„Der normale Weg wird immer das klassische Lehramtsstudium sein”

    von Karolina Pajdak

    Theresa Schopper (63, Grüne) ist Diplom-Sozilogin und seit Mai 2021 Kultusministerin von Baden-Württemberg, Credit: Kultusministerium Baden-Württemberg

    Stuttgart – Sie hat sich nicht weniger vorgenommen als die größte Bildungsreform in Baden-Württemberg seit Jahrzehnten! Im Interview mit PROFIL erklärt Kultusministerin Theresa Schopper (63, Grüne), was das „neue G9” bedeutet, wo die zusätzlichen Lehrkräfte dafür herkommen und wie sie den Zustand ihrer Partei auf Bundesebene empfindet.

    ❓PROFIL: Ministerin Schopper, Sie sind seit mehr als vierzig Jahren Mitglied der Grünen, waren zehn Jahre lang sogar Landesvorsitzende Ihrer Partei in Bayern. Sind Sie mit der Grünen-Performance auf Bundesebene aber auch bei den Landtagswahlen 2024 zufrieden?

    THERESA SCHOPPER: Die Wahlergebnisse sind für uns natürlich grausig, da muss man ja nicht drum rumreden.

    ❓Was muss sich ändern, Ministerin Schopper?

    SCHOPPER: Wir müssen jetzt zeigen: Wir machen starke Sachpolitik, gute Lösungsvorschläge und verbinden das mit einem sympathischen, glaubwürdigen Auftritt. Das ist natürlich leichter gesagt, als getan, aber an der starken Sachpolitik sind wir im Kultusbereich in Baden-Württemberg jedenfalls dran.

    ❓Sie haben sich Großes vorgenommen, eine Schulreform auf den Weg gebracht, die auch eine Rückkehr zu G9 ab dem Schuljahr 2025/26 vorsieht. Was versprechen Sie sich von diesen Maßnahmen?

    MINISTERIN SCHOPPER: Wir setzen gerade die größte Bildungsreform seit Jahrzehnten um: Das Sprachförderprogramm „SprachFit“ setzt schon vor dem Schulbeginn an, weil wir wissen: Auf den Anfang kommt es an! Hier werden die Grundlagen gelegt, hier werden die Basiskompetenzen erworben, darauf baut alles andere später auf. Selbst der Spaß an der Schule und die Freude am Lernen entstehen hier – oder eben nicht. Deshalb beginnen wir schon im frühkindlichen Bereich. Wir wollen, dass künftig kein Kind mehr eingeschult wird, das nicht das nötige Rüstzeug mitbringt, um erfolgreich die Grundschule zu bestehen. Deshalb werden Kinder, die noch nicht bereit für die erste Klasse sind, künftig in einer sogenannten Juniorklasse nochmal ein Jahr mehr Zeit bekommen, um sich die notwendigen Vorläuferqualifikationen anzueignen.

    Am anderen Ende, mit dem neuen G9, entlasten wir unsere Schülerinnen und Schüler zeitlich, setzen aber gleichzeitig neue Schwerpunkte, und zwar bei den Kompetenzen, die in den kommenden Jahren besonders gebraucht werden. Das sind spannenderweise genau die, in denen Baden-Württemberg schon immer stark war: die naturwissenschaftlichen. Zuerst stärken wir deshalb in den ersten Jahren am Gymnasium nochmal die Basisfertigkeiten, dann erweitern wir um die neuen Schwerpunkte Informatik, Medienbildung und Künstliche Intelligenz. Die Demokratiebildung kommt als Innovationsschwerpunkt hinzu. Diese Bausteine übertragen wir dann angepasst auch auf die anderen Schularten.

    ❓Ein zusätzliches Schuljahr fordert mehr Personal. Wie stellen Sie sicher, dass 2032 – wenn G9 vollständig über alle Klassenstufen gewachsen ist – genügend Lehrkräfte an den Gymnasien vorhanden sind?

    SCHOPPER: Das neue G9 wächst ja erst auf. Das bedeutet, dass wir zunächst weniger Ressourcen benötigen. Uns allen sollte dabei bewusst sein: Personalmaßnahmen brauchen ihre Zeit. Um im Jahr 2032 ausreichend Lehrkräfte für den zusätzlichen Jahrgang zu haben, müssen wir frühzeitig Gymnasiallehrkräfte für das System binden. Dazu sind wir aktuell in der Planung.

    Wie animieren Sie angehende Lehrkräfte, sich für die sogenannten Mangelfächer zu interessieren?

    MINSTERIN SCHOPPER: Zunächst: Mit Mangelfächern sind die Chancen auf Stellen in den jeweiligen Wunschregionen viel besser! Über diverse Möglichkeiten wie den Direkteinstieg oder den Dualen Master versuchen wir, den interessierten Personenkreis zu verbreitern und damit mehr Menschen zu angehenden Lehrkräften zu machen. Überdies haben wir das Ausschreibungsverfahren diversifiziert, und wir setzen mit unseren Innovationselementen ja schon in der Schule an, um mehr Kinder und Jugendliche etwa für MINT-Berufe zu begeistern. Und ich möchte auch hier nochmal betonen: Lehrerin oder Lehrer zu sein ist fordernd, ja. Aber der Beruf ist sicher, sinnstiftend und gut bezahlt. Und es gibt kaum erfüllendere Aufgaben, als junge Menschen auf einen guten Weg zu bringen.

    Wann werden auch in Baden-Württemberg Schulkonten eingeführt nach dem Beispiel von Sachsen?

    SCHOPPER: Wir haben uns die Regelung in Sachsen sehr genau angeschaut und uns dagegen entschieden. Die damit verbundene Bürokratie wäre enorm, insbesondere für die Schulleitungen. Wir sind aber an dem Thema dran und werden demnächst mit einer guten Alternative auf die Schulen zugehen.

    Gibt es einen Handlungsleitfaden für das geplante Coaching in den Klassen 7 und 10, der den Rahmen dieser Gespräche festlegt? Eine 1:1-Situation hinter verschlossenen Türen sollte doch vermieden werden, oder?

    MINISTERIN SCHOPPER: Sie meinen bestimmt das Schülermentoring. Hierzu finden gerade Gespräche statt, an denen auch Praktikerinnen und Praktiker teilnehmen – und genau solche Detailaspekte werden dort besprochen. Es ist jetzt noch zu früh, um dazu etwas zu sagen. Mir ist wichtig, dass wir zu Lösungen kommen, die vor Ort gut funktionieren.

    Angesichts der vielen Herausforderungen im Rahmen schulischer Demokratiebildung sollte aus Sicht des DPhV den Lehramtsstudierenden in der ersten Phase der Lehrkräftebildung die Möglichkeit zur vertieften Auseinandersetzung mit unserem Grundgesetz gegeben werden. Kommen Sie dazu mit der Wissenschaftsministerin ins Gespräch?

    SCHOPPER: Wir haben die Demokratiebildung in unsere Rahmenvorgaben aufgenommen. Sie ist also bereits Teil unserer Lehramtsausbildung und mit Recht: Die aktuellen Zeiten führen uns ja fast täglich die Bedeutung der Verteidigung unserer Grundwerte vor Augen. Die Ausgestaltung der Studiengänge liegt bei den jeweiligen Hochschulen vor Ort – die Einrichtungen müssen sich aber natürlich an die Rahmenvorgaben halten, die das Kultusministerium im Einvernehmen mit dem Wissenschaftsministerium festlegen. Ich bin dazu wie bei vielen anderen Dingen auch mit meiner Kollegin Petra Olschowski in ständigem und gutem Austausch.

    Die Arbeitsbelastung für Lehrkräfte hat durch viele neue Aufgaben (u.a. Digitalisierung, Inklusion) immer mehr zugenommen. Wie wollen Sie hier entlasten?

    MINISTERIN SCHOPPER: Wir entlasten unsere Schulleitungen beispielsweise mit dem Schulleitungspaket, da steckt ja eine Erhöhung der Anrechnungsstunden drin. Wir fördern multiprofessionelle Teams, um unsere Lehrkräfte von nicht-pädagogischen Aufgaben zu entlasten. Wir fordern die Schulträger auch immer wieder auf, mit Verwaltungs- und IT-Fachkräften die Schulen zu entlasten. Für die Zukunft sollten wir auch das Potenzial von KI nicht vergessen: Die Hälfte der Lehrkräfte nutzt Künstliche Intelligenz und erfährt dadurch Entlastung. Ich habe mir das vor Ort angeschaut und gesehen, wie stark KI beim Korrigieren oder dem Erstellen von Aufgaben unterstützen kann.

    Das Recht auf Fort- und Weiterbildung ist verankert, gleichwohl gibt es im Alltag immer wieder Probleme wegen Engpässen in der Personalsituation. Welche Verbesserungen wollen Sie hier vornehmen?

    SCHOPPER: Unser Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung hält ein umfangreiches Qualifizierungs- und Fortbildungsangebot bereit. Das wird anlässlich der Bildungsreform und des neuen G9 nun nochmal angepasst und weiterentwickelt. Genauso ist es aber wichtig, dass sich alle Beteiligten an den Schulen und um die Schulen herum der Bedeutung von Fortbildungen bewusst sind. Das Angebot ist da, es muss genutzt werden, schließlich sind Fortbildungen eine unbedingt notwendige Investition in die Unterrichtsqualität. Unser tägliches Bemühen um die Verbesserung der Unterrichtsversorgung zahlt letztlich auch auf die Fortbildungsmöglichkeiten ein.

    Der DPhV spricht sich gegen ein ausbildungsintegrierendes, einphasiges duales Lehramtsstudium für das Gymnasium aus. Kann der Verband hier auf Sie zählen?

    MINISTERIN SCHOPPER: Jetzt lassen Sie uns dem Versuch doch mal eine Chance geben und schauen, was wir daraus lernen können. Unsere angehenden Lehrkräfte erwerben erst im Studium und danach im Vorbereitungsdienst fachwissenschaftliche, -didaktische, bildungswissenschaftliche und schulpraktische Kompetenzen. Auch beim neuen Dualen Master ist das der Fall. Das ist auch richtig so, denn wir wollen immer das bestmöglich qualifizierte Personal. In den Mangelfächern werden wir nach dem Bachelor noch einen eigenen Versuch in Angriff nehmen. Aber seien Sie versichert: Wir haben in Baden-Württemberg eine sehr gute Lehrkräfteausbildung und wir werden bei der Qualität keine Abstriche machen. Der normale Weg wird immer das klassische Lehramtsstudium sein.

    ❓Die Bildungssprache Deutsch ist für die Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler wichtig. Der DPhV erwartet, dass unterrichtende Lehrkräfte unabhängig von ihrer „Muttersprache“ die Sprache Deutsch auf dem Niveau C2 beherrschen. Sie auch?

    SCHOPPER: Bewerberinnen und Bewerber ohne Deutsch als Muttersprache müssen für das Bewerbungsverfahren die erforderlichen deutschen Sprachkenntnisse nachweisen. Dieser Nachweis erfolgt grundsätzlich mittels C2-Zertifikat. Legen sie nur einen Nachweis für C1-Niveau vor, müssen sie zusätzlich erfolgreich ein Sprachkolloquium absolvieren, mit dem sie C2-Niveau nachweisen.

    Ministerin Schopper, Ihre Legislaturperiode endet 2026. Was wollen Sie bis dahin noch unbedingt erreichen?

    MINISTERIN SCHOPPER: Wir wollen den Start der Bildungslaufbahn weiter intensiv in den Blick nehmen. SprachFit ist ein administrativ enorm anspruchsvolles Programm. Wir brauchen drei Jahre, um das Angebot landesweit flächendeckend hinzubekommen, erst dann können wir in die Verbindlichkeit einsteigen. Bedenken Sie: Es geht um tausende Lehrkräfte, Standorte, Fortbildungen, Qualitätssicherung und, und, und …

    Wir werden außerdem das neue G9 mit Leben füllen. Mit Startchancen BW werden wir einen großen Hebel für mehr Bildungsgerechtigkeit umlegen. Das wiederum müssen wir eng mit dem Thema Ganztag zusammendenken, dessen Rechtsanspruch wir gemeinsam mit den Kommunalen Partnern umsetzen. Die Sicherung der Unterrichtsversorgung und die Gestaltung der Digitalisierung sind weitere große Punkte auf einer proppenvollen Agenda. Wichtig ist mir, dass im Mittelpunkt unserer Diskussionen stets unsere Kinder und Jugendlichen stehen. Ihre Talente wollen wir stärken und
    jeden zu dem Abschluss führen, der für sie oder ihn am besten ist. Gleichzeitig ist es mir wichtig, dass wir unsere Lehrkräfte im Blick haben. Sie sind entscheidend, wenn es darum geht, den jungen Menschen die Tür zu Wissen und Bildung zu öffnen, sie prägen Kinder und Jugendliche oft ein Leben lang. Das sollten wir alle immer wieder wertschätzen.

    ❓Und was sollten die Grünen auf Bundesebene bis dahin erreicht haben?

    MINISTERIN SCHOPPER: Wir haben viel erreicht. Ich bin zuversichtlich, dass das auch wieder mehr gesehen wird.

    Nach oben