Die Zukunft des Fremdsprachenunterrichts

    Aline Willems ist Juniorprofessorin für die Didaktik der modernen Fremdsprachen an der Universität zu Köln und unterstützt somit die Lehramtsstudiengänge aller Schulformen für Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Niederländisch und Russisch. Sie studierte an der Universität Trier und wurde dort 2012 im Bereich der Französischen Philologie mit einer Arbeit zu Französischlehrwerken im 19. Jahrhundert promoviert. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Mehrsprachigkeits- und Mehrkulturalitätsdidaktik mit besonderem Fokus auf das Lehren und Lernen der romanischen Sprachen sowie in diesem Zusammenhang auf dem Einsatz von Musik im Fremdsprachenunterricht, auf Politischer Bildung im Fremdsprachenunterricht und auf Heterogenität. Credit: Willems

    Herausforderungen und Chancen erkennen, um gesellschaftlichen mit schulischem Wandel zu verbinden 

    Von Prof. Dr. Aline Willems 

    Köln – Der Fremdsprachenunterricht ist seit seiner Etablierung an Gymnasien einem stetigen Wandel unterworfen, der sowohl durch gesellschaftliche Änderungen als auch neuere Erkenntnisse der Forschung bedingt wird. War das 19. Jahrhundert noch überwiegend der Grammatik-Übersetzungsmethode und dem Ziel der geistigen Reifung über die Auseinandersetzung mit fremden sprachlichen Strukturen vorbehalten, so hat sich der Fremdsprachenunterricht bis heute immer mehr dem Ziel der gelingenden Kommunikation über potentielle Sprach- und Kulturgrenzen hinweg zugewandt. In den Bildungsstandards für die Sekundarstufe II wird dies als „Diskursfähigkeit“ ausgewiesen, wobei jedoch eher spärlich spezifiziert wird, welcher der zahlreichen in der Forschung genutzten Diskursbegriffe dieser zugrunde liegt. Folgt man den diesbezüglichen Ausführungen Wolfgang Hallets (2016), erfordert dies einerseits ein Neudenken einiger unterrichtlicher Ansätze und andererseits eine relativ hohe Kompetenz (seitens) der Lehrkräfte, die historischen sowie aktuellen Diskurse in den zielsprachlichen Kulturen der von ihnen unterrichteten Fremdsprache/n zu kennen, zu erkennen und als unterrichtliche Inhalte aufbereiten zu können. Dies ist nur eine der mannigfachen Herausforderungen, denen sich der Fremdsprachenunterricht bzw. seine Akteurinnen und Akteure heute und in Zukunft gegenüber sehen.  

    Diskursfelder erweitern sich 

    Eine weitere Änderung, die sowohl als Hürde als auch als Chance gelesen werden kann, ist, dass sich durch die zunehmende Digitalisierung des Alltagslebens die Diskursfelder sowohl auf medialer als auch genrespezifischer Ebene erweitert haben. Es gilt demnach, im Fremdsprachenunterricht nicht nur Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien auf Ebene der Soft- und Hardware zu fördern, sondern auch in einer digitalen Welt mündige und damit verantwortungsvoll handelnde Bürgerinnen und Bürger heranwachsen zu lassen. Während in vielen fachlichen Curricula entsprechende Zieldefinitionen entweder gänzlich fehlen oder nur marginal vorhanden sind, lässt sich diesbezüglich auf überfachliche Kompetenzmodelle wie zum Beispiel den Digital Competence Framework 2.0 (2017 – https://publications.jrc.ec.europa.eu/repository/handle/JRC106281), das Digital Citizenship Education Handbook (2019 – https://rm.coe.int/168093586f) oder den European Framework for the Digital Competence of Educators (DigCompEdu – 2017 – https://ec.europa.eu/jrc/en/publication/eur-scientific-and-technical-research-reports/european-framework-digital-competence-educators-digcompedu) zurückgreifen.  

