Vor 125 Jahren wurde Erich Kästner geboren – vor 50 Jahren starb er
Von Walter Tetzloff
Für viele von uns war er ein Begleiter durch unsere Kindheit: Erich Kästners weltberühmte und mehrfach verfilmte Kinderbücher dürften der Beweis dafür sein, dass Qualität und Quantität (kommerzieller Erfolg) sich nicht zwangsläufig ausschließen müssen, sondern manchmal sogar einander bedingen. In Kästners Fall heißt dies: Die Einfühlsamkeit des Autors, den seine Kindheit in Dresden lebenslang geprägt hat, und das erzählerische Talent, das sich in der eingenommenen Perspektive eines Jungen ausdrückt, der entbehrungsreich, aber gestärkt durch die Liebe seiner Mutter, aufwächst, gehen in dem Jugendroman „Emil und die Detektive“ (1929) eine wunderbare Synthese ein.
Emil wird bekanntlich zum Opfer eines Diebstahls im Zug von Dresden nach Berlin, und bei der Verfolgung des Diebes in den Straßen der Hauptstadt zur Zeit der Weimarer Republik gelingt es ihm nicht nur, den Täter zu schnappen, sondern erfährt auch noch eine neue Form der Sozialisation, hier durch eine lebensnah beschriebene Clique Berliner Großstadtgören. Ein Buch von zeitloser Aussage und unterhaltender Spannung, so dass sein anhaltender Erfolg eigentlich nicht verwundert.
Weltruhm für den Kinderbuchautor
Erich Kästner fühlte sich jedenfalls motiviert, weitere Kinderbücher zu schreiben. „Das fliegende Klassenzimmer“ (1933) über zwei rivalisierende Schülergruppen ist von überraschender Aktualität, weil hier Internatsschüler mit Realschülern aneinander geraten, und von keineswegs überholter Sozialkritik ist „Pünktchen und Anton“ (1931), das von der Freundschaft zweier Kinder aus sehr unterschiedlichen Schichten bzw. Milieus erzählt. Trotz seines heiteren und komödiantischen Plots ist auch „Das doppelte Lottchen“ (1949) nicht frei von Gesellschaftskritik, die hier Scheidungskinder und alleinerziehende berufstätige Mütter in den Vordergrund stellt und deren Lebensform in der Nachkriegszeit enttabuisiert.
Die Erscheinungsjahre der genannten Kinderbücher zeigen es bereits: Die dunklen Jahre des Nationalsozialismus bedeuteten für Kästner ein Publikationsverbot. Der beliebte Schriftsteller musste 1933 Bücherverbrennungen miterleben (auch die seiner Werke) und, wenn er denn veröffentlichen wollte, auf Pseudonyme zurückgreifen.
Kein Weg ins Exil
Hier wird bereits ein entscheidendes Merkmal seiner Biographie deutlich. Kästner (wie auch Gerhart Hauptmann) floh vor persönlichen Repressalien nicht ins Ausland, wie Thomas Mann, Bertolt Brecht oder so viele andere Kulturschaffenden, sondern hielt die kulturelle Barbarei der Diktatur aus. Widerspruchsfrei war Kästners Leben und Wirken in den zwölf Jahren der NS-Herrschaft nicht! Er arrangierte sich insofern mit den Verhältnissen, als er als begabter Verfasser von Drehbüchern für zum Teil anspruchslose Unterhaltungsfilme und auch aufgrund von Verlagseinkünften aus dem Ausland, die man ihm ließ, ein Leben nicht ohne materielle Annehmlichkeiten führte. Andererseits musste er Verhaftungen durch die Gestapo erleben und offizielle Diffamierungen hinnehmen, da seine vor 1933 veröffentlichten Werke des propagierten heroischen „deutschen Geistes“ völlig entbehrten (Goebbels) und sein Bekenntnis zu sozialistischen Idealen der Zwischenkriegszeit den Zorn der Nationalsozialisten auf sich zog.
Der Roman „Fabian“ (1931) erzählt schließlich nicht von einem deutschen Helden, der sich mannhaft dem Verführungspotential der modernen Großstadt in der Weimarer Zeit entzieht, sondern im Gegenteil dessen Opfer wird – ein Grund für öffentliche Bücherverbrennung!
