PhV BW zur Evaluation des Chancengleichheitsgesetzes

    Chancengleichheitsgesetz – bislang keine Erfolgsgeschichte
    • Evaluation des Landes-Chancengleichheitsgesetzes vom Sozialministerium vorgelegt
    • Gesetzesnovelle brachte seit 2016 kaum Verbesserungen für Landesbedienstete
    • Land in vielen Bereichen säumig: Fehlende Daten, unklare Ziele
    • Philologenverband kritisiert: Beauftragte für Chancengleichheit werden allein gelassen

    Das Chancengleichheitsgesetz (ChancenG) sollte bereits im Frühjahr 2020 evaluiert werden und wurde nun endlich vom Sozialministerium vorgelegt. „Die Ergebnisse sind für das Land blamabel und für die Lehrkräfte im Land leider altbekannte Tatsachen“, beklagt Karin Fetzner, Stellvertretende Landesvorsitzende des Philologenverbands Baden-Württemberg (PhV BW) und selbst lange Jahre Beauftragte für Chancengleichheit an ihrem Gymnasium. „Obwohl das gymnasiale Lehramt zunehmend weiblich wird, findet keine entsprechende Repräsentanz von Frauen im Führungsbereich statt, insbesondere nicht bei den Schulleitungen.“ Mängel zeigen sich besonders an der Rolle der Beauftragten für Chancengleichheit (BfC), die die „Wächterin über das ChancenG“ an den Schulen ist:

    • Die Beauftragten für Chancengleichheit haben kaum zeitliche Ressour-cen, sind in ihrer Tätigkeit auf sich allein gestellt und abhängig vom guten Willen der Leitungsebene. Machtmittel gibt es keine, institutionalisierte Möglichkeiten der Durchsetzung fehlen.
    • In den nachgeordneten Bereichen der Ministerien scheint die Wahrneh-mung der Aufgabe als BfC gar ein Karriere-Hemmnis zu sein; die BfC wird vielfach als Gegenspielerin wahrgenommen.

    Fazit der Evaluation des ChancenG: Die Gesetzesnovelle von 2016 hat kaum Fortschritte gebracht und den Beauftragten für Chancengleichheit einen Bärendienst erwiesen.

    Der PhV BW schließt sich Handlungsempfehlungen der Studie an: Das Chancengleichheitsgesetz und die Verwaltungspraxis tiefgreifend zu ändern, sind zwingend notwendig!

    1. Stärkung der BfC: Sanktions- und Kontrollmöglichkeiten sowie klare Regelungen und Strukturen der Beteiligung müssen etabliert, die Ressourcen aufgestockt werden.
    2. Die Einrichtung einer unabhängigen Anlaufstelle zu Fragen der Gleichbe-rechtigung, z.B. eine Ombudsstelle, ist dringend notwendig.
    3. Die Weiterbildung von Führungskräften in Fragen der gesetzlichen Regelun-gen zu Gleichberechtigung, Gleichstellung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist wichtig und muss vom Dienstherrn geleistet werden.
    4. Eine transparentere und vergleichbarere Erfassung der Daten im Bereich der Personalstatistik ist unabdingbar.

    Weitergehende Forderungen hat der PhV BW im Rahmen einer Resolution zur Gleichstellung bereits im vergangenen Dezember mit großer Mehrheit verabschiedet. (Hier der Link )

    Es geht um mehr

    Bei der Novelle des Chancengleichheitsgesetz 2016 – federführend war damals das Sozialministerium – wurden erstmals die Kommunen in das Gesetz integriert. Daher standen diese auch bei der Evaluation verstärkt im Fokus.

    Aus Sicht der Referentin für Gleichstellung und Gleichberechtigung im PhV-Landesvorstand, Claudia Grimm, hätte die Evaluation viel weiter gehen und auch dezidiert die Situation an den Schulen in den Blick nehmen müssen: „Schulen sind ein Mikrokosmos der Gesellschaft, dort werden Heranwachsenden auch Rollenbilder und Werte vermittelt. Wenn Rollenvorbilder fehlen, wirkt sich das auf folgende Generationen aus.“

    Aus Sicht von Claudia Grimm müsste bei einer Evaluation schon der Titel des Gesetzes auf den Prüfstand: „Geht es um Chancengleichheit? Nein, es geht um Gleichberechtigung. Das ist nicht dasselbe. Quantitative Gleichberechtigung kann man ganz konkret fassen: Gleiches Geld für gleiche Arbeit.“ Martina Scherer, Stellvertretende Landesvorsitzende des PhV BW, ergänzt: „Noch heute gilt in der Praxis, dass zwar die Stundenzahl für den Unterricht reduziert werden kann, aber häufig nicht die vielen Aufgaben außerhalb des Klassenzimmers, die eine Lehrkraft zusätzlich zu erledigen hat. Das bedeutet: Teilzeitkräfte leisten unbezahlte Arbeit.“

    Qualitative Gleichberechtigung muss ebenfalls angestrebt werden. Gemeint ist damit eine Kultur der Anerkennung und Teilhabe sowie der Repräsentation – nicht zuletzt in Führung. Karin Fetzner kritisiert, dass das Land zentrale Fragen bislang nicht stellt: „Warum sind Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert? Warum ist Teilzeit noch immer vorwiegend weiblich?“ Martina Scherer konstatiert: „Das Land scheint in Fragen der Gleichberechtigung nicht sehr motiviert. Auf die aktuelle statistische Erfassung der Situation an den Gymnasien warten wir seit 2020 vergeblich.“

    Hintergrund: Neuerungen seit 2016

    Das Chancengleichheitsgesetz in der neuen Form brachte für Landesbedienstete und insbesondere für die an den meisten Gymnasien existierenden Beauftragten für Chancengleichheit (BfC) durchaus Neuerungen. Diese sind aber wenig zielführend für die tatsächliche Durchsetzung von Gleichberechtigung – insbesondere deshalb, weil den BfC nur Beteiligungs- und Beanstandungsrechte zustehen.

    Die BfC als Wächterin über ChancenG oder „Frauenvertretung“?

    Einerseits ist die BfC vor allem Ansprechpartnerin der Lehrerinnen, kann jährlich Frauenversammlungen durchführen (vgl. § 20 ChancenG) und soll die Beseitigung der Unterrepräsentanz von Frauen in Führungsaufgaben im Blick haben.
    Andererseits ist die BfC dem Schulleiter unmittelbar zugeordnet und hat ein unmittelbares Vortragsrecht (§ 18 Absatz 1 ChancenG). Die Beauftragte für Chancengleichheit ist sozusagen Wächterin über die Einhaltung des ChancenG und unterstützt die Dienststellenleitung bei dessen Umsetzung (§ 20 Absatz 1 ChancenG). Dies setzt aber voraus, dass die Dienststellenleitung dies auch zulässt.

    Vereinbarkeit von Familie und Beruf: keine „Frauenfrage“

    Genau genommen werden im ChancenG zwei verschiedene Aspekte unter „Beruf“ vereint: Zum einen geht es um „Karriere“ und zum anderen um die Vereinbarkeit von Familie und Unterrichts- und weiterer dienstlicher Verpflichtungen. Frauen soll also einerseits der Zugang zu Beförderungsstellen erleichtert werden, andererseits soll die berufliche Tätigkeit grundsätzlich mit Familienaufgaben vereinbar sein – für Frauen und Männer (vgl. § 29 ChancenG): Sowohl Frauen als auch Männer haben ein Recht auf familien- und pflegegerechte Arbeitszeit. Auch Teilzeitbeschäftigung sowie Beurlaubung zur Wahrnehmung von Familien- oder Pflegeaufgaben sind hier gemeint (vgl. § 30 ChancenG). Wichtig ist, dass es sich um zwei getrennte Paragraphen handelt, Vollzeitbeschäftigte also auch ein Recht auf familien- und pflegegerechte Arbeitszeit haben. Ergo ist die BfC Wächterin für die Rechte beider Geschlechter, egal ob Teil- oder Vollzeitkraft!

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