    Übersetzungssoftware immer besser 

    Darüber hinaus stellt die fortschreitende Digitalisierung der Lernenden die Lehrerinnen und Lehrer im Fremdsprachenunterricht vor eine weitere Herausforderung: die Nutzung von Übersetzungssoftware. Während diese auch kostenfrei verfügbaren Tools zu Anfang nicht als ernstzunehmende Alternative zu einer fremdsprachlich eloquenten Person betrachtet wurden, ist ihre Output-Qualität in den letzten Jahren durchaus gestiegen. Es kann ebenso davon ausgegangen werden, dass sie weiter zunehmen wird. Denn die meisten Angebote basieren auf Deep Learning Mechanismen, die mit wachsender Zahl an Sprachdateninput immer genauere Ergebnisse liefern. So können insbesondere Lernende in der beginnenden Spracherwerbsphase adäquate Ergebnisse erzielen, wenn sie entsprechende Tools für sich arbeiten lassen, anstatt das eigene Gehirn zu nutzen. Es mag darum kaum verwundern, wenn manche Schülerinnen und Schüler die Frage vorbringen, warum sie sich überhaupt noch anstrengen sollen, um Vokabeln etc. zu lernen, wenn ihnen das Tool diese Arbeit abnehmen kann. Hier heißt es – sowohl auf Seiten der Lehrkräfte als auch auf der der Fremdsprachendidaktik – sinnvolle Antworten zu formulieren, die über das wohlbekannte ‚Für’s-Leben-lernen‘-Sprüchlein hinaus gehen und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Tools selbst, ihren Möglichkeiten sowie Grenzen zu initiieren. Gleichzeitig sollte dabei das Ziel der learner autonomy in den Fokus gerückt werden, demzufolge mündige Lernende selbst entscheiden können, was sie wann wie und warum lernen oder eben auch nicht, und gemäß dem sie in die Lage versetzt werden sollen, beurteilen zu können, welcher zielsprachliche Output eines Tools tatsächlich ihren Bedürfnissen entspricht und welcher unter Umständen zu kommunikativen Problemen führen könnte. Am Ende des Tages gilt es also auch diesbezüglich wieder, einen weiteren Schritt in Richtung fremdsprachlicher Diskursfähigkeit der Lernerinnen und Lerner zu bewältigen. 

    Mehrsprachigkeit beeinflusst Fremdsprachenunterricht 

    Neben der Digitalisierung ist die Mehrsprachigkeit ein weiteres Querschnittsthema des Bildungsdiskurses, das einen massiven Einfluss auf die Gestaltung des Fremdsprachenunterrichts ausüben kann. Die Idee, sämtliche vorhandenen sprachlichen Ressourcen eines jeden Individuums zu nutzen, um eine weitere Sprache zu erlernen, ist keineswegs neu. Schon im ausgehenden Mittelalter lassen sich entsprechende Ansätze unter anderen Vorzeichen finden, während in Bezug auf den aktuellen Fremdsprachenunterricht hierzulande auf den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GeR) von 2001 verwiesen werden kann, der die Förderung von individueller Mehrsprachigkeit als eindeutiges Ziel formuliert. Dabei ist zunächst anzumerken, dass in den weitest gefassten Definitionen von Mehrsprachigkeit jeder Mensch, der unterschiedliche Varietäten einer Sprache situationsgerecht nutzen kann, als mehrsprachig gilt. In Abgrenzung dazu wird in der Breite der Gesellschaft unter Mehrsprachigkeit eher verstanden, Idiome im Sinne von Nationalsprachen etc. zu sprechen. Dies ist eng mit den Tatsachen verbunden, dass Sprache/n in unterschiedlichen Gesellschaften unterschiedliche Prestigezuweisungen erfahren und dass die jeweilige Zusprechung wiederum einen Ausdruck von Machtgefügen darstellt. Es kommt schließlich nicht von ungefähr, dass die ersten ‚neuen‘ Fremdsprachen an Schulen, die neben den ‚alten‘ Sprachen Latein und Griechisch einen Platz im Unterrichtskanon erobern konnten, Französisch und Englisch waren und dass das Englische inzwischen unangefochten den ersten Platz der meistgelernten Schulfremdsprachen in Deutschland einnimmt. Ebenso hängt damit zusammen, dass ansonsten Französisch und Spanisch auf gymnasialer Ebene dicht beisammen die Plätze 2 und 3 belegen (bezogen auf das Schuljahr 2020/21, gemäß Daten des Statistischen Bundesamtes | Destatis), während Sprachen, die in unserer facettenreichen Gesellschaft durchaus stark vertreten sind, wie beispielsweise Türkisch, Russisch oder Griechisch, in der Schule entweder weit weniger Lernendenzahlen vorweisen oder gar nicht erst einzeln in der Datenbank ausgewiesen werden. Wenn sich also die Frage stellt, welcher/n Sprache/n unsere Schülerinnen und Schüler heutzutage im Rahmen von Schulfächern begegnen, basieren die Antworten häufig auf Traditionen, Macht- und Prestigezuweisungen sowie regional bestehenden Grenz- und Kontaktsituationen.  

