PhV BW zur Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine an den Schulen im Land

    · Land muss Schulen für die Aufnahme ukrainischer Flüchtlingskinder und Jugendlicher vorbereiten
    · Philologenverband fordert sofortige Einrichtung bzw. Aufstockung von Vorbereitungsklassen für Flüchtlinge und Schaffung von zusätzlichen Lehrerstellen

    Angesicht des Kriegs in der Ukraine und der wachsenden Flüchtlingszahlen auch in Baden-Württemberg ruft der Philologenverband Baden-Württemberg (PhV BW) die Landesregierung und das Kultusministerium auf, es nicht bei Solidaritätsbekundungen zu belassen, sondern sofort die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, damit die ankommenden ukrainischen Kinder möglichst schnell und problemlos in Schulen und Kindergärten aufgenommen werden können.

    Konkret fordert der Verband der gymnasialen Lehrkräfte:

    • Richten Sie am Kultusministerium eine Task-Force ein, die federführend für die Integration der Flüchtlingskinder an Kindergärten und Schulen zuständig ist!
    • Stellen Sie einen Nachtragshaushalt auf, in dem 3000 – 4000 befristete zusätzliche Lehrerstellen in allen Schularten geschaffen werden, und zwar spätestens im April!
    • Stocken Sie für ankommende Schüler ohne Deutschkenntnisse sofort bestehende Vorbereitungsklassen auf bzw. richten Sie schnell weitere Vorbereitungsklassen ein!
    • Sorgen Sie sofort dafür, dass die sprachlich sensitiven Teile der 2P-Tests (zur Ermittlung des Vorwissens der ankommenden Kinder) ins Ukrainische übersetzt werden, damit die Kinder sofort nach Ankunft getestet und direkt an die richtige Schulart weitergeleitet werden können.
    • Die Schüler müssen nach dem Deutsch-Lernen in der Erst-Integration so rasch wie möglich am normalen Unterricht teilnehmen. Für viele wird dafür der Beginn des nächsten Schuljahres ein günstiger Wechselzeitpunkt sein. Deswegen müssen spätestens ab September zusätzliche Lehrkräfte eingestellt sein und spätestens im Juni/Juli ein Beratungsangebot für die Schüler und deren Eltern bereitstehen.
    • Legen Sie ein Fortbildungsprogramm für die ankommenden ukrainischen Lehrkräfte auf, damit diese möglichst schnell und gut Deutsch lernen können! Nur so können diese zum Schuljahr 2022/23, spätestens zum Schuljahr 2023/24 als reguläre Lehrkräfte in unser Schulsystem integriert werden.
    • Legen Sie sofort ein Fortbildungsprogramm für Deutsch als Fremdsprache auf, damit mindestens 5000 bis 10.000 der 140.000 Bestandslehrkräfte für die Arbeit mit den ukrainischen Flüchtlingskindern zusätzlich geschult werden können.
    • Für alle diese notwendigen, zusätzlichen Angebote benötigen die Schulen zusätzliche Ressourcen – seien es Anrechnungsstunden für diejenigen, die Angebote organisieren, seien es zusätzliche Einstellungsmöglichkeiten.

    Die momentanen Überlegungen des Kultusministeriums, ukrainische Lehrkräfte für die Erst-Beschulung der Flüchtlingskinder zu gewinnen, ist kurzfristig sinnvoll.
    Klar ist aber bereits jetzt:
    Alle schulpflichtigen Flüchtlingskinder sind eine reguläre Beschulung gewöhnt. Deshalb kann das Deutsch-Lernen in Flüchtlings-Klassen sehr intensiv gestaltet werden. Ziel sollte es deswegen sein, dass ab Beginn des neuen Schuljahres im September bereits möglichst viele der ukrainischen Kinder bei uns den normalen Unterricht besuchen können. Dies wäre auch im Hinblick auf eine gelingende Integration der Kinder und Jugendlichen in Deutschland wichtig.
    Spätestens im übernächsten Schuljahr sollten dann alle ukrainischen Flüchtlingskinder am normalen Unterricht teilnehmen können.
    Dabei sind die ukrainischen Lehrkräfte, die ja selbst zum großen Teil erst Deutsch lernen müssen, nur bedingt hilfreich: Aufgrund des leichteren und schnelleren Spracherwerbs von Kindern ist davon auszugehen, dass die Kinder schneller und nach einem Jahr deutlich besser Deutsch sprechen werden als die erwachsenen Flüchtlinge.

