Das wünsche ich mir von unseren Lehrkräften

    Von Eckart von Hirschhausen* 

    Berlin – Hitzefrei! Das gab es zu meiner Schulzeit, wenn es um 10 Uhr morgens 25 Grad hatte – eine absolute Seltenheit. Aber Erinnerungen trügen, und deshalb fragte ich beim Deutschen Wetterdienst nach, wie viele Tage es in Berlin während meiner Schulzeit mit über 25 Grad um 10 Uhr und somit hitzefrei gab. In den fünfzehn Jahren von 1980 bis 1995 gab es nur vier Tage mit diesen Temperaturen. Im ersten Hitze-Rekordjahr 2003 gab es allein dreizehn solcher Hitzetage mit hitzefrei. Und in den letzten fünfzehn Jahren, also von 2005 bis 2020, waren es in der Summe bereits einhundertfünfundvierzig Tage hitzefrei.  

    Eckart von Hirschhausen zum Thema hitzefrei

    *Dr. Eckart von Hirschhausen (Jahrgang 1967) ist Arzt, Wissenschaftsjournalist und Gründer der Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen, die sich mit den gesundheitlichen Folgen der Klimakrise beschäftigt. Credit: Julian Engels

    Freitag für Freitag gehen seit 2019 auch in Deutschland Schüler und Studenten auf die Straße und protestieren für eine bessere und zukunftsorientierte Klimapolitik. An den Schulstreiks entzündeten sich die Gemüter, was einem im Rückblick sehr seltsam vorkommt. Damals wurde argumentiert, dass einzelne verpasste Schulstunden nicht nachgeholt werden können und die Streikenden unbedingt bestraft werden sollten. Dann kam Corona, Schulen wurden über Wochen und Monate geschlossen, und bestraft waren die Schüler und die Eltern durch das »Homeschooling«. Von den verpassten Schulstunden war kaum mehr die Rede.  

    Immer mehr hitzefrei 

    Die Anzahl der heißen Tage wird noch zunehmen. Selbst wenn man die Hitzefrei-Definition auf 30 Grad anhebt, wird es in siebzig Jahren mehr »Hitzefrei-Tage« geben, als es überhaupt Freitage gibt, also über fünfzig pro Jahr. Sollte man also die Freitage heute nicht dafür nutzen, diesen verrückten Zustand mit Hitzefrei-Übermaß nach allen Kräften zu verhindern? Da wurde der jungen Generation jahrelang vorgeworfen, unpolitisch und desinteressiert zu sein, und plötzlich verhalten sie sich politischer und erwachsener als viele Erwachsene. Die nächste Generation denkt viel globaler und internationaler als meine, fordert Gerechtigkeit, fühlt sich zurecht betrogen um ihre Zukunft auf diesem Planeten. Gleichzeitig behalten die Plakate Witz und Ironie: »Kurzstreckenflüge nur für Insekten«, »Wir gehen wieder zur Schule, wenn ihr eure Hausaufgaben macht« oder »Wozu Bildung, wenn später keiner auf die Gebildeten hört?«  

    Als es hieß, die Jugend sollte solche komplexen Dinge doch bitte den Profis überlassen, ließen die nicht lange auf sich warten. In Windeseile gründete sich »Scientists for Future«, um die Jugendlichen zu unterstützen. Ein paar Tage später saßen wir in der Bundespressekonferenz, stellten die lange Liste der Unterstützer vor und ihre klare Einschätzung: Die Sorgen der protestierenden Jugendlichen sind wissenschaftlich voll berechtigt. Was nun? 

    Meine Wünsche an Lehrkräfte 

    Wie können Sie als Lehrkräfte, Schulleiter und Gestalter an den Schulen Teil einer positiven Veränderung werden?  

    Drei Wünsche: 1. Machen Sie weiter so, wenn Sie sich schon engagierten. Zweitens: Werden Sie konkret, lebensnah, aktiv und tauschen Sie die besten Beispiele aus. Drittens: Werden Sie öffentlich hörbarer und sichtbarer! 

    Erstmal vorneweg: Viele engagieren sich. Auch nicht erst seit gestern. DANKE! Mehr davon! Ich hatte sehr engagierte Lehrerinnen und Lehrer und habe schon vor inzwischen 35 Jahren in politischer Weltkunde Referate über die Vorteile eines Tempolimits und über den sauren Regen gehalten. Auf der anderen Seite hat weder das Wissen noch das politische Bewusstsein in verschiedenen „Bubbles“ zu einer wirksamen Umsetzung in Politik und echten Klimaschutz geführt. Wir verfehlen 2021 unsere eigenen Klimaziele in Deutschland, der C02-Gehalt der Atmosphäre ist so hoch wie noch nie und der aktuelle IPCC-Bericht vom August 2021 ist eindeutig: Die Klimakrise betrifft jeden Menschen in jedem Winkel der Erde.  

    Die Probleme löst man nicht mit einer Projektwoche, aber jeden Schultag sitzt genau die Generation vor Ihnen, die uns auch noch in 30 Jahren alle Löcher in den Bauch fragen wird, was uns 2021 wichtiger war, als an dem größten Problem von uns allen gemeinsam zu arbeiten. Material gibt es. Vorbildliche Schulen auch, wie zum Beispiel das Goethe-Gymnasium in Berlin Lichterfelde, das von der Stiftung Umwelterziehung mit dem Siegel “Internationale Nachhaltigkeitsschule” ausgezeichnet wurde. 

    Eckart von Hirschhausen engagiert sich für „Be smart – don´t start“ und mit dem Programm „fitforfuture“ für Gesundheitsförderung, seelische Gesundheit und zukünftig noch stärker im Bereich Umweltbildung. Credit: Dominik Butzmann

    Die Atmosphäre ist keine Dunstabzugshaube 

    Aktuell wird viel über Luftfilter in den Schulen diskutiert. Endlich sind Aerosole und Feinstaub ein Thema. Genauso wichtig wären Luftfilter für die Atmosphäre, sprich ein schneller Kohleausstieg.  

    Die Atmosphäre ist eben keine Dunstabzugshaube, die alle schlimmen Gerüche ins Nirwana verfrachtet – sie ist eine hauchdünne Schicht, im Verhältnis zur Erde dünner als die Haut von einem Apfel. Und sie macht den entscheidenden Unterschied zwischen einem überlebensfeindlichen Universum und dem einzigen bekannten Planeten mit Wasser und Sauerstoff, Kaffee, Sex und Schokolade. Besser wird es nicht. Nirgendwo.  

    Warum endet jedes Fieberthermometer bei 41 Grad? Weil wir mehr schlichtweg nicht aushalten an Körpertemperatur. Die Eiweißstoffe im Hirn gehen kaputt. So schwer uns das in den Kopf geht. Es gibt Dinge, die sind nicht mehr umkehrbar. Irreversibel. Das weiß jeder, der schon mal ein Ei gekocht hat, dass Proteine, die einmal ihre Form durch Überhitzung verändert haben, nicht mehr in die ursprüngliche Form zu bringen sind. Ein Ei wird bei über 40 Grad hart. Und auch wenn es wieder abkühlt, wird es nie wieder weich. Wir übersehen wirklich, wie sehr wir auch als Menschen biologische Wesen sind, mit einem sehr anfälligen und verletzlichen Körper. Es ist eine große Illusion, dass wir uns „gewöhnen“ können an Hitze. Und der sensibelste Körperteil ist ausgerechnet der, mit dem Sie alle arbeiten: der Kopf. Sorry Sportlehrer. Mathe, Physik, Bio hatten wir schon ins Boot geholt. Aber auch Fußball kann man nur spielen, wenn man einen kühlen Kopf behält. Und wenn man an die frische Luft soll, diese auch frisch ist! Hat Ihre Schule eine Dachbegrünung? Hat sie eine Erdwärmepumpe oder Klimaanlage? Können Sie das Gebäude auf Durchzug schalten, oder können das nur individuell die Schülerinnen und Schüler? Machen Sie immer noch Flugreisen in die Antike oder schon Zeltreisen in die Zukunft?  

    Was gibt es jeden Tag für Essen? Kommen die Schüler mit dem Auto und die Lehrer mit dem Rad? Oder umgekehrt? Hat nicht Karl Valentin gesagt: Kinder kann man gar nicht erziehen, die machen einem eh alles nach?  

    Naturgesetze sind nicht verhandelbar 

    Mein Freund Harald Lesch hat mir einen Satz hinter die Ohren geschrieben: „Naturgesetze sind nicht verhandelbar.“ Salopp gesagt: Physik gilt für alle, egal ob wir sie verstehen oder nicht. Ja, C02 ist für unser Auge unsichtbar – aber nicht für Wärmestrahlung. Ja, Feinstaub sehen wir nicht, aber er zerstört unsere Lunge, unser Herz-Kreislaufsystem, ja sogar Hirn und Bauchspeicheldrüse werden durch die vielen kleinen Partikel chronisch entzündet und geschädigt. Luftverschmutzung ist weltweit der Killer Nummer eins. Und hängt maßgeblich an der Art, woraus wir Energie gewinnen. Zeigen Sie die Verbindungen zwischen den Fächern, zwischen Menschen, Tieren, planetaren Grenzen zwischen dem ganzen „web of life“, was viel spannender sein kann als das Internet. 

    Auf meinem Buch „Mensch Erde! Wir könnten es so schön haben“ gibt es auf dem Cover einen Sticker: „Drei Krisen zum Preis von zwei!“ Was wie ein Marketinggag aussieht, ist die bittere Wahrheit. Wir haben gerade mehr Krisen, als wir eingepreist haben. Die Übertragungen aus dem Tierreich – wie Ebola, Mers, Sars und aktuell Corona – werden immer heftiger und häufiger, weil wir den Lebensraum der Wildtiere brutal zerstören, die Tiere krank werden, und weil wir den Wildtierhandel nicht stoppen auch immer häufiger diese Erreger auf den Menschen überspringen. Klimakrise, Artensterben und Pandemien sind verschiedene Symptome von Mangel an „planetary health“. Gegen Viren kann man impfen. Gegen Hitze nicht.  

    „Die nächste Generation denkt viel globaler und internationaler als meine, fordert Gerechtigkeit, fühlt sich zurecht betrogen um ihre Zukunft auf diesem Planeten”, schreibt Eckart von Hirschhausen in PROFIL. Credit: Dominik Butzmann

    Wir sind in einer absolut bedrohlichen Lage 

    Was ist mit Sozialkunde? Auch ihr! Denn vielleicht sind wir jetzt an dem „tipping point“, an dem Kipppunkt. Denn den gibt es nicht nur im Erdsystem, sondern auch in der Gesellschaft. Es häufen sich die Zeichen, dass endlich die Realitätsleugnung aufhört und die Diagnose in der Mitte der Gesellschaft ankommt: Wir sind in einer absolut bedrohlichen Lage. Und es wird auch die nächsten Jahrzehnte nicht besser, sondern schlechter. Wir müssen massiv umsteuern, investieren, umbauen und, und, und. Wie wir wohnen und heizen, wie wir essen, wie wir uns bewegen und wie wir globale Verantwortung wahrnehmen und übernehmen. Mit dem Stiftungsnetzwerk F20 hatte ich mit meiner Stiftung „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“ die Gelegenheit, mit dem EU-Kommissar Franz Timmermanns zu sprechen. Er erinnerte an die großen Umbrüche und Fortschritte, die Europa nach dem zweiten Weltkrieg machte, auf dem Hintergrund der historischen Katastrophe. Allen war damals klar: nie wieder Krieg. Nie wieder Faschismus. (Ich wünschte, das wäre heute immer noch allen so klar. Ja, wir brauchen auch Geschichtsunterricht, Nachhaltige Ideen gab es übrigens schon im Mittelalter). Timmermanns mahnte für heute einen Aufbruchsgeist an, der wie beim Wiederaufbau über die eigene Generation hinausdenkt. Wir müssen jetzt in unserer „Boomergeneration“ lauter Dinge tun und anschieben, obwohl wir die Früchte selbst nicht mehr erleben werden. Dafür hatten wir ja aber auch bisher lange genug eine sorgenfreie Zeit. Wenn man das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ernst nimmt, muss die Leitschnur für heutige Entscheidungen die Freiheit und die Überlebenschancen der nächsten Generation sein. Und das am besten ohne den Krieg vorher. Oder zukünftige Kriege um Wasser, Essen, Schatten und die letzten Flächen mit Regen und fruchtbarem Land.  

    Die Europawahl war schon stark von den Klimafragen geprägt, umso mehr gilt das für die Bundestagswahl. Das Thema gehört keiner einzelnen Partei, sondern ist im Kern auch „konservativ“. In den Klimafragen stecken die großen Themen der evangelischen und katholischen Kirche: Bewahrung der Schöpfung, Friede und Gerechtigkeit. Also Religions- und Philo-Lehrer: auch Ihr seid gemeint! Hab´ ich jetzt das ganze Kollegium erreicht? Hoffe mal. More or less. Englisch brauchen wir für die Verhandlungen auf der internationalen Ebene und den Green Deal. Nichts für ungut.  

    Eigentlich ist es ja auch gar nicht so kompliziert. Es reichen fünf Sätze, die hoffentlich alle, die bis hierhin gelesen haben, unterschreiben können: 

    Die Klimakrise ist echt und bedrohlich. Sie ist menschengemacht. 

    Die Wissenschaft ist eindeutig. Menschen können etwas ändern. Es gibt noch Hoffnung.  

    Und das Ziel, auf das wir uns doch alle einigen können, lautet: Gesunde Menschen auf einer gesunden Erde. Und das am besten dauerhaft hitzefrei!  

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