„Populisten liefern nicht, sie schüren Ängste”

    von Karolina Pajdak

    Erfurt – Er ist der Abgeordnete im Thüringer Landtag, der Björn Höcke (AfD) das Direktmandat „weggeschnappt” hat. Im Dezember 2024 hat Christian Tischner (43, CDU) das Amt des Ministers für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Thüringen in einer „Brombeer-Koalition” mit BSW und SPD übernommen. PROFIL sprach mit dem Bildungspolitiker über den Lehrkräftemangel, die Qualität des Abiturs in Thüringen und den richtigen Umgang mit der AfD.

    PROFIL: Minister Tischner, bei der Landtagswahl in Thüringen wurde die AfD stärkste Kraft. Sie selbst haben in Ihrem Wahlkreis das Direktmandat geholt, Ihr „Konkurrent“ dort hieß Björn Höcke. Wie macht man Politik in einem Bundesland, in dem 34,3 % der Wählerinnen und Wähler AfD gewählt haben?

    Christian Tischner holte bei der Landtagswahl 2024 in Thüringen (erneut) das Direktmandat im Wahlkreis Greiz II (Foto: TMBWK)

    CHRISTIAN TISCHNER: Indem man sich um die Anliegen und Sorgen der Menschen kümmert. Ich habe mich als Landtagsabgeordneter immer um meine Region gekümmert und das so authentisch und nahbar wie möglich. Ich habe im Wahlkampf niemals den Namen meines Mitbewerbers in den Mund genommen. Weil ich für mich in Anspruch nehme, dass ich weiß, was die Menschen bewegt und welche Probleme sie gelöst haben wollen – sie wollen Lehrkräfte vor den Klassen, Polizei auf der Straße und Ärzte in den Praxen. Die Leute erwarten, dass Politiker liefern. Populisten liefern nicht, sie schüren Ängste.

    Jammern bringt nichts

    PROFIL: Ihre Aufgabe als neuer Bildungsminister ist es, gegen den Lehrkräftemangel anzukämpfen. Wie wollen Sie das schaffen?

    TISCHNER: Der Lehrkräftemangel hat in Ostdeutschland eine ganz andere Geschichte. Ich schaue als Geschichtslehrer auch gern einmal in die Vergangenheit, denn aus der kann man lernen, darüber zu jammern bringt nichts. In den 1950er Jahren hat sich die SED dazu entschlossen, einen großen Teil der Lehrkräfte auszutauschen, weil sie angeblich aus der NS-Zeit belastet seien. Die Neulehrer, die anschließend eingestellt wurden, sind überwiegend in den 1970er und 80er Jahren in den Ruhestand gegangen und die, die in den 1980er Jahren eingestellt wurden, gehen jetzt in den Ruhestand. In den letzten 30 Jahren wurden bei einer Halbierung der Schülerzahlen in Summe zu wenige neue Lehrkräfte eingestellt, das fehlt uns jetzt auch in der Altersmischung.

    PROFIL: Und die Lösung für Thüringen?

    TISCHNER: Kurz gesagt: Mehr ausbilden, schneller einstellen, Einstellungsverfahren optimieren und Seiteneinsteiger besser unterstützen. Wir erarbeiten im Rahmen des 100-Tage-Programms gerade ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Lehrergewinnung und Reduzierung des Unterrichtsausfalls. Dabei fokussieren wir uns zunächst auf die Lehrerbildung, den Berufseinstieg, die Kollegen in den Schulen sowie spezifische Angebote für ältere Kollegen.

    600 Briefe an Studenten

    PROFIL: Gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten haben Sie 600 Briefe an Lehramtsstudentinnen und -studenten geschrieben, die kurz vor ihrem Abschluss stehen und sie gebeten, in Thüringen zu bleiben. Hat einer geantwortet?

    TISCHNER: Ja, wir haben durchweg positives Feedback bekommen. Viele angehende Lehrkräfte in Thüringen fühlten sich nicht abgeholt, wenn die Bewerbungen draußen sind. Sie sind dann unsicher, ob sie in Thüringen bleiben oder nicht. Deshalb haben wir uns gleich 14 Tage nach Regierungsübernahme entschieden, jedem jungen Lehrer, jeder jungen Lehrerin, zu sagen: Wir brauchen Dich! Klar wird nicht jede neue Einstellung in Erfurt geschehen, aber wir brauchen jede Lehrkraft hier in Thüringen.

    PROFIL: Trotz des Lehrkräftemangels – werden Sie bei der grundständigen Lehrkräfteausbildung bleiben und sich vor allem für die Gymnasialkräfte nicht auf ein duales Lehramtsstudium einlassen?

    TISCHNER: Nein, gerade für Gymnasiallehrkräfte sehe ich hier keine Notwendigkeit. Die linke Landesregierung wollte in Thüringen die Stufenlehrerausbildung durchdrücken, zum Glück konnten wir das als CDU verhindern. Wir halten an der schulartbezogenen Lehrkräfteausbildung fest. Wir haben im Koalitionsvertrag einen Schulfrieden vereinbart, der besagt, dass wir aufhören, bestimmte Schularten in Frage zu stellen.

