„Ich will zum Mars!”

    Daniela Heinrich-Stiller unterrichtet am Gymnasium Lahntalschule in Biedenkopf (Hessen). 2020 wurde sie in der Kategorie „Unterricht innovativ” mit dem Deutschen Lehrkräftepreis ausgezeichnet, Credit: DLP

    Kein Curriculum dieser Welt schafft, was eine „Jugend forscht” -Teilnahme schafft – „Ich will zum Mars!”

    Von Daniela Heinrich-Stiller 

    Marburg – Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Kontakt mit „Jugend forscht”. Ich erinnere mich gut, weil mich dieser Termin überrascht, beeindruckt, begeistert hat. Beeindruckt und begeistert bin ich noch heute und hier erkläre ich Ihnen, warum … 

    Ein warmer Sommertag in Frankfurt am Main, nicht weit vom Senckenberg Museum, folge ich einer Einladung zu einem Treffen von Jugend-forscht-Projekt-Betreuerinnen und –Betreuern. Irgendwie bin ich über ein Unterrichtsprojekt in diese Rolle hineingerutscht, habe aber keine Ahnung, wie genau das abläuft. Also stürze ich mich ins Getümmel und entdecke Dr. Christiane Gräf, Botschafterin von „Jugend forscht” in Hessen. Ich bin beeindruckt von ihr, von den Personen im Raum. Ihre Unterhaltungen drehen sich um Schülergruppen, Forschung, Universität, Schülerlabor, den Umgang mit Tieren im Wettbewerb, externe Beteiligte, Entwicklung von fachlichen und persönlichen Kompetenzen bei Schülerinnen und Schülern, Integration der Wettbewerbsarbeit in den MINT-Unterricht. Mir schwirrt der Kopf. Wir bekommen viele Infos zur neuen Wettbewerbsrunde, und ich schreibe fleißig mit. Später stellt ein Teilnehmer der vergangenen Wettbewerbsrunde sein Projekt und seine Forschung vor. Best Practice. Schon während er erzählt, bin ich überwältigt, was Schülerinnen und Schüler mit dem richtigen Support leisten können. Christos Assiklaris aus Offenbach beschäftigt sich mit insektenpathogenen Pilzen und ihrem Potenzial, Kunststoff biologisch abzubauen. Wow! Viermal pro Woche fährt er nach der Schule mit dem Bus an die Uni und forscht dort. Was er herausfindet und entwickelt, könnte bahnbrechend sein und eventuell eine Lösung für unser globales Kunststoffproblem bieten – zunächst im Kleinen natürlich. Ich bin so beeindruckt, dass mir der Mund offen stehen bleibt. Was an diesem Tag mit mir passiert, nennt man wohl Mindset-Shift. Ich möchte das auch! Ich möchte als Trainerin meine MINTschaft betreuen und gemeinsam Erfolge feiern. Ohne (Noten)Zwang, mit positiver Fehlerkultur (Forschung läuft nicht immer geradeaus!) und mit extrem viel Impact.  

    Christos Assiklaris (17) aus Offenbach gewann 2019 bei Jugend forscht für seine Arbeit auf dem Gebiet der Biotechnologie. Mit seinem Projekt beeindruckte er die Autorin zutiefst, Credit: Jugend forscht

    Wissenschaftspropädeutisches Arbeiten, wie wir es im Unterricht nur anbahnen können 

