von Rainer Heinrich
Bildungsstandards und Aufgabenpool – Auf dem Weg nach mehr Vergleichbarkeit der Abiture
Die Kultusministerkonferenz ist seit Jahren bestrebt, die Vergleichbarkeit der Abiture der Länder weiter zu erhöhen. Letztlich ergibt sich dies aus den politischen Vorhaben der Ländervereinbarung über die gemeinsame Grundstruktur des Schulwesens und die gesamtstaatliche Verantwortung der Länder in zentralen bildungspolitischen Fragen (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 15. Oktober 2020).
Dabei wurde durchaus einiges erreicht:

Quelle: KMK
Es gibt bundesweit geltende Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife in Deutsch, Mathematik und fortgeführter Fremdsprache (Englisch/Französisch) seit 2012. 2020 folgten dann Standards für Biologie, Chemie und Physik. Gleichwohl wurde beschlossen, diese Standards auch zu überprüfen. Deshalb gibt es inzwischen einen gemeinsamen Pool von Abituraufgaben der Länder in diesen Fächern und eine Entnahmeverpflichtung von fünfzig Prozent. Das heißt, jedes Land muss mindestens fünfzig Prozent seiner Prüfungsaufgaben aus eben diesem Pool entnehmen.
Was einfach klingt, musste in der Praxis aufgrund der bestehenden – und von manchem Land hartnäckig verteidigten – Traditionen in schwierigen Diskussionen hart erkämpft werden. Da ging es um Inhalte,
- Welche literarischen Werke müssen in allen Ländern behandelt worden sein?
- Gibt es Themenfelder für die Schreibaufgaben in Fremdsprachen?
- Muss Stochastik verpflichtend gelehrt werden?
aber auch um Rahmenbedingungen
- Wie viel Arbeitszeit hat ein Prüfling im Deutschabitur?
- Können Schülerinnen und Schüler Aufgaben auswählen?
- Muss es ein einheitliches Formeldokument in Mathematik geben?
- Muss eine Chemieprüfung Experimente beinhalten?
- …
Es war schon spannend, die Diskussionen in der KMK-AG Abiturkommission, in der alle Entscheidungen zum Aufgabenpool getroffen werden, zu verfolgen. Im Nachhinein ist es sogar etwas zum Schmunzeln, wie mitunter um zehn oder fünfzehn Minuten Arbeitszeit gekämpft wurde. Trotzdem haben wir nun die Pools für sieben Abiturprüfungsfächer, und es wurden Kompromisse gefunden, mit denen letztlich jedes Land etwas anfangen kann. Gerade sind die Prüfungen in den Naturwissenschaften erstmalig mit Poolaufgaben gelaufen, und es gilt nun zu korrigieren und Ergebnisse abzuwarten.
Wurden die „übrigen Fächer“ vergessen?
Spannend ist aber auch die Frage, wie es in den vielen Fächern weitergeht, in denen wir keine Bildungsstandards haben. Gut, hier gibt es die EPA, kurz: Einheitliche Prüfungsanforderungen für die Abiturprüfung im Fach XXX (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom YYY).
Diese sind ja grundsätzlich auch nicht schlecht, aber eben nicht mehr ganz aktuell. Die EPA Informatik wurde im März 2004 verabschiedet, also vor 21 Jahren. Chinesisch – auch wenn es in dem Fach vergleichsweise wenige Prüflinge gibt – gilt sogar seit April 1998.
Abgesehen davon, dass man über aktuellere Themen und Inhalte in den Fächern diskutieren muss, haben sich gesellschaftliche Anforderungen und Erwartungen, Vorstellungen von Unterricht und von der Bewertung von Schülerleistungen geändert. Das äußere Umfeld (Digitalisierung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Migration, Heterogenität der Schülerschaft) ist naturgemäß nicht mehr das wie vor 20 Jahren.
Die Kultusministerkonferenz hat nun reagiert und 2023 eine grundlegende Überarbeitung der EPA beschlossen. Dabei sollen die EPA nicht durch Bildungsstandards ersetzt werden und es soll keinen gemeinsamen Aufgabenpool in diesen Fächern geben. Das mag man schade finden, aber in vielen EPA-Fächern sind die Populationen von Prüflingen so gering, dass ein bundesweiter Vergleich ohnehin nicht sehr aussagekräftig wäre, etwa in Dänisch, Japanisch oder auch in Philosophie oder Soziologie.
Bis wann und in welchen Fächern soll es neue EPA geben?
Der organisatorische und logistische Aufwand für ein solches Projekt ist gigantisch. Hier leistet das Sekretariat der KMK sehr viel. Um die Überarbeitung für die Länder und die KMK überhaupt umsetzbar zu machen, wird die Überarbeitung in drei sogenannten Kohorten erfolgen.
In der ersten Kohorte werden die EPA in Latein, Alt-Griechisch, Informatik, Geographie, Geschichte, Recht, Sozialkunde/Politik, Wirtschaft, Sport überarbeitet. Hinzu kommen Fächer, die nur an Beruflichen Gymnasien geprüft werden: Wirtschaft, Berufliche Informatik und Technik. Bei der Fächerauswahl wurde u. a. berücksichtigt, dass der gesellschaftswissenschaftliche Bereich bei den Bildungsstandards nicht bearbeitet wurde und dass inhaltlich etwa in Informatik die Überarbeitung zwingend notwendig ist. Der Zeitraum für die erste Kohorte hat am 6. März 2025 im Rahmen einer Auftaktveranstaltung in Berlin begonnen. Vorgesehen ist eine Verabschiedung der EPAs zu Beginn des Jahres 2027.
In der zweiten Kohorte folgen dann nach jetzigem Stand: Kunst, Musik, Darstellendes Spiel, Philosophie, Psychologie, Evangelische Religion, Katholische Religion, Ethik, Erziehungswissenschaft und Ernährung in den Jahren 2026 und 2027.
Schließlich bilden die neuen Fremdsprachen, für die es keine Bildungsstandards gibt, die 3. Kohorte in 2028 und 2029: Chinesisch, Dänisch, Italienisch, Japanisch, Niederländisch, Polnisch, Russisch, Spanisch, Tschechisch und Türkisch.
Damit werden insgesamt nach jetzigem Stand 31 EPA neu gefasst. Ob diese Zahl noch wachsen wird, weil es inzwischen in einigen Ländern auch noch weitere Prüfungsfächer gibt, kann heute noch nicht gesagt werden. Ich bitte um Verständnis, dass die Zeitangaben aktuelle Planungsstände sind und sich durchaus im Erarbeitungsprozess noch Verschiebungen ergeben können. Da es sich aber um ein Projekt der KMK handelt und nicht des Planungsbüros des Berliner Flughafens, dürften sich eventuelle Verzögerungen im Rahmen halten.
Wie entstehen neue EPA?
Inhaltlich zuständig ist der KMK-Ausschuss Gymnasiale Oberstufe. Für die EPA-Überarbeitung wurde eine Steuerungsgruppe aus Mitgliedern des Ausschusses gebildet, in der Vertreter aus 6 Ländern und dem Sekretariat der KMK mitarbeiten.
Die Überarbeitung soll in einem schlanken Verfahren erfolgen, zum einen um effizient zu Ergebnissen zu kommen, zum anderen auch wegen der nur begrenzt zur Verfügung stehenden Expertinnen und Experten in den Ländern. Denn klar ist, dass vor allem Lehrkräfte, die ihr Fach und die Abiturprüfungen kennen, die neuen EPAs schreiben sollen. Und diese sind andererseits inzwischen in allen Ländern knapp.
In der Regel haben zwei bis drei Bundesländer die Federführung für ein Fach übernommen.
Weitere Länder arbeiten in den Autorengruppen mit.
Natürlich werden die Entwürfe einer Fachanhörung (alle Länder, Fachdidaktik, Fachverbände) unterzogen. Zu Beginn des Jahres 2027 könnte dann die Verabschiedung durch die KMK erfolgen. Parallel wird dann schon die Arbeit in der zweiten Kohorte laufen.
Was ist eigentlich neu an den neuen EPA (SPA)?
Die zukünftigen SPA sollen gegenüber den jetzigen EPA moderner sein und sich im Aufbau stärker an den Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife orientieren. Deshalb haben wir ihnen zunächst den Arbeitstitel „Standardorientierte Prüfungsanforderungen“ (SPA) gegeben. Ob der Titel dann so beschlossen wird, müssen die KMK-Gremien entscheiden.
Es sollen wie bei Standards Kompetenzbereiche und Inhaltsbereiche des jeweiligen Fachs ausgewiesen werden und konkrete und vor allem praktikable Hinweise zur Gestaltung von Prüfungsaufgaben in Abiturprüfungen enthalten sein.
Detaillierter möchte und kann ich hier nicht eingehen, da der Entwicklungsprozess gerade erst begonnen hat. Schließlich ging es in diesem Artikel auch nur darum, die Mitglieder über aktuelle Entwicklungen zu informieren.
Dr. Rainer Heinrich ist Referatsleiter im Sächsischen Staatsministerium für Kultus. Außerdem engagiert er sich am Deutschen Zentrum für Lehrerbildung und Mathematik. (Quelle: pvs)