Lyrik im Stil der Neuen Sachlichkeit
Auch die literarische Gattung Lyrik verdankt dem Dresdner Autor viel. Das nachhaltigste Beispiel ist sicher die Gedichtsammlung „Dr. Erich Kästners Lyrische Hausapotheke“, die ein Schweizer Verlag 1936 veröffentlichte. Darin findet sich eines der berühmtesten Kästner-Gedichte, das er bereits 1926 schrieb und das mehrere Schülergenerationen als Beispiel für die Stilrichtung der Neuen Sachlichkeit lesen und manchmal lernen durften: „Sachliche Romanze“. Der Widerspruch, der sich hier bereits im Titel zeigt, wird in dem kleinen Gedicht ohne jegliches Pathos und gänzlich ohne Sentimentalität offenbar. Die im nüchtern-lakonischen Stil erzeugte subtile Traurigkeit wird gleich zu Beginn greifbar:
Als sie einander
acht Jahre kannten
(und man darf sagen:
sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe
plötzlich abhanden
Wie anderen Leuten
ein Stock oder Hut.
Erich Kästners Leben und Werk werden nur sehr unzureichend erfassbar, wenn man versucht, beides von seinen persönlichen Beziehungen und von seiner Heimatstadt Dresden zu isolieren. Auffällig an seiner Kindheit und Jugend ist die enge Mutterbindung. Diese bleibt eine Konstante in Kästners Leben, und sie findet ihre literarische Entsprechung im Personal seiner Romane, man denke an Emils Mutter in seinem Detektivroman. Der Teilnahme am Ersten Weltkrieg folgen Gymnasialzeit, ein philologisches Studium und 1925 die Promotion. Titel seiner Dissertation: „Die Erwiderungen auf Friedrichs des Großen Schrift ‚De la litttérature allemande‘. Als Autor für verschiedene Zeitschriften schafft er sich ein Netzwerk und Kontakte zu Schriftstellern der Neuen Sachlichkeit wie Ernst Toller oder dem später in die USA emigrierten Lion Feuchtwanger.
Dann, in der Endphase der Weimarer Republik, die Jahres des Erfolgs: Die schon erwähnten Kinderbücher führen den Dresdner Autor zu Berühmtheit, einem respektablen Einkommen und dies auch wegen der zahlreichen Übersetzungen.
Erich Kästner in der Nachkriegszeit
Trotz der Verhaftungen in der Frühphase des Nationalsozialismus bleibt der Schriftsteller in Deutschland, hofft auf ein baldiges Ende des menschen- und kunstfeindlichen Regimes … und arrangiert sich gleichzeitig mit diesem. Als Drehbuchautor und Romancier mit Pseudonym erlebt und übersteht er die Jahre der Diktatur, was nicht von allen seiner Schriftstellerkollegen akzeptiert wird. Dennoch: Der Ruhm verblasst nicht in der Zeit der jungen Bundesrepublik, der Ruhm nicht, wohl aber ganz allmählich die Schaffenskraft. Preise und Anerkennungen häufen sich, Kästner-Ausstellungen 1964 und 1999, also zehn Jahre vor und 25 Jahre nach seinem Tod können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Beziehungsprobleme und hoher Alkoholkonsum nicht mehr zu wirklich bedeutenden Werken führen. Der Ruhm bleibt, aber er hat seinen festen Platz in der Literaturgeschichte der Zwischenkriegszeit. Das ist nicht wenig.
Fazit: Erich Kästner bleibt ein großartiger Erzähler und Lyriker; ein Intellektueller mit einem klaren gesellschaftskritischen Standpunkt, aber niemand, der gegen die Diktatur aufbegehrt hat – wie dies seine Kollegen Brecht, Mann, Feuchtwanger oder Remarque mit dem Respekt der Freien Welt getan oder versucht haben. Doch einen so einfühlsamen und wirkungsmächtigen Jugendbuchautor sollte man nicht nur auf zwölf Jahre seines Lebens reduzieren.