    Natürlich habe auch ich gedacht, „Jugend forscht” bedeutet „Die Heilung von Krebs!“, „Neue Möglichkeiten für Flüge zum Mond!“ oder „Nutzung von 100% der Energie der Sonne!“ Alles Quatsch. Hier geht es um das wissenschaftspropädeutische Arbeiten, wie wir es im Unterricht jedoch nur anbahnen können. Es geht darum, Fragen zu stellen, Lösungsmöglichkeiten zu finden und stringent darzulegen, mit welchen Mitteln oder Maßnahmen man diese Lösungen zu erreichen gedenkt. Manchmal gibt es einfach noch keine Ergebnisse, weil der Weg sich geändert hat. Es geht auch nicht darum, ausschließlich Hochbegabte für den Wettbewerb zu motivieren. Die Erforschung, warum selbstgemachte Erdbeermarmelade nicht so schön rot bleibt, reicht völlig. Im Fach-Jargon könnte man auch sagen „Citizen Science“ – Forschungsprojekte, die von Laien durchgeführt werden. Kreativität, Kommunikation, Kollaboration und kritisches Denken in Reinform ohne 45 Minuten-Taktung und formatierte Arbeitsblätter. Selbstständige Planung und Organisation. All das, was Unterricht am Ende geleistet haben soll. Natürlich ist auch das bei Schülerinnen und Schülern, die neu starten, ein Prozess. Mal hält sich die Lust in Grenzen, mal herrscht Klausuren-Stress oder ein Experiment will einfach nicht gelingen. Eine Bestellung kommt nicht durch oder externe Beraterinnen und Berater sind krank. Passiert. Wie die Trainerinnen und Trainer im Sport versuche ich als Betreuerin dann, meine Schützlinge weiter zu motivieren oder stehe ihnen einfach mit Rat und Tat zur Seite. Hier sind auch Freundschaften entstanden, die bis heute halten.  

    Jannis Mars-Idee

    Jannis lernte gerade in der 5. Klasse, da wollte er schon zum Mars fliegen. Gemeinsam mit Daniela Heinrich-Stiller bastelte er an der Mars-Idee herum, Credit: privat

    Alumni helfen 

    Überhaupt ist der Kontakt zu den Alumni extrem wertvoll und kann eventuell helfen, im Projekt weiterzukommen. So geschehen, als die Idee entstand, nach dem Lockdown die Kolleginnen und Kollegen im Fach Englisch mit einem Sprachtrainer in Form eines humanoiden Roboters zu unterstützen. Leider habe ich keine Ahnung von Programmierung und musste daher auf die Lahntalschulen(LTS)-Alumni zurückgreifen, die bereitwillig den Aufruf geteilt haben. Mit Hilfe der Uni Marburg, die via Standleitung immer mittwochnachmittags half und mit einem ehemaligen Lahntalschüler, der mittlerweile Informatik studiert, konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer (Klassen 7 und 9) die humanoiden Roboter programmieren und so am Wettbewerb teilnehmen. Vielleicht erleben wir die drei Schülerinnen und Schüler in Zukunft mit Informatik-Hintergrund? Wie sagte neulich ein „Jugend forscht”-Teilnehmer? „Ich habe im Wettbewerb mehr über Chemie gelernt, als ich es im Unterricht je lernen könnte!“ Ich sage: Kein Curriculum dieser Welt schafft, was eine „Jugend forscht”-Teilnahme schafft: 

    • Integration: Da ist z. B. ein Schüler der 6. Klasse mit seinen Eltern aus Syrien geflüchtet und mit Glück heil hier angekommen. Seine Leidenschaft ist das Schrauben, die Technik und sein Ziel: ein eigenes E-Bike. Ich höre davon, dass er daran arbeitet und spreche ihn an. Während er am Tag schraubt, schreibt er bis in die Nacht an der schriftlichen Arbeit, was nicht ganz leicht ist, da die sprachlichen Hürden hoch sind. Da wir kollaborativ in Google Docs arbeiten, holen wir seine Klassenlehrerin dazu, die bei der Korrektur hilft und uns sprachlich berät. Jetzt sind wir schon zu dritt. Auf Augenhöhe. Gemeinsam in Richtung Regionalwettbewerb. Dann geschafft. Um 23.55 Uhr ist die schriftliche Arbeit hochgeladen und Bashar kann am Regionalwettbewerb teilnehmen. Online. Ich filme, während er mit seinem DIY E-Bike über den leeren Schulflur düst, denn es ist Lockdown. Ich helfe, wenn er die Fragen der Jury nicht so gut versteht. Er gibt sein Bestes und wird mit dem 2. Platz belohnt. Seine Familie ist unglaublich stolz und wir Lehrerinnen sind es auch. Bashar selbst ist auch gewachsen. Innerlich. Persönlich. Ein toller Start in der neuen Heimat.  
    • Selbstwirksamkeit: Da sind zwei Schülerinnen, die gemeinsam mit mir an einer biologisch abbaubaren Folie geforscht haben, die eigentlich nur gut schmecken sollte und durch Honigzugabe dann keimhemmende Eigenschaften bekommt. Da stellt sich die Frage, wofür kann man das verwenden? Die Idee: Eine Auflage zur Erstversorgung von Brandwunden. Abdecken, Kühlen und Desinfizieren. Und plötzlich war da das Patent. Eine Selbstwirksamkeitserfahrung, die man eigentlich in der Regel erst im beruflichen Zusammenhang macht.  
    Mars - Jannis gemeinsam mit Daniela Heinrich-Stiller