    In jedem Fall müssen für die Einstellung neuer Lehrkräfte entsprechend der zusätzlichen Schülerzahl mindestens 3000 bis 4000 zusätzliche, befristete Lehrerstellen geschaffen werden — egal, ob es sich dabei um ukrainische Lehrkräfte als erste Notmaßnahme oder spätestens ab dem nächsten Schuljahr auch um zusätzliche deutsche Lehrkräfte handelt. Dies muss schnellstmöglich, und das heißt: im Rahmen eines Nachtragshaushalts, geschehen, sobald die Zahl der in Baden-Württemberg ankommenden ukrainischen Kinder grob abzuschätzen ist. Diese Lehrerstellen müssen dann natürlich auch im Rahmen des Doppelhaus-halts 2023/24 weiterhin befristet eingeplant werden.
    Ein wichtiges Ziel besteht in jedem Fall darin, möglichst viele der benötigten neuen Stellen auch mit ausgebildeten Lehrkräften zu besetzen. Deswegen müssen diese Stellen spätestens im Juni bereitstehen, wenn das reguläre Einstellungsverfahren stattfindet.
    Das Kultusministerium wäre zudem gut beraten, weitere 5000 bis 10.000 der bereits im Schuldienst befindlichen Lehrkräfte zusätzlich für Deutsch als Fremdsprache fortzubilden.

    Aufgrund der seit der Flüchtlingskrise 2015/16 etablierten Strukturen und des seitdem vorhandenen Wissens- und Erfahrungsschatzes sollten wir alle – Politik, Verwaltung und Bürger — die jetzige Situation gut und erfolgreich meistern können.

    Überschlagsrechnung zu den erwarteten schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine und zu den dafür benötigten Lehrkräften:

    Bislang sind ca. 2,2 Millionen Flüchtlinge in den Nachbarstaaten der Ukraine angekommen, weitere ca. 1,9 Millionen sind innerhalb der Ukraine auf der Flucht. Es ist zu erwarten, dass fast alle diese Menschen in die EU flüchten werden.
    Zu Beginn des Krieges sprach UNHCR von zu erwartenden 7 Millionen Flüchtlingen. Bisher sind knapp die Hälfte aller Flüchtlinge Kinder — in Begleitung der Mütter oder allein.Es ist somit davon ausgehen, dass mindestens zwei bis drei Millionen ukrainische Kinder in der EU mit ihren Müttern oder allein(!) unterzubringen und in Schulen und Kindergärten aufzunehmen sind.
    Wie sich die Flüchtlingsströme innerhalb der EU verteilen werden, ist bislang völlig unklar. Geht man von einer Verteilung in etwa entsprechend der Bevölkerung der EU-Mitgliedsstaaten aus, dann würde Deutschland etwa ein Fünftel aller Flüchtenden aufnehmen. D.h. wir sprechen dann von mindestens einer Million Flüchtlinge oder rund 500.000 Kindern. Nach dem Königsteiner Schlüssel entfallen davon 13% oder 65.000 Kinder auf Baden-Württemberg.
    Wenn wir davon ausgehen, dass sich die Kinder halbwegs gleichmäßig auf die Altersjahrgänge von null bis 17 verteilen, dann wären das etwa 3500 Kinder pro Altersjahrgang.
    Unsere normalen Altersjahrgänge umfassen ca. 100.000 bis 110.000 Kinder pro Jahrgang. (Bei den 0-5-Jährigen ca. 107.000 – 110.000; bei den Sechsjährigen und 15-Jährigen 104.000, bei den 16- und 17-Jährigen 106.000 und bei den Acht- bis 14-Jährigen ca. 99.000 bis 103.000.)
    Für rund 45.000 Kinder im schulpflichtigen Alter (6 bis 17) benötigt man mindestens 4000 zusätzliche Lehrkräfte.

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