Bildungsministerin Simone Oldenburg: Entlastende Maßnahmen sind kaum realisierbar

    Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsministerin Simone Oldenburg  

    „Entlastende Maßnahmen sind in den nächsten zwei Jahren kaum realisierbar” 

    Von Karolina Pajdak 

    Simone Oldenburg (53, Die Linke) wurde im November 2021 zur Ministerin für Bildung und Kindertagesförderung in Mecklenburg-Vorpommern ernannt, Quelle: Anne Karsten

    Schwerin – Simone Oldenburg (53, Die Linke) ist nicht nur Bildungsministerin von Mecklenburg-Vorpommern, sondern auch Stellvertreterin von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD). Im Interview mit PROFIL erklärt die ausgebildete Gymnasiallehrerin (Deutsch, Geschichte), was sie von ihrer Lehrtätigkeit vermisst, warum sie den Lehrkräften in ihrem Bundesland in nächster Zeit keine Stundenreduzierungen anbieten kann und wie sie durch die Pandemie entstandene Bildungslücken schließen will. 

    PROFIL: Ministerin Oldenburg, Sie sind eine der wenigen Kultusministerinnen, die selbst Lehramt studiert haben. Was unterscheidet Sie von Ihren Amtskollegen, die keine Erfahrung aus dem Schulbetrieb mitbringen? 

    Simone Oldenburg: Für mich ist es wichtig, dass ich die Arbeit, die ich ausübe, auch lebe. Eine grundständige Ausbildung in dem Beruf, für den man Verantwortung trägt, ist hilfreich, Entscheidungen zu treffen, Prozesse zu initiieren und letztendlich dann auch praxistaugliche Ergebnisse vorzuweisen.  

    PROFIL: Was konkret am Lehrerinsein vermissen Sie? 

    Oldenburg: Ich vermisse den Kontakt mit den Eltern sowie mit den Kindern und Jugendlichen, der immer sehr offen und vorbehaltlos gewesen ist.   

    PROFIL: Als Oppositionspolitikerin haben Sie immer wieder die Entlastung der Lehrkräfte gefordert. Welche Pläne haben Sie nun?   

    Oldenburg: Wir haben zur Entlastung der Lehrerinnen und Lehrer bereits Maßnahmen getroffen und im Rahmen der Entbürokratisierung – zum Beispiel im Aussetzen von statistischen Erhebungen während der Pandemie – Arbeitserleichterungen geschaffen. Nichtsdestotrotz ist die Belastung von Lehrerinnen und Lehrern sehr hoch. Hier gilt es natürlich zuerst, soviel Lehrkräfte wie möglich für die zahlreichen offenen Stellen zu werben, denn jede besetzte Stelle ist auch eine Entlastung für die Bestandslehrkräfte. Derzeit beschäftigen wir uns in Arbeitsgruppen mit dem Bildungsrat, in dem auch der Philologenverband vertreten ist, damit, Maßnahmen zu benennen, die wir dann Stück für Stück umsetzen werden. 

    PROFIL: Sind Stundenreduzierungen an Gymnasien möglich? Gibt es dazu bereits Erhebungen? Welche Maßnahmen werden noch geplant, um z.B. auch Funktionsstellen und Tutoren zu entlasten?  

    Oldenburg: Selbstverständlich werden wir Möglichkeiten suchen und finden, auch Mitglieder von Schulleitungen zu entlasten. Auf Grund des akuten Lehrermangels, der sich über fast zwei Jahrzehnte verfestigt hat und jetzt wahrscheinlich seinen Höhepunkt erreicht hat, sind unabhängig der Schulart, entlastende Maßnahmen etwa in Form von Stundenreduzierungen in den nächsten zwei Jahren kaum realisierbar. In den vergangenen Jahren ist in die Personalausstattung von Gymnasien mehr als in andere Schularten investiert worden, dennoch muss sie sich perspektivisch Schritt für Schritt auch an den Gymnasien verbessern.   

    PROFIL: Es werden immer wieder die Anpassung der Stundentafeln an die neuen Gegebenheiten der gesellschaftlichen Entwicklung und die neuen Anforderungen an Schülerinnen und Schüler im zukünftigen Berufsleben diskutiert. Welche Entwicklungsmöglichkeiten und zukünftigen Schritte sehen Sie hier für die (gymnasiale) Entwicklung in den nächsten Jahren in MV?    

    Oldenburg: Gemeinsam mit der Lenkungsgruppe überarbeiten wir derzeit, so wie geplant, die Abiturprüfungsverordnung. Nach derzeitigem Arbeitsstand wird es wahrscheinlich Änderungen geben. Selbstverständlich wird die Stundentafel in allen Schularten auf den Prüfstand gestellt und mögliche Änderungen können auch hier erfolgen. 

    PROFIL: In MV hat sich unter Ihrer Vorgängerin das Bündnis für Gute Schule” mit Beteiligung aller Lehrergewerkschaften, des Landeselternrates sowie Landesschülerrat gebildet. Zu Beginn Ihrer Amtszeit war es ihr gesetztes Ziel, dieses Gremium zu einem Bildungsrat” weiterzuentwickeln. Wie weit sind Sie hier bereits gekommen und welches Potential bzw. welche Aufgaben sehen Sie in der Zukunft für diesen Rat?   

    Oldenburg: Auch zukünftig werden wir tagesaktuelle und langfristige Themen im Bereich von Schule und Ausbildung mit dem Bildungsrat sowie mit dem „Bündnis für gute Schule“ besprechen und Veränderungsbedarfe gemeinsam erarbeiten. Wir stehen in enger Abstimmung mit den dabei Beteiligten, unter anderem mit den Gewerkschaften, mit dem Philologenverband, mit der Schulleitungsvereinigung, mit dem Verband der Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer, mit dem Verband der Berufsschullehrerinnen und Berufsschullehrer, dem Verband der Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen, mit dem Landesschulbeirat sowie mit dem Landeselternrat und dem Landesschülerrat. 

    PROFIL: Die Nachwuchsgewinnung von Lehrkräften ist in ganz Deutschland ein Dauerthema. Bei der Werbung neuer Lehrkräfte setzen Sie in MV auf eine Zulage für das Referendariat im ländlichen Raum. Welche Auswirkungen hat diese Maßnahme bis jetzt gehabt?   

    Oldenburg: Wir setzen auf einen bunten Strauß von Maßnahmen, unter anderem auf die Zulage für das Referendariat auf dem Lande, die wir erstmals in diesem Jahr angeboten haben. Deshalb ist es noch viel zu früh, diese Maßnahme zu evaluieren. Fakt ist, der ländliche Raum muss gestärkt werden, und Mecklenburg-Vorpommern ist fast ausschließlich ländlicher Raum. Wir müssen also insgesamt neue Möglichkeiten finden, um Lehrerinnen und Lehrer für unser Land zu gewinnen. 

    PROFIL: In Mecklenburg-Vorpommern sollen sich Bewerber künftig auch ohne einen akademischen Abschluss für das Lehramt nachqualifizieren können. Wie attraktiv ist dann noch ein Lehramtsstudium? 

    Oldenburg: In Mecklenburg-Vorpommern kann man sich seit mehr als 10 Jahren ohne akademischen Abschluss, auch mit einem Berufsabschluss für das Lehramt nachqualifizieren – nach erfolgreicher Qualifizierung, Kolloquien und einer siebenjährigen Unterrichtstätigkeit. 

    Das regelt auch nicht die „Seiteneinsteigerverordnung“, sondern das Lehrerbildungsgesetz seit 2012. 

    Die Pressemitteilung des Bundesverbandes spiegelt nicht die Regelungen in der Seiteneinsteigerverordnung wider, die wie gesagt, rechtlich kein Gesetz ersetzen kann. 

    PROFIL: Welche Alternativen ziehen Sie noch in Betracht, um den Lehrerberuf in MV auch für ältere Kolleginnen und Kollegen attraktiver zu gestalten?   

    Oldenburg: Wir arbeiten unter anderem daran, Altersanrechnungsstunden frühzeitiger zu gewähren und darüber hinaus künftig Arbeitszeitkonten einzurichten. Denn geleistete Mehrarbeit muss auch den Lehrkräften zu Gute kommen. 

    PROFIL: Durch die Corona-Pandemie sind Bildungsrückstände in allen Schultypen aufgetreten, die uns noch in den nächsten Jahren begleiten werden. Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um den Bildungsweg zum Abitur zu sichern?   

    Oldenburg: Es ist wichtig, alle Bildungswege zu sichern, darunter eben auch den Abschluss der Hochschulreife. In den verschiedenen Schularten, sei es die Grundschule, die Regionale Schule, die Gesamtschule oder die Förderschule und natürlich auch an den Gymnasien, gibt es bei Schülerinnen und Schülern Lernrückstände. Diese sind von Klasse zu Klasse, von Fach zu Fach und von Schule zu Schule sehr unterschiedlich. Wir haben gerade jetzt, kurz vor Ende des Schuljahres, Lernstandserhebungen an die Schulen gegeben, um zuerst zu evaluieren, welche Lücken in welchen Fächern vorhanden sind. Wir brauchen zuerst einen Faktencheck. Um Defizite zu beheben, nutzen wir das Aufholprogramm des Bundes. Dieses Programm versuchen wir gegenwärtig um ein weiteres Jahr zu verlängern. 

    PROFIL: Ziehen Sie G9 dabei auch in Erwägung?    

    Oldenburg: Nein, das ziehen wir nicht in Erwägung. 

    PROFIL: Ministerin Oldenburg, wo sehen Sie die Gymnasien in Ihrem Bundesland in zehn Jahren? 

    Oldenburg: Auf einem weiterhin guten Weg, in einem Bildungssystem, das Veränderungsbedarf hat, den wir ja unter anderem mit dem Bildungsrat erarbeiten. Gemeinsam werden wir Verbesserungen initiieren.  

     

     

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