    Wer fleißig forscht, bekommt auch eine Urkunde! Jannis gemeinsam mit Daniela Heinrich-Stiller, Credit: privat

    „Ich will zum Mars!“ 

    Talente fördern. Projektbetreuung ist immer wieder überraschend. Im vergangenen Sommer hat mich ein Schüler der 5. Klasse aufgesucht. Seine Frage: „Sie forschen doch mit Schülerinnen und Schülern!?“ Ich: „Ja?“ Er: „Na das trifft sich gut, ich will nämlich zum Mars!“ Ich: „Aha!“. Doch der Flug zum Mars war gar nicht das eigentliche Problem. Vielmehr ging es um die Sauerstoffversorgung in der Raumkapsel auf dem Weg zum Mars. Es folgt eine Mittagspause, die schneller um ist, als ich gucken kann. Jannis präsentiert mir in atemberaubender Geschwindigkeit allerlei Hintergrundwissen, das er bereits gesammelt hat. Er macht Vorschläge wie, Goldatome mit Kohlenstoffdioxid zu beschießen (und so gleich noch das Klima zu retten), oder den Sauerstoff chemisch anders zu gewinnen – vielleicht mit Photosynthese? Ehe ich mich versehe, sind wir in der Chemie-Sammlung und lassen uns von den Gerätschaften dort inspirieren, ersinnen Theorien und Pläne, wie man das Thema “Ich will zum Mars” wohl am besten erforschen kann. Brainstorming. Jannis durchdringt die Sachverhalte im Gespräch so schnell, dass er mir teilweise die Erklärungen abnimmt und Lösungsmöglichkeiten alleine auf den Punkt bringt. Als er sagt, dass er jetzt nach Hause muss und sich höflich bedankt, lässt er mich sprachlos und beflügelt zugleich zurück.  

    „Schüler experimentieren“ für Jüngere 

    Zum Glück gibt es für jüngere Forscherinnen und Forscher die Kategorie „Schüler experimentieren“. So forschen wir also den Sommer über, bestellen teure Sensoren, lassen uns von den beruflichen Schulen gegenüber ein dichtes Gefäß bauen und experimentieren mit verschiedenen Pflanzen. Dabei macht Jannis immer neue Entdeckungen, die wir reproduzieren, um dann zu versuchen, diese zu erklären. Jannis forscht auch daheim weiter und schafft schließlich auch die schriftliche Arbeit. Er kann jetzt Fußnoten, Seitenzahlen und Bilder in ein Dokument einfügen sowie die Überschriften so gestalten, dass sich das Inhaltsverzeichnis ständig aktualisiert. Er weiß, wie die Sensoren funktionieren und kann sehr detailreich die Photosynthese erklären. Auch CAM-Pflanzen sind für ihn kein Problem – da hat er mal drüber gelesen. Die Jury ist begeistert von Jannis´ Fähigkeit, komplizierte Sachverhalte einfach zu erklären. Im Regionalwettbewerb muss er seine Präsentation zweimal online halten, wobei er gleichzeitig mit dem IPad filmt und die PowerPoint-Präsentation weiterklickt. Ich bin aufgeregter als er – drücke mich hinter der Tür herum. Geschafft! Regionalsieg und Landessieg in Kassel. Eltern stolz, Lehrerin stolz. Alle stolz. Jannis hat schon die nächste Idee. Ein Smartphone, das komplett mit Solarzellen umhüllt ist. Und nebenbei die Größe des Universums berechnen.  

    Wie kann Schule dem gerecht werden??? Wie kann Schule die Begeisterung solcher Kinder aufrechterhalten? Mein Appell: Gebt uns Zeit für freies Arbeiten und fördert Wettbewerbe wie „Jugend forscht”/„Schüler experimentieren” an Schulen. In diesem Sinne: Stay curious! 

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