    Gleichzeitig bringen aber immer mehr Lernende weitere Sprachen ‚von zu Hause‘ in die Schule mit – sogenannte Herkunftssprachen –, die zu ihrer jeweiligen eigenen Identität beitragen und ihnen das Erlernen zusätzlicher Fremdsprachen mitunter erleichtern können. Denn es ist ihnen beispielsweise möglich, auf schon vorhandene Sprachlernstrategien und -techniken zurückzugreifen, die monolingual in der Mehrheitssprache der Gesellschaft aufgewachsene Kinder überwiegend erst im Rahmen des schulischen Fremdsprachenunterrichts kennenlernen. In einer für alle lernförderlichen Umgebung gilt es, das gesamte sprachliche Repertoire innerhalb einer Lerngruppe sichtbar zu machen und anzuerkennen. Die Forschung zeigt, dass davon nicht nur diejenigen Lernenden profitieren, die über eine nicht-deutsche Herkunftssprache verfügen, sondern auch die monolingual sozialisierten Mitschülerinnen und -schüler. Selbstverständlich ist dies keine Aufgabe, die ausschließlich dem Fremdsprachenunterricht zufällt, aber da in diesem ohnehin häufig Sprachreflexion betrieben wird, finden sich zahlreiche Umsetzungsmöglichkeiten. Darüber hinaus wäre auf bildungspolitischer Ebene gleichzeitig darüber nachzudenken, eben jene Herkunftssprachen, die unsere Gesellschaft inzwischen mitprägen, als Schulfremdsprachen anzubieten und zwar nicht in Form von herkunftssprachlichem Unterricht, sondern als Alternative zu Französisch, Spanisch etc. Denn Prestigezuweisungen sind weder für die Ewigkeit festgeschrieben noch ausschließlich ‚von außen‘ diktiert. Sie lassen sich ebenso durch entsprechende Handlungen ‚von innen‘ ändern.  

    Frage nach der Sprachnorm 

    Eine weitere Herausforderung und gleichzeitig Chance für den Fremdsprachenunterricht, die in der bzw. für die Zukunft von zunehmender Bedeutung erscheint, ist wiederum eng mit Prestige sowie Macht verbunden und stellt die Frage nach der im Unterricht zu berücksichtigenden Sprachnorm. Offensichtlich plurizentrische Sprachen, wie zum Beispiel das Englische oder Spanische, kreisen schon lange um die Frage, auf welcher Norm der Unterricht basieren soll. Bislang wird auf eine Mischung unterschiedlicher nationaler Normen gesetzt, indem den Lernenden verschiedene regionale Besonderheiten offengelegt und erklärt werden. Jedoch gesellt sich beispielsweise im Falle des Englischen seit einiger Zeit ein ganzer Strauß weiterer potentiell zu berücksichtigender Normen hinzu, die nicht mehr über eine Lokalisierbarkeit zu definieren sind, sondern als Teil der World Englishes ihre Berechtigung im Bildungskanon suchen. 

    Die hier formulierten Gedanken zu den Herausforderungen und Chancen des Fremdsprachenunterrichts der Zukunft können selbstverständlich nur Schlaglichter auf ausgewählte Aspekte werfen. In jeder individuellen schulischen Situation können sie noch um einige andere ergänzt werden, die es anzunehmen gilt und die Veränderungen im Unterricht selbst bedingen können. Ebenso werden an dieser Stelle keine vollkommen neuen Ideen dargeboten. Viele werden den Leserinnen und Lesern gelegentlich begegnet sein, denn solche Herausforderungen und Chancen treten nicht plötzlich von heute auf morgen auf, sondern sind meist Teil langanhaltender Prozesse in Gesellschaft, Politik und Forschung. Gleichwohl kann die hier angebotene Zusammenstellung einen Anlass liefern, über einzelne Gesichtspunkte miteinander ins Gespräch zu kommen – sei es im Kreis der Kolleginnen und Kollegen oder über institutionelle Grenzen hinweg zwischen praktizierenden Lehrkräften, Beteiligten der Lehramtsausbildung und der zugehörigen Forschung. Denn so können zunächst als Herausforderung empfundene Dinge und Situationen unter Umständen zu Chancen umgedeutet werden und zu einer positiven Veränderung der Bildungslandschaft beitragen. 

     

    Hallet, Wolfgang (2016). Genres im fremdsprachlichen Unterricht. Seelze: Klett Kallmeyer. 

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