von Walter Tetzloff
Die Stadt am Goldenen Tor und das Zukunftslabor Silicon Valley. Für viele Deutsche haben diese beiden Orte etwas Mythisches. San Francisco wurde spätestens in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zum Sehnsuchtsort in der jungen Bundesrepublik, die nach Krieg und Naziherrschaft erst mühsam den Weg zu einer guten Portion Weltoffenheit finden sollte. Die Sehnsucht nach der schönen Stadt im fernen Westen der großen Vereinigten Staaten, diese Sehnsucht wurde ganz kräftig stimuliert durch Filme und unzählige Songs wie Tony Bennetts „I left my heart in San Francisco“, und zwei Jahrzehnte später bekamen die Deutschen via Fernsehen einen ziemlich genauen Einblick in die hügeligen „Straßen von San Francisco“ (so die gleichnamige Fernsehserie) oder die polizeilichen Ermittlungsmethoden des „Chefs“, des im Rollstuhl sitzenden Inspektor Robert Ironside.
Silicon Valley. Dieses Gebiet südlich von San Francisco um das zur Millionenstadt gewachsene San Jose, das ein touristisches Schattendasein führt, obwohl es größer ist als San Francisco, das man bitte niemals „Frisco“ nennen sollte, weil das die Einwohner gar nicht mögen, so ein bekannter Buchtitel („Don’t call it Frisco!“). Das Silicon Valley jedenfalls, dessen städtischer Grundriss wie auch seine Bauten wenig gemeinsam mit der Metropole am Pazifik haben, dieses Laboratorium des Wissens, der digitalen Revolution und der Chipherstellung wurde Mitte der 1980er Jahre zum Mekka von Forschung und Wirtschaft und ab Ende der 90er Jahre zum Center des Dotcom Booms.
Hier nun hat sich die German International School of Silicon Valley (GISSV) angesiedelt, eine deutsche Schule mit zwei Standorten in San Francisco und Mountain View, im Herzen des Silicon Valley, die zwei wichtige Ausbildungsphasen widerspiegeln. In einer ruhigen Straße im Süden von San Francisco, zwischen zwei gar nicht so ruhigen, sondern ziemlich schillernden Stadtteilen, nämlich Castro und Haight/Ashbury, die für alternative Lebensweisen standen bzw. stehen, findet man in einer Nebenstraße ein Gebäude, das eher einem gutbürgerlichen Wohnhaus gleichkommt, das vor gut hundert Jahren von irischen Einwanderern erbaut wurde und nach wie vor im Besitz der Katholischen Kirche ist. Hier trifft man auf einen der beiden Standorte der Schule, und hier begegnet man einer gleichsam munteren, aufgeschlossenen Schar von Kindern im Alter von drei bis 13 Jahren. Das Angebot für die gegenwärtig 116 Schülerinnen und Schüler reicht von der Preschool, der einjährigen Vorschule (Kindergarten) über die Elementary School, die unserer Grundschule vergleichbar ist, bis zur Middle School mit den Klassen 5 bis 8. Wer danach den Schulbesuch fortsetzen und das Abitur unter deutschen Bedingungen erwerben möchte, muss die nächsten vier Jahre Schulzeit in Mountain View verbringen, am Hauptstandort der GISSV, der eine Autostunde von San Francisco entfernt ist. Die deutsche Schulaufsicht, auch für die Abiturprüfung, liegt gegenwärtig beim Land Berlin. Am Standort in Mountain View reicht das Angebot von der Pre-School bis zur High School. Und auch das California High School Diploma kann erworben werden.
Für uns Besucher aus der Heimat haben sich gleich drei kompetente und freundliche Gastgeber Zeit genommen. Mit Informationen und Kaffee versorgen uns Frau Dr. Alexandra Blank, Frau Stefanie Wenk und Herr Mike Nielsen. Alexandra Blank stammt aus Hamburg und ist als stellvertretende Schulleiterin zuständig für beide Standorte. Sie kam 2022 in die Vereinigten Staaten und war zwei Jahre lang Prozessbegleiterin für die Deutschen Auslandsschulen in den USA und Kanada. Seit August dieses Jahres führt sie das Kollegium und die Schülerschaft bis zum Abitur, eine Aufgabe, die sie als kommissarische Schulleiterin übernommen hat und verantwortungsvoll und umsichtig ausübt.
Stefanie Wenk, so aufgeschlossen, wie man es den Sachsen nachsagt, hat die Standortleitung in San Francisco inne. Hier lebt sie mit ihrer Familie, d. h. ihrem Ehemann, der beruflich in den USA tätig ist, und den beiden Kindern, die in einem Alter sind, in dem auch sie gern das Angebot der Internationalen Schule hier annehmen.
Mike Nielsen ist der Verwaltungsleiter und zuständig für beide Standorte der Schule. Auch er hat einen pädagogischen Hintergrund als ausgebildeter Lehrer und bringt Lebenserfahrung und eine gute Portion Weltläufigkeit mit. So blickt er auf 25 Jahre Erfahrung in und mit Deutschland zurück, wo er in der Führungsetage eines börsennotierten Anlagenbauers in Köln saß.
Alle drei Gesprächspartner geben Einblicke in die Schulgeschichte, das Schulprofil und ihre Arbeit hier. Die GISSV wurde im Jahr 2000 gegründet, und zwar zunächst nur in Mountain View im Silicon Valley. 2012 kam San Francisco als zweiter Standort hinzu, zunächst in einem Gebäude, später drei Einzelgebäuden, im Stadtteil Presidio, von wo aus man dann vor wenigen Jahren in den Castro umzog.
Das Schulleben an beiden Standorten fällt in zweierlei Hinsicht auf: Kleine Lerngruppen mit modernen Lernarrangements dominieren und werden angenommen. Die freiwillige Entscheidung der freundlichen Schülerinnen und Schüler für Arbeit in kleinen Teams oder für den eigenständigen Wissenserwerb ist ebenso möglich und praktikabel wie die Orientierung an der Lehrkraft und ihrem Wissensvorsprung. Hinzu kommt eine schülernahe Medienausstattung.
Zum Zweiten ist die Schule reich an außerunterrichtlichen Angeboten, die das Zusammenleben fördern und die Einbindung in zwei Nationen und ihre kulturellen Eigenarten nicht nur berücksichtigen, sondern intensivieren. Zu nennen wären hier der Middle School Dance im Herbst, das Sankt-Martin-Laternenfest oder ein von der Schule ausgerichteter Weihnachtsmarkt, dieser am Standort in Mountain View. Dieser findet nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern auch die aktive Unterstützung Schulgemeinschaft. Überhaupt ist das Elternengagement ein auffälliges Merkmal dieser Schule. Der Identifikationsgrad der Elternschaft mit ihr ist groß, die Erwartungen an eine fundierte, dem sprichwörtlichen Bildungsziel einer deutschen Allgemeinbildung verpflichtete Bildungsidee ist es auch. Es besteht eine große Anmeldebereitschaft, die durchaus Ausdruck dieser Erwartung ist. Einen Platz an dieser Schule zu bekommen, darum bemühen sich nicht nur amerikanische oder deutsche Eltern in dieser Stadt, sondern auch Menschen aus lateinamerikanischen Ländern, Osteuropa Asien und aus aller Welt. Viele Bevölkerungsgruppen trifft man in hoher Zahl in der pazifischen Hafenstadt.
Zum pädagogischen Konzept der Schule mit den zwei Standorten gehört auch ein Ineinandergreifen der Bildungsabschnitte, d. h. in der Praxis, dass an jedem Dienstag Schülerinnen und Schüler nach Mountain View fahren, um mit den dortigen 7. und 8. Klassen zu arbeiten. Umgekehrt erscheinen auch die Schülerinnen und Schüler aus Mountain View gern zu Schulveranstaltungen in San Francisco.
Über einen Mangel an überregionaler Anerkennung muss sich die GISSV nicht beklagen. Zu nennen wäre hier die Verleihung des Titels „Smart School“, der IHK-Preis 2022/23 oder Auszeichnungen für eine moderne Medienerziehung.
Auf unserer Seite des Atlantiks darf man sich freuen über diese Schule, in der Völkerverständigung und die Pflege deutscher und europäischer Kultur eine schöne und ergiebige Synthese bilden.