technik auf bestimmte Vorgehensweisen festgelegt ist.

    Mit Skepsis zu betrachten ist auch der wachsende Einfluss externer Akteure bei der Lehrerfortbildung, durch die oft spezielle Produkte oder auch pädagogische Vorentscheidungen in die unterrichtliche Praxis implantiert werden. Aus dieser Perspektive ist auch die Bindung von Schulverwaltungsprozessen an einzelne Hard- oder Softwareanbieter skeptisch zu betrachten, leistet sie doch einer Entwicklung Vorschub, in deren Folge auch Verfahren und Arbeitsstrukturen im Schulsystem nach den Vorgaben der jeweiligen Produkte gestaltet werden.

    Daher fordert der Deutsche Philologenverband:

    • Eine Modernisierung der Richtlinien über die Zulassung von Unterrichtsmedien mit Blick auf die Digitalisierung.
    • Klare Vorgaben der Länder dazu, wie die pädagogische Freiheit der Lehrkräfte bei Investitionen und Anschaffungen in den Schulen in den Vordergrund gerückt und gestärkt werden kann.
    • Einen kritischen Austausch der Bildungsminister mit externen Anbietern von Lehrerfortbildungen über die Qualitätsstandards, speziell bei der Wahrung der pädagogischen Freiheit der Lehrkräfte.
    • Eine stärkere Förderung freier Software- und Medienangebote für den schulischen Einsatz.
    • Die Selbstverpflichtung der Länder, bei Investitionen der Entstehung von hard- oder softwareseitigen Monokulturen entgegenzuwirken.

     

    13. November 2020

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