    Leistungsniveau nach oben fahren

    PROFIL: Hat Ihnen Ihr Amtsvorgänger Helmut Holter eine Art bildungspolitischen Scherbenhaufen hinterlassen?

    TISCHNER: Naja, die vorherigen Landesregierungen haben versucht, alles in ein Gemeinschaftsschulkonzept zu pressen, bis sie gemerkt haben, dass das einen Qualitätsverlust zur Folge hat. Zusätzlich wurde damit begonnen, die Regelschulen für Schüler mit mittlerem Bildungsniveau unattraktiv zu machen, um das Gymnasium langfristig so zur Gemeinschaftsschule umzuwandeln. Das haben wir jetzt gestoppt. Jetzt müssen wir schauen, dass wir die Qualität und das Leistungsniveau des Gymnasiums wieder nach oben fahren. Um also auf Ihre Frage zurückzukommen, sagen wir es so: Aus philologischer Sicht war das Feld nicht bestellt.

    PROFIL: Der Philologenverband wünscht sich, dass Sie in Thüringen bei der verbindlichen und leistungsorientierten Grundschulempfehlung bleiben. Wie stehen Sie dazu?

    TISCHNER: Da sind keine Änderungen geplant. Im Gegenteil, wir werden prüfen, ob wir es noch verbindlicher regeln können und uns noch stärker an Sachsen orientieren.

    Nicht misserfolgsmotiviert abkämpfen

    PROFIL: Sie haben Ihr Abitur selbst an einem beruflichen Gymnasium abgelegt.

    TISCHNER: Ja, ich war zunächst Regelschulschüler. Es soll nicht so sein, dass an den Regelschulen nur die Kinder und Jugendlichen sind, die einen Hauptschulabschluss ablegen werden. Dort muss es auch ein gutes Leistungsniveau in der Breite geben, von Schwächeren und Stärkeren. Am Gymnasium sollten wirklich die sein, die dort auch erfolgreich bestehen können. Es bringt ja nichts, wenn sich Kinder misserfolgsmotiviert am Gymnasium abkämpfen und dann mit gebrochener Bildungsbiografie zurück an die Regelschule gehen. Ich will das Bewusstsein dafür schärfen, dass es auch eine Stärke sein kann, wenn man erst den Realschulabschluss macht und dann ein Abitur ablegt. Der klassische Weg übers Gymnasium ist nicht der einzige Weg zum Abitur.

    PROFIL: Sie regieren in Thüringen in einer sogenannten „Brombeer-Koalition“ mit BSW und SPD. Was hat denn Ihren Koalitionspartner dazu gebracht, die deutlich verschärften Zugangsbedingungen fürs Gymnasium mitzutragen?

    TISCHNER: Ich denke, hier hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass das Feldexperiment mit Inklusion und Gemeinschaftsschule nicht erfolgreich war. Auch weil hier Theorie und Praxis nicht zusammengepasst haben. Das wurde von meinen Vorgängern leider ignoriert. Aber Bildungspolitik muss realistisch sein und von dem ausgehen, was vorhanden ist.

    PROFIL: Das heißt konkret für Sie?

    TISCHNER: Wir möchten keine Schulentwicklung von oben betreiben, sondern von unten, also von den einzelnen Schulen her denken und unterstützen. Schulkonzepte müssen vor Ort entstehen, da sollen alle Schularten unterstützt werden, nicht nur die Gemeinschaftsschule. Dazu braucht es Ressourcen, ein gutes Schulbudget, was in Thüringen auch unheimlich bürokratisiert wurde, vielleicht bewusst, damit die Schulen möglichst von oben geführt werden. Das wollen wir umdrehen. Aber: Die Schulaufsicht – das muss klar sein – liegt oben.

    Lehrkräfte erthalten für den Beruf

    PROFIL: Sie sind der einzige Kultusminister der Länder, der selbst Gymnasiallehrer ist. Finden Sie den Beruf noch attraktiv?

    TISCHNER: Natürlich! Jemand, der Lehrer wird, macht das, damit er mit Kindern arbeiten kann und sie für das Leben befähigt. Und diese Zeit, die brauchen wir als Lehrer prioritär wieder für unsere Kinder, für unsere Jugendlichen, um abwechslungsreiches Lehren und Lernen zu gestalten, auch um Freizeiten und außerschulisches Lernen mit ihnen zu gestalten. Der Beruf muss noch attraktiver werden – indem wir Bürokratie abbauen, weniger Dokumentation betreiben und besser mit den Elternhäusern zusammenwirken. Andererseits müssen sich auch Lehrkräfte fit halten für den Beruf. Da müssen wir unterstützen mit guten Weiterbildungsangeboten und der nötigen Zeit dafür, diese wahrzunehmen. Viele Kolleginnen und Kollegen leisten wirklich weit, weit mehr als das, was sie leisten müssten, weil sie sich sagen: Ich kann doch nicht zulassen, dass hier alles zusammenbricht – es geht um unsere Zukunft.

    PROFIL: Was muss passieren, damit Lehrkräfte wieder mehr Zeit für guten Unterricht haben?

    CHRISTIAN TISCHNER: Weniger Bürokratie! Ich hoffe, dass uns da die Digitalisierung noch mehr Entlastung verschafft. Und ja, Datenschutz ist wichtig. Aber es gibt schon technische Unterstützung, die uns helfen würde, aber aufgrund des Datenschutzes nicht verwendet werden darf. Hier hoffen wir, in Thüringen nochmal ansetzen zu können.

    PROFIL: Wie wollen Sie die Qualität des Thüringer Abiturs erhalten?

    TISCHNER: Wir brauchen mehr Lehrkräfte, vor allem in den Naturwissenschaften, aber inzwischen auch in Musik oder Fremdsprachen, damit der Unterricht garantiert werden kann. Wir müssen dringend darauf achten, dass der Unterrichtsausfall nicht höher wird. Wir brauchen in Thüringen kein G9, um die Qualität des Abiturs hochzuhalten, wir bekommen das auch weiter in zwölf Schuljahren hin.

    v.l.n.r.: Thüringer
    Philologin Vesela Oehler, Staatssekretär Dr. Bernd
    Uwe Althaus, Heike Schimke (Vorsitzende des Thüringer
    Philologenverbandes), Minister Christian Tischner, DPhV-Vorsitzende Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing und Ines Musch (stellv. Vorsitzende des TPhV)

    PROFIL: Müssen Gymnasiallehrkräfte auch mal an der Realschule „aushelfen“?

    TISCHNER: Ich weiß, das Thema gefällt dem DPhV nicht, aber Sachsen macht das ganz geschickt: Dort werden zusätzliche Kolleginnen und Kollegen als Gymnasiallehrkräfte eingestellt, müssen dann aber auch die Bereitschaft aufbringen, eine gewisse Zeit an der Mittelschule auszuhelfen. So eine sächsische Durchlässigkeit möchte ich auch in Thüringen aufbauen, denn gerade viele junge Lehrkräfte haben ein Bewusstsein für diesen Schulartenwechsel. Hier muss man aber mit Augenmaß vorgehen.

    PROFIL: Minister Tischner, Sie kennen den Deutschen Philologenverband gut. Welche Werte teilen Sie?

    CHRISTIAN TISCHNER: Ich bin ein großer Freund des differenzierten Schulsystems – auch des leistungsorientierten Schulsystems und des durchlässigen. Durch meine eigene Biografie – Grundschule, Regelschule, berufliches Gymnasium, Universität, Studienseminar und dann Gymnasiallehrer – hat es für mich einfach immer Sinn gemacht, dass es diese einzelnen Schularten gibt. Die Menschen sind unterschiedlich, auch in ihrer Leistungsfähigkeit.

    Verfassungsviertelstunde geplant

    PROFIL: Deutschland hat gewählt. Der Osten Deutschlands hat sich mit großer Mehrheit für die AfD entschieden. Was müssen Schülerinnen und Schüler dringend über Populismus lernen?

    TISCHNER: Gefährlich ist nicht per se der Populismus, sondern radikales und extremistisches Gedankengut. Ich komme gerade von einem Besuch der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora und das Wichtigste ist – auch für mich als Geschichtslehrer –, dass wir die historisch-politische Bildung gerade in den Schulen stärken. Wir werden in Thüringen ein neues Gedenkstättenkonzept entwickeln. Wir werden uns – wie in Bayern – die Verfassungsviertelstunde vornehmen, zunächst als Modellprojekt, dann aber hoffentlich ziemlich schnell flächendeckend.

    PROFIL: Der Philologenverband wünscht sich, dass Lehrkräfte bereits in der universitären Ausbildungsphase die Möglichkeit bekommen, sich vertieft mit dem Grundgesetz auseinanderzusetzen. Ist das nicht angesichts solcher Wahlergebnisse – in Thüringen wie auch im Bund – dringend nötig?

    CHRISTIAN TISCHNER: Ja, ich glaube, das muss ein bundespolitischer Weg werden. Wir sind gerade dabei, die Hochschulrahmenvereinbarungen in Thüringen zu erneuern. Da wird jetzt endlich auch die Lehrkräftebildung eine sehr verbindliche Rolle spielen und dieser Punkt muss da auch noch deutlicher mit verankert werden.

    PROFIL: Ist Friedrich Merz der richtige Kanzler?

    TISCHNER: Wir können alle nicht zaubern, aber wir müssen Politik für die Mehrheit der Bevölkerung machen, Probleme lösen und anpacken. Ich bin da bei Friedrich Merz sehr zuversichtlich.

    PROFIL: Minister Tischner, herzlichen Dank für das Gespräch!

     

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