NRW-Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP): „Ohne außerschulische Angebote geht es nicht!”

    NRW-Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP): „Ohne außerschulische Angebote geht es nicht!”
    Yvonne Gebauer (55, FDP) ist seit 2017 Schulministerin in NRW. Im Mai 2022 finden dort die nächsten Landtagswahlen statt

    Von Karolina Pajdak 

    Am Tisch der Kultusminister ist sie die einzige FDP-Politikerin. Mit PROFIL sprach Yvonne Gebauer (55), Schul- und Bildungsministerin aus Nordrhein-Westfalen, über die Aufholjagd nach Corona, die Kooperation mit Ditib und erklärt, warum sie keine Rückkehr zum 24-Monats-Referendariat möchte.

    PROFIL: Ministerin Gebauer, das Schuljahr ist gerade zu Ende gegangen. Wie zufrieden sind Sie mit diesem Jahr?  

    Yvonne Gebauer: Es war für alle Lehrerinnen, Lehrer, Schülerinnen und Schüler ein anstrengendes Schuljahr mit vielen Herausforderungen. Ich bin froh und dankbar, dass es in NRW nach einem ordentlich und weitestgehend in Präsenz verlaufenem Jahr 2020 in 2021 gelungen ist, ab dem 31. Mai wieder in den Präsenzunterricht zurückzukehren. So war doch noch ein versöhnlicher Schulabschluss nach einem sehr außergewöhnlichen Schuljahr möglich. 

    PROFIL: Ist die Teststrategie an den Schulen in NRW aufgegangen?  

    Gebauer: Ja, das ist sie. Es macht mich ein wenig stolz, dass wir das erste Bundesland waren und sind, dass die Lolli-Tests für alle Grund- und Förderschulen angeboten hat. Ich bin sehr froh darüber, dass wir das in so kurzer Zeit auf den Weg bringen und so für mehr Sicherheit sorgen konnten.  

    PROFIL: Inzwischen sind Corona-Impfungen für Kinder ab zwölf Jahren möglich. Empfehlen Sie das den Schülerinnen und Schülern in NRW?  

    Gebauer: Diese Entscheidung treffen ausschließlich die Eltern bzw. die Jugendlichen selbst. Ich werde dazu keine Empfehlung aussprechen.  

    PROFIL: Wird das neue Schuljahr ein Jahr ohne Masken und Tests?  

    Gebauer: Das neue Schuljahr wird voraussichtlich mit Masken und Tests beginnen. Wie lange das noch so bleiben wird, kann derzeit niemand sagen.  

    PROFIL: Wie wollen Sie langfristig die Qualität des Abiturs sichern?  

    Yvonne Gebauer: Wir haben dazu im vergangenen Jahr in der KMK beraten und im Oktober beschlossen, dass die Länder ihre Rahmenvorgaben für die Gestaltung der gymnasialen Oberstufe weiter angleichen. Bis 2023 wollen die Länder eine genaue Anzahl künftig verpflichtend zu belegender und in die Gesamtqualifikation einzubringender Fächer einschließlich ihrer Gewichtung festlegen. Wir haben auch beschlossen, dass es eine einheitliche Anzahl zu wählender Fächer auf einem erhöhten Anforderungsniveau geben soll. Und wir haben uns darauf verständigt, dass es einheitliche Regelungen zur Leistungsermittlung in den vier Schulhalbjahren der Qualifikationsphase geben soll. Das ist ein großer Schritt hin zu mehr Vergleichbarkeit und einer stärkeren Qualitätssicherung beim Abitur. 

    PROFIL: Das heißt, ab 2023 kommt das „neue” Abitur?  

    Gebauer: Die Reform der gymnasialen Oberstufe wird sich erst zu einem späteren Zeitpunkt auf die Abiturprüfungen auswirken. Die Länder werden aber schon 2023 erstmals die Hälfte der Aufgaben aus dem Aufgabenpool für die Fächer Deutsch, Mathematik und die erste Fremdsprache ohne Modifikationen eins zu eins entnehmen. Auch das ist ein wichtiger Schritt hin zu einem qualitätsvollen Abitur, das den Ansprüchen an diesen höchsten Bildungsabschluss in allen Bundesländern gerecht wird.  

    PROFIL: Durch 20 Prozent der Oberstufenkurse, die ins Abitur einfließen, dürfen die Schüler „durchfallen“. Wie kann das Abitur noch anspruchsvoll sein, wenn z.B. alle Kurse in Mathematik und in einer Naturwissenschaft unter fünf Punkten sein und eingebracht werden dürfen?   

    Gebauer: Die Aufgabe, die Qualität des Abiturs langfristig zu sichern, ist ein komplexer Erarbeitungsprozess, der gerade erst begonnen hat. Vielleicht ergeben sich auf dem Weg Richtung 2023 auch noch ganz andere Erkenntnisse. 

    PROFIL: Was tut NRW, damit Lernrückstände aufgeholt werden können? 

    Yvonne Gebauer: Wir haben in NRW bereits das Programm „Extra-Zeit zum Lernen” aufgelegt. Mit außerschulischen Bildungs- und Betreuungsangeboten wollen wir die individuellen Folgen der Pandemie bei den Schülerinnen und Schülern ausgleichen. Wir sind im vergangenen Jahr gestartet und haben das Programm bis zu den Sommerferien 2022 verlängert, dabei die Angebote ausgeweitet und auch flexibler gestaltet. Für die „Extra-Zeit zum Lernen“ stellt das Land insgesamt 36 Millionen Euro zur Verfügung. Allein in den Monaten März bis Mai haben wir bereits 2.800 Gruppen und Individualmaßnahmen im Umfang von 5,2 Millionen Euro bewilligt. Für die Umsetzung der Maßnahmen aus dem Bundesprogramm wollen wir uns so breit wie möglich aufstellen. 

    PROFIL: Sind 2 Mrd. Euro vom Bund für alle Bundesländer genug?  

    Gebauer: Das werden wir sehen. Auf NRW entfallen 215 Millionen Euro. Das ist schon Geld, mit dem wir viele Maßnahmen an die Schülerinnen und Schüler bringen können.  

    PROFIL: In Angeboten von Ferienkursen, zusätzlichem Nachmittags- oder Samstagsunterrichts sieht der PhV NW keine Lösung im Sinne des konstruktiven und nachhaltigen Aufholens und Ausgleichens fachlicher Defizite im kommenden Schuljahr. Zusätzliches Lehrpersonal für das Einrichten kleinerer Lerngruppen zur besseren individuellen Förderung ist unabdingbar. Welche Ideen haben Sie dazu?    

    Gebauer: Wir sind dabei, konkrete Unterstützungsmaßnahmen auch für mehr Personal an den Schulen vorzubereiten, damit die Aufholjagd im Unterricht beginnen kann. Aber das allein reicht nicht, ohne außerschulische Angebote geht es nicht.  

    PROFIL: Machen wir es konkret, wieviele neue Lehrerstellen werden zum neuen Schuljahr in NRW geschaffen?  

    Gebauer: Für das kommende Schuljahr 2021/22 werden insgesamt 1.689 Lehrerstellen mehr zur Verfügung stehen. Bei den Tarifstellen für multiprofessionelle Teams, sozialpädagogische Fachkräfte gibt es ein Plus von 1.059 Stellen. Und bei der Schulverwaltungsassistenz sind es 569 Stellen mehr, die bereits seit Januar besetzt werden können.  

    PROFIL: Die Lehrkräfte sind zum großen Teil an ihre und über ihre Belastungsgrenzen gegangen. Welche Entlastungen können Sie für das nächste Schuljahr schaffen, damit die Lehrerinnen und Lehrer sich endlich wieder auf das Unterrichten konzentrieren können?  

    Yvonne Gebauer: Wir haben in NRW bisher eine enorme Aufholjagd hingelegt. Als ich das Amt der Schul- und Bildungsministerin 2017 übernommen habe, hatten wir einen riesigen Lehrermangel. Mit vier Maßnahmenpaketen haben wir inzwischen mehr als 4.600 Stellen besetzt, die sonst leergelaufen wären. Die Möglichkeiten für den Seiteneinstieg sind erweitert worden und zudem nutzen wir das Potential vorhandener ausgebildeter Gymnasiallehrkräfte, indem wir sie an Grundschulen oder SI-Schulen einstellen und ihnen dafür die Garantie geben, nach vier Jahren an eine Schule entsprechend ihrer Lehramtsbefähigung zu wechseln. Wir drehen weiter an jeder Schraube, um die Schulen und die Lehrkräfte zu unterstützen und sind uns der Situation voll bewusst.   

    PROFIL: Auch für die Referendare war die Pandemie eine große Herausforderung, ohne klassische Präsenzunterricht-Erfahrung. Warum wird das Referendariat nicht wieder auf 24 Monate angehoben?  

    Gebauer: Eine Verlängerung des Vorbereitungsdienstes ist derzeit keine Option. Sie würde nur dazu führen, dass gut ausgebildete Lehrkräfte dem Arbeitsmarkt später zur Verfügung stehen. Im Übrigen haben wir auch gute Staatsexamina während der Pandemie erhalten. Und unsere Nachwuchslehrerinnen und Nachwuchslehrer lernen schon während ihrer Ausbildung neue Unterrichtsformen ganz direkt kennen.  

    PROFIL: Wieso geht NRW eine Kooperation mit Ditib und keine weitere mit dem Zentralrat der Muslime ein?  

    Gebauer: Das Land arbeitet mit allen islamischen Organisationen in NRW zusammen, welche die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen, aktuell sind das sechs Landesverbände. Für die Mitwirkung in der neuen Kommission hat das Land im Gesetz klare Bedingungen formuliert: Eigenständigkeit und Staatsunabhängigkeit in der Zusammenarbeit beim islamischen Religionsunterricht, ein klares Bekenntnis zur Verfassung und gegen jede Form von Diskriminierung. Der Zentralrat der Muslime hat die Voraussetzungen bis jetzt noch nicht erfüllt, um unser Vertragspartner zu werden.  
    Das Kommissionsmodell ist ein offenes Modell. Die DITIB NRW hat diese Voraussetzungen erfüllt und dafür u.a. ihre Satzung geändert. Jetzt ist es wichtig, dass diese Satzung gelebt wird. Wir werden darauf achten, dass dies in der Praxis nicht umgangen wird. In diesem Fall können wir den Vertrag aufkündigen.  

    PROFIL: Welche Aufgaben muss eine Bundesbildungsministerin/ein Bundesbildungsminister nach der Bundestagswahl am dringendsten angehen?  

    Yvonne Gebauer: Eine neue Ministerin oder ein neuer Minister sollte vor allem gut mit den Ländern zusammenarbeiten, nicht nur um die Folgen der Pandemie gemeinsam und zügig in den Griff zu bekommen. Generell ist es notwendig, den Föderalismus weiterzuentwickeln. Aus dem Kooperationsverbot muss ein Kooperationsgebot werden. Die Digitalisierung zum Beispiel ist eine Daueraufgabe, an der sich der Bund kontinuierlich beteiligen muss. Der Digitalpakt war ein guter Anfang. Er muss aber auf alle Fälle verstetigt werden. 

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