Ausbildung in der Krise

    Referendare im Corona-Lockdown

    Lehrerausbildung in der Krise

    von Karolina Pajdak

    Berlin – Die Corona-Pandemie trifft alle. Sie trifft Schüler, Lehrer und auch die, die künftig an unseren Schulen so dringend gebraucht werden: die Referendare. Denn für viele angehende Lehrer unterbricht oder verhindert nun der Lockdown die unterrichtspraktische Ausbildung in Präsenz. „Die Verunsicherung, die Frustration und das Unverständnis über die aktuelle Ausbildungssituation sind enorm“, klagt Georg C. Hoffmann, Vorsitzender der Jungen Philologen. Unter diesen Bedingungen könnten die in der Prüfungsordnung des Vorbereitungsdienstes und der Zweiten Staatsprüfung für Lehrämter festgelegten Ziele nicht erreicht werden. Hoffmann sieht die Qualität der Lehrerausbildung so „akut gefährdet“.

    Es fehle die „Primärerfahrung Unterricht – im Hospitieren, im Erleben verschiedener Klassen, im Ausprobieren von Unterricht, im Training des begleiteten Unterrichts und als Vorbereitung für den selbstständigen Unterricht“, bestätigt auch Rüdiger Utikal, der seit mehr als 20 Jahren am Studienseminar in Esslingen (Baden-Württemberg) für die fachdidaktische Ausbildung der Referendare zuständig ist.  „Die Erfahrung von ,leibhaftigem‘ Unterricht kann durch nichts ersetzt werden. Fernunterricht kann nur Surrogat sein und bleibt trotz aller steigender Raffinesse der technischen Möglichkeiten immer ein Stück weit ,leblos‘, pädagogisch steril und didaktisch defizitär“, sagt er.

    Die Jungen Philologen, die die Referendare im Philologenverband vertreten, haben sich deshalb bereits mit einem Katalog an Forderungen an die Öffentlichkeit gewandt. Um die unterrichtspraktischen Defizite im Vorbereitungsdienst zu kompensieren, fordern sie:

    • bereits jetzt allen Referendaren eine unbürokratische Verlängerungsmöglichkeit des Vorbereitungsdienstes unter Fortzahlung der Bezüge und unter Beibehaltung der Beihilfeansprüche von mindestens drei Monaten zu ermöglichen,
    • die Ausstattung aller Referendare mit Dienstgeräten und Zugänge zu rechtssicherer Software für eine zeitgemäße digitale Unterstützung des Unterrichts,
    • insbesondere die Ausbildungs- und Prüfungssituation der Referendare bei der schrittweisen Öffnung der Schulen zu berücksichtigen,
    • die Anteile des selbstständigen Unterrichts in der Lehrerausbildung zugunsten des Unterrichts unter Anleitung zu kürzen,
    • zusätzliche Kapazitäten für eine intensivere Betreuung und Ausbildung der Referendare bereitzustellen,
    • Unterstützungsangebote für Berufseinsteiger, die ihr Referendariat während der Corona-Pandemie absolviert haben,
    • die Implementierung digitaler Didaktik und Medienpädagogik in allen Phasen der Lehrerausbildung in allen Fächern,
    • das Referendariat bundesweit wieder auf 24 Monate festzusetzen, um damit die völlig unvergleichbare Ausbildungssituation von Referendaren im bundesweiten Kunterbunt von 12, 16, 18, 21 und 24 Monaten Referendariat zu beenden.

    Lesen Sie hier auch das “Auf ein Wort” der aktuellen Ausgabe von PROFIL zum Referendariat in Corona-Zeiten

    Christian Simon (36, Fächer Biologie, Englisch) aus Berlin ist einer der jungen Lehrer, die ihr Referendariat aufgenommen haben, als die Corona-Pandemie begann. „Seit Beginn meines Referendariats im Februar letzten Jahres habe ich ca. einen Monat durchgehend Regelunterricht erlebt“, sagt er. Es habe sich die Lernkultur „Learning-by-doing“ etabliert. Die Unsicherheit, wie es im Schulalltag weitergeht, erschwere das Aneignen von Routinen, klagt er. Simon: „Normalerweise plant man eine Unterrichtsreihe für die kommenden Wochen vor, dazu müssen die Rahmenbedingungen bekannt sein. Da die Politik jedoch – gefühlt – alle zwei Wochen neu entscheidet (oder auch nicht, weil oft die Entscheidung über die Details am Ende den Lehrkräften einfach selbst überlassen wird), wie es weiter gehen soll, mangelt es an Planbarkeit.“

    Johannes von der Goltz (36, Fächer Erdkunde, Geschichte) absolviert sein Referendariat seit November 2020 an einem Kölner Gymnasium. Seine ersten eigenen Klassen konnte er bisher nur auf Distanz kennenlernen. „Das ist natürlich schon ein wenig seltsam und ich würde mal vorsichtig sagen: suboptimal“, berichtet er. Aber er sieht auch einen Vorteil in der Situation. Von der Goltz: „Zumindest wachsen wir Referendare nun direkt in ein digital unterstütztes Lehren und Lernen hinein und müssen uns das nicht irgendwann später mühsam aneignen.“

    Andrea Mikulic (29, Fächer Französisch, Politik, Wirtschaft) aus Kassel hat ihren Vorbereitungsdienst im Lockdown beendet. Erhofft hatte sie sich vom praktischen Teil ihrer Ausbildung, „das Handwerk für guten Unterricht zu erlernen“. Enttäuscht aber war sie vor allem von etwas Grundlegendem, nämlich der Diskrepanz zwischen Ausbildungsanforderungen und tatsächlichem Schulalltag: „Unser Uni-Abschluss bescheinigt doch, dass wir in der Lage sind, Problemstellungen anzugehen und wissenschaftlich zu arbeiten. Wozu dieser ganze Aufwand nochmal im Referendariat?“, fragt sie. Viel wichtiger sei es, die jungen Lehrkräfte in ihren Beratungskompetenzen, in Selbstachtsamkeit, Organisationsfähigkeit, in der Didaktik und in Sachen Digitalisierung zu stärken.

    Auch Philipp Pfennig (28, Fächer Geschichte, Mathematik) musste sein Referendariat im Lockdown beenden. Am 31. Januar dieses Jahres hatte er seinen letzten Tag als Referendar am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Löbau (Sachsen), einen Tag später begann er dort seinen ersten Arbeitstag als Lehrer. Enttäuscht war Pfennig im Freistaat Sachsen vom Umgang mit den Referendaren, denn im ersten Lockdown führte er mit seinen Schülern Videokonferenzen mithilfe von freien Anbietern durch. Im zweiten Lockdown wurde den Lehrkräften jedoch untersagt, weiter mit freien Anbietern zu arbeiten. Stattdessen sollte mit der Schulplattform Lernsax und dem Videokonferenzsystem Big Blue Button weitergearbeitet werden. Während es mit Lernsax zahlreiche Probleme gab, war die Nutzung von Big Blue Button für Referendare schlichtweg unmöglich. Pfennig: „Zur Nutzung der Plattform benötigt man als Lehrkraft einen Registrierungscode. Diesen haben wir als Referendare jedoch leider nicht bekommen.“

    Rüdiger Utikal fürchtet, dass der „Generation Corona-Referendariat“ Erfahrungslücken bleiben werden. Wer im letzten Schuljahr mit dem Vorkurs im Januar 2020 in Baden-Württemberg seine Lehrerausbildung begonnen hat, wurde gerade in einer Phase vom allgemeinen Lockdown betroffen, die erste Unterrichtserfahrungen mit gezielter und ausführlicher Beratung nach dem mehr oder weniger weit zurückliegenden sog. Praxissemester in den Mittelpunkt stellt. Wer 2021 beginnt, startet seine Lehrerausbildung in einer Phase, in der die Gymnasien so gut wie geschlossen sind. Utikal: „Wenn man das Referendariat als einen Prozess begreift, der auf organische Erweiterung der pädagogischen und didaktischen Kompetenzen zielt, werden hier Brüche nicht ausbleiben, die individuell durch Beratