Abitur im Ausland? PROFIL zu Gast an der Deutschen Botschaftsschule Peking

    PROFIL unterwegs an der Deutschen Botschaftsschule in Peking

    Die Deutsche Botschaftsschule Peking wurde 1978 gegründet. Gemeinsam mit den Kindergartenkindern sind es fast 600 Kinder und Jugendliche, die hier jeden Tag ein und aus gehen, Credit: DSP

    Von Viktoria Dümer* und Daniel Schweitzer (Fotos) 

    Peking – Ein Donnerstag im Mai, 11.35 Uhr, Ortszeit Peking. Die Sonne strahlt auf den Schulhof der Deutschen Botschaftsschule, ein paar Bambusbüsche rascheln im Wind. Der Himmel ist blau, was hier bedeutet: Die Luftwerte sind gut und kein Sandsturm ist in Sicht. Draußen ist trotzdem nichts los, die fünfte Stunde hat gerade begonnen. 

    Große Fensterfronten und glänzendes Linoleum. Lange Flure, von denen Klassen- und das Lehrerzimmer abgehen. Die Aula mit Stufen wie in einem Amphitheater. Eine Bibliothek mit gemütlichen Sitzecken und Regalen voller Bücher für alle Altersstufen. Bunte Kunst und Lern-Poster von Schülern an den Wänden: Die Deutsche Schule Peking (kurz: DSP) sieht nicht nur aus wie eine typische, moderne Schule in der Bundesrepublik, sie riecht auch so. Nach Kaffee, Bodenseife, ein bisschen Staub, ein bisschen Schweiß und – seit gut einem Jahr – viel Desinfektionsmittel.  

    PROFIL-Autorin Viktoria Dümer lebt derzeit in Peking und hat für PROFIL an der Botschaftsschule recherchiert, Credit: privat

    „Unterschiede zu einer Schule in Deutschland sind kaum vorhanden“, sagt Jüliana Schmidt. „Das macht den Einstieg hier sehr einfach.“ Sie lehrt Deutsch und Musik in den Klassenstufen 5 bis 12 an der Botschaftsschule. Gerade unterrichtet sie im ersten Stock die Klasse 9b. Thema derzeit: Film-Analyse. Die dreizehn Schüler haben „Das Versprechen“ von Alfred Dürrenmatt gelesen, schauen nun die davon inspirierte Hollywood-Verfilmung, „The Pledge“. Alle Anwesenden tragen Maske, auch hier hat Covid seine Spuren hinterlassen, obwohl nach aktuellem Stand in Peking seit mehr als 100 Tagen keine Neuinfektionen verzeichnet wurden. Schmidt führt kurz in das Thema ein, fasst die Ergebnisse der letzten Stunde am White Board zusammen. Die Schüler schreiben mit, der Inhalt ist klausurrelevant.  

    Die 28-Jährige arbeitet seit fast zwei Jahren an der Botschaftsschule, es ist ihre erste Stelle nach dem zweiten Staatsexamen. Sie selbst sei ein „Auslandsschulkind“ und in Bangkok sowie Abu Dhabi zur Schule gegangen, erzählt sie. „Aufgrund dieser schönen Erfahrungen als Schülerin und als Studentin bei meinem Praktikum an der Deutschen Schule Tokio, stand für mich schon im Studium fest, dass ich im Ausland unterrichten möchte“, erklärt sie. „Zu China hatte ich dank meiner Mutter schon sprachlich und kulturell eine Verbindung. An der DSP habe ich mich dann initiativ beworben und bekam schnell eine Zusage.“ Schmidt hat Gymnasiallehramt in Stuttgart studiert, wo sie auch ihr Referendariat absolviert hat. An der DSP ist sie nun als eine von 60 Ortslehrkräften angestellt. 

    „Man muss es einfach wagen!“ 

    Hinzu kommen 15 Auslandsdienst-Lehrkräfte vom Bundesverwaltungsamt, zu denen auch Sylvia Lang gehört. Sie hat den vielleicht klassischeren Weg gewählt und sich über die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen beworben. Die Gymnasiallehrerin ist Landesbeamtin und für die Dauer ihrer Auslandstätigkeit beurlaubt. Lang unterrichtet Kunst und Deutsch, lebt seit fünf Jahren mit ihrem Mann und ihrer neunjährigen Tochter in Peking. „Schlechte Luft und Menschenmassen – das sind die Stereotypen, die den meisten Deutschen zu China einfallen und die bei unserer Entscheidung natürlich auch eine Rolle gespielt haben“, sagt die 49-Jährige. „Doch die Luft ist wesentlich besser als noch vor ein paar Jahren und auch andere Vorurteile haben sich nicht bestätigt. Man muss es einfach wagen! Dann ist Unterrichten im Ausland eine riesengroße Bereicherung für die eigene, persönliche Entwicklung.“  

    Jüliana Schmidt (28) unterrichtet Deutsch und Musik an der Deutschen Botschaftsschule in Peking

    Für Sylvia Lang (49) ist Peking bereits der zweite Auslandsposten

    Für Sylvia Lang ist Peking bereits der zweite Auslandsposten, der erste war an der Deutschen Schule New York. „Selbst in den USA gab es kulturelle Überraschungen und Herausforderungen“, erinnert sie sich. Das Arbeitsumfeld an der DSP sei sehr angenehm. „Man wird als neuer Kollege unglaublich schnell und herzlich aufgenommen, weil alle hier fremd sind und wissen, wie schwer der Anfang ist.“ Die Schulverwaltung habe bei der Wohnungssuche, Konto-Eröffnung und vielen weiteren Dingen, die man in Peking als Neuankömmling machen muss, vermittelt und geholfen. 

    Auch im Alltag seien die hohen Ressourcen der Schule zu spüren: „Alles ist blitzsauber, der Garten und der Schulhof sind sehr gepflegt.“ Als Kunstlehrerin ​müsse man ​sich keine Sorgen um die Beschaffung der Kunstmaterialien machen und z.B. die Schülerprojekte nicht selbst aufhängen. Hier erhalten die Lehrkräfte Unterstützung von einem der Hausmeister.    

    Das Verhältnis zwischen Lehrern, Schülern und Eltern sei anders, enger als an einer deutschen Schule in Deutschland. „Ein Großteil ihres, unseres Lebens spielt sich hier ab, denn nachmittags treffen sich die meisten Schüler in den AGs“, beschreibt Lang. „Viele Eltern übernehmen Aufgaben, zum Beispiel im Schulshop oder in der Bibliothek, oder engagieren sich im Schulverein. Jeder kennt sich, der Kontakt ist schnell und einfach hergestellt, auch für den Fall, dass es mal Probleme gibt.“ 

    Im Schuljahr 2020/21 besuchten 480 Schülerinnen und Schüler die DSP, die sich im neuen Botschaftsviertel befindet. Die 1978 gegründete Privatschule wird vom Deutschen Schulverein Peking getragen. 

    Vor der Wiedervereinigung war das Grundstück für den Bau der neuen DDR-Botschaft vorgesehen. 2000 wurde dort ein gelbes Gebäude mit Dienstwohnungen für deutsche Diplomaten und die rot verputzte Botschaftsschule von dem Hamburger Architekturbüro „Gerkan, Mark und Partner“ entworfen. Der Schulhof ist dunkelgrau gepflastert, sodass sich in dem Ensemble dezent die Farben der Bundesrepublik widerspiegeln. Ein schweres Eisentor schützt das hoch umzäunte Areal; wer es betreten will, muss sich vorher anmelden und bei den Pförtnern ausweisen. Hintergrund dieser Sicherheitsmaßnahmen ist unter anderem ein Vorfall aus dem Jahr 2002: Damals hatten sich 15 nordkoreanische Flüchtlinge auf das Grundstück der Bundesrepublik gerettet, um einer Abschiebung durch China zurück in ihr Heimatland zu entgehen und eine Ausreise nach Südkorea zu erwirken. 

    Frau Schmidt mit ihrer 9b bei der Filmanalyse. Die Deutsche Botschaftsschule in Peking ist ihre erste Stelle nach dem Zweiten Staatsexamen

    Zur Botschaftsschule gehören neben der weiterführenden Schule ein Kindergarten (ab zwei Jahren bis Vorschule) und die Grundschule (1. bis 4. Klasse, auch mit Ganztagsbetreuung).  

    Der Unterricht wird in deutscher Sprache erteilt. Ab der ersten Klasse wird Englisch unterrichtet, Französisch folgt in der sechsten Klasse als zweite Fremdsprache. Latein wird als AG angeboten mit der Option, später eine Latinum-Prüfung abzulegen. Der Religionsunterricht wird überkonfessionell im Klassenverband erteilt. 

    „In der Sekundarstufe I orientieren wir uns an den Lehrplänen des Landes Thüringen, in der Sekundarstufe II gilt die Ordnung für das Deutsche Internationale Abitur und das Kerncurriculum für die deutschen Auslandsschulen“, erklärt DSP-Schulleiter, Oberstudiendirektor Dr. Andreas Merzhäuser. 

    Neue Schulleitung mitten im Corona-Chaos 

    Geschafft! Oberstudiendirektor Dr. Andreas Merzhäuser (61) gratuliert Nele Piotrowski (18) zum bestandenen Abitur

    Der 61-Jährige trat seine Stelle in Peking inmitten des Corona-Chaos im Februar 2020 an. „Ich wusste: Ich komme dahin und meine Schule ist erstmal geschlossen. Ich werde weder Schüler noch Mitarbeiter kennenlernen, wie es beim Antritt einer neuen Stelle wünschenswert wäre.“ Wie an den meisten deutschen Schulen sei der Start mit dem Distanzunterricht zunächst holprig gewesen. „Nach einigen Wochen haben wir zum Glück dank Hilfsmitteln wie Microsoft Teams eine produktive Routine gefunden, zu der zunächst wöchentliche, dann tägliche Online-Treffen der Klassen mit ihren Lehrern gehörten.“  

    Die im selben Monat geplanten, schriftlichen Abiturprüfungen mussten verschoben werden und seien schließlich im April nur mithilfe der Deutschen Botschaft und Sondergenehmigung möglich gewesen. Merzhäuser: „Der Bezirksbürgermeister von Peking-Chaoyang, welcher immerhin für 3,5 Millionen Einwohner verantwortlich ist, fuhr persönlich hier vor, um mit einer Delegation jeden einzelnen Prüfungsraum und die hohen Gesundheitsauflagen zu begutachten.“  

    Schwerer war es für den aktuellen Abitur-Jahrgang, der pandemiebedingt fast ein halbes Jahr Distanzunterricht hatte. „Trotz erhöhter Schwierigkeiten durch Corona haben wir uns nicht unterkriegen lassen“, erinnert sich die Abiturientin Nele Piotrowski aus Bayern. Ausgerechnet eine Woche vor den schriftlichen Prüfungen ließ die Stadtregierung alle Schulen wieder schließen, da neue Corona-Fälle aufgetreten waren. Nur dank erneuter Hilfe durch die Botschaft konnten die Prüfungen schließlich doch stattfinden.   

    Was ist eine Botschaftsschule? 

    In seiner Satzung hat der Schulverein festgelegt, dass der Leiter der Botschaft oder dessen Beauftragter an allen Sitzungen des Schulvorstandes mit beratender Stimme teilnimmt. Die DSP wird durch die Zentralstelle für Auslandsschulwesen staatlich gefördert. Dies geschieht sowohl durch die Entsendung von Auslandslehrkräften als auch durch die Bereitstellung von Mitteln. Pädagogische Fragen hingegen liegen in den Händen der Schulleitung. Die Botschaft vermittelt vor allem zwischen Schule und chinesischen Behörden. 

    „Natürlich besteht eine enge Verbindung zwischen uns und der Schule, allein schon, weil sie sich auf dem Grundstück der Bundesrepublik befindet“, erklärt die Diplomatin Yildiz Miller, die als Kulturattaché für die DSP zuständig ist. „Die Abschlusszeugnisse werden von der Botschaft unterzeichnet und deutsche Lehrkräfte können an der Schule ohne Einflüsse von außen ein deutsches Curriculum unterrichten. In der SARS-Cov-2-Pandemie bedeutete dies, dass beispielsweise die Abiturprüfungen sowohl 2020 als auch 2021 vollumfänglich stattfinden konnten, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Schulen für den Präsenzunterricht geschlossen waren. Viele andere internationale Schulen in Peking konnten daher nur ‚Covid-Abschlüsse‘ ohne Prüfungen anbieten.“ 

     

     

    Besonderes Ereignis auf dem Schulhof in Peking: Dönerstag! Das Fleisch liefert die deutsche Metzgerei Schindler

    Dönerstag – Einmal alles mit Scharf 

    Zurück zur 9b: 12.20 Uhr, es klingelt, die Stunde ist vorbei. Die Schüler packen zusammen und strömen auf den Schulhof, wo heute etwas Besonderes auf sie wartet. „Heute ist nicht Donnerstag, sondern Dönertag“, erklärt Norma Kunze, die an der DSP für Marketing und PR zuständig ist. „Das haben sich die Schüler gewünscht.“ Ein Stück deutsch-türkische Kultur, mitten in Chinas Hauptstadt. Normalerweise verkauft „Schindler“, die Deutsche Metzgerei in Peking, Döner auf dem Schulfest. „Das darf leider auch in diesem Jahr nicht stattfinden. Deshalb haben wir die Metzgerei gebeten, einfach so vorbeizukommen.“ Für knapp fünf Euro gibt es einen Döner plus Getränk, wer will „einmal alles und scharf“. Die Mensa bleibt heute eher leer. 

    Auch Max Au hat sich einen Döner geholt, sitzt nun im Schulgarten. Hohe Bäume spenden Schatten, ein runder, grauer Steintisch mit kleinen Hockern lädt zum Verweilen ein. Max geht in die 11. Klasse, sein Vater kommt aus Walsrode in Niedersachsen, seine Mutter ist Pekingerin. Nach nationalem Gesetz dürfen chinesische Staatsbürger keine internationale Privatschule besuchen. Da Max einen deutschen Pass hat, ist das kein Problem. Dennoch hat er von der ersten bis zur vierten Klasse eine staatliche, chinesische Schule besucht.  

    „Meine Eltern wollten, dass ich beide Seiten kennenlerne und sich mein Chinesisch festigt. Was soll ich sagen? Es gibt so viele Unterschiede, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll.“ Der Morgen-Appell an der lokalen Schule habe sich ihm eingeprägt. „Wir haben schon als Grundschüler Kampfschreie gelernt und Texte über die Kommunistische Partei gelesen. Ich weiß noch, wie verwundert ich in meiner ersten Deutschstunde hier an der DSP war. Wir lasen einen Text und es ging um eine Rennschnecke“, sagt Max und lacht. „Es war einfach ein lustiger Text, nichts Politisches.“ Hier habe er es auch zum ersten Mal erlebt, dass Lehrer die Schüler auffordern, ihre Pausen an der frischen Luft zu verbringen.

    Max Au (18) hatte eine staatliche chinesische Schule besucht, bevor er auf die Botschaftsschule kam. Sein Vater kommt aus Niedersachsen, seine Mutter aus Peking

    Statt Turnen wurde an seiner Grundschule Marschieren geübt, auch habe es keine Arbeitsgemeinschaften gegeben. An der DSP gibt es 100 verschiedene aus den Bereichen Sport, Sprache, Kunst, Theater, Musik, Lern-Förderung und Naturwissenschaften. Max spielt in der Fußball-Mannschaft. „Der Leistungsdruck in der Grundschule war hoch, wir hatten auch zuhause wegen der vielen Hausaufgaben kaum Zeit zum Spielen.“ Das hohe Pensum zuvor habe aber auch etwas Positives gehabt: „Ich war plötzlich gut in Mathe! Nicht weil ich ein Genie bin, sondern weil das, was ich an der chinesischen Schule bis zur vierten Klasse in Mathe schon gelernt hatte, mir bis nach der sechsten Klasse an der Deutschen Schule geholfen hat.“  

     

    Jenseits der Expat-Bubble 

     

    Die Einblicke, die Max aufgrund seiner Herkunft in die chinesische Kultur hat, sind nicht selbstverständlich. Die meisten Schüler kommen aus Familien, in denen ein Elternteil oder beide für die Autoindustrie, andere deutsche Firmen oder die Botschaft arbeiten. Nicht umsonst wird das Leben der Ausländer in Peking als große „Expat-Bubble“ beschrieben. Aber: Jedem steht es natürlich frei, hier auszubrechen, was die Schule ausdrücklich unterstützt. Chinesisch-Unterricht gibt es ab der Grundschule als Arbeitsgemeinschaft, ab der 10. Klasse kann es als dritte Fremdsprache hinzugewählt werden. Sprachkurse werden auch für Lehrkräfte angeboten. Das Thema der jährlichen Projektwoche hat immer einen China-Bezug und besonders in der 7. Klasse erwartet die Schüler etwas Besonderes: das Sozialprojekt. Die Schule hat seit elf Jahren eine Partnerschaft mit einer Schule für Kinder von Wanderarbeitern. 

    Christine Au (15), die Schwester von Max Au, wird von Jüliana Schmidt in Deutsch unterrichtet

    Hintergrund: Nur wer in Peking einen festen Wohnsitz und eine legale Arbeit hat, bekommt die dazugehörigen Sozialleistungen, was einen Schulplatz für das eigene Kind einschließt. Das bringt Millionen Menschen in Bedrängnis, da sie aufgrund mangelnder Perspektiven vom Land in die Städte ziehen. Hier finden sie vergleichsweise gut bezahlte Jobs auf Baustellen, im Dienstleitungsbereich, als Kindermädchen und Haushaltshilfen. Die Töchter und Söhne müssen hierfür bei Verwandten in den Heimatprovinzen zurückgelassen werden. Doch was, wenn es keine Angehörigen gibt oder diese sich nicht kümmern wollen? Genau hier greift die Xingzhi-Schule im Süden Pekings den (oftmals verzweifelten) Eltern unter die Arme und bietet einen Schulplatz an, was die DSP mit dem Sozialprojekt „Candlelight“ unterstützt.  

    Das Engagement geht weit über Geldspenden hinaus, erklärt die Projektleiterin Ulrike Möckelmann. Immer die siebte Klassenstufe sei für das Projekt verantwortlich. „Wir organisieren gegenseitige Besuche der Schüler im Unterricht, Aufführungen, Kunstprojekte, Sportwettkämpfe und gemeinsames Kochen. Außerdem sammeln die Siebtklässler Spenden, indem sie in der Schule Kuchen oder auf dem Weihnachtsmarkt der deutschen Community selbst gebastelten Schmuck verkaufen.“  

    Für viele deutsche Kinder sei der Besuch dort Augen öffnend, sagt die 49-jährige Hamburgerin. „Die allermeisten kommen aus akademischen, finanziell abgesicherten Familien. Plötzlich sehen sie, wie das Leben außerhalb Pekings sein kann, dass Schulunterricht, Handys, regelmäßiges Baden und eine Heizung trotz Minusgraden keine Selbstverständlichkeit sind. Das rückt die Perspektive zurecht.“ Doch für alle Schüler, auch die chinesischen, seien die interessanten und fröhlichen Begegnungen eine große Bereicherung. Möckelmann: „Es ist schön zu erleben, wie bei den Kindern das Verständnis für die jeweils andere Kultur wächst.“ 

    Seit Jahrzehnten schon lassen die Abiturienten nach der Zeugnisvergabe rote Luftballons steigen – als Zeichen ihrer Wünsche und Träume für die Zukunft

    Gemeinschaftssinn, viel Toleranz, Verantwortung für sich und andere – diese Werte scheinen an der DSP neben den eigentlichen Bildungsplänen eine besonders große Bedeutung zu haben. Diese Herzlichkeit untereinander wird wenige Wochen später noch einmal deutlich. Es ist noch immer Mai, ein Freitag. Die Abschlussfeier der Abiturienten hat begonnen, die Absolventen betreten die Aula. Alle Lehrer, der neue 12. Jahrgang und die Eltern sitzen gespannt und stolz auf ihren Plätzen. Geschwister, Großeltern und Freunde sind per Video zugeschaltet. „Nächstes Jahr sind wir dran“, sagt eine Mitschülerin zu Max Au.  

    Auch Ulrike Möckelmann und Sylvia Lang sind im Publikum. Jüliana Schmidt singt den Schülern mit dem Lehrer-Eltern-Chor das Ständchen „Alle sieben Jahre“ von Uli Führe. Schulleiter Merzhäuser sitzt in der ersten Reihe, beglückt, dass eine Abschlussfeier in diesem Jahr wieder in Anwesenheit der Eltern stattfinden darf. Auch sonst kann er mit einem Abitur-Durchschnitt von 1,9 zufrieden sein – die Absolventen haben ihrem Motto „Coronabi – mit Abstand die Besten“ alle Ehre gemacht. „Die Zeit wird zeigen, ob dieser Erfolg wegen oder trotz Distanzunterricht möglich war“, so Merzhäuser. Die Abiturienten hätten Herausragendes geleistet in dieser schweren Zeit, Erleichterungen bei den Prüfungen habe es dennoch nicht gegeben. Dass allein Corona zu besonders guten Leistungen geführt habe, will er nicht glauben: „Trotz aller Fluktuation hat ein Drittel der diesjährigen Absolventen die DSP mehr als neun Jahre und ein anderes Drittel länger als fünf Jahre besucht. Ihr Erfolg ist keine Eintagsfliege, sondern die pädagogische Leistung der Kolleginnen und Kollegen.“ 

    Vier Schüler haben einen Schnitt von 1,0 erreicht. Auch Nele ist darunter, sie hält die Abschlussrede. In ihren Worten klingt viel mit, was an der DSP eigentlich jeden Tag zu spüren ist: „Wir sind im Laufe der Zeit eng zusammengewachsen und es fällt schwer, daran zu denken, diese Gemeinschaft, ja, diese Familie zu verlassen. Ich bin sehr gespannt, wohin es uns alle verschlägt und wo wir in zehn oder zwanzig Jahren gelandet sind. Aber eines wird uns immer verbinden: Wir waren hier. Wir haben diesen Lebensabschnitt gemeinsam bestritten und können verdammt stolz auf uns sein.“ 

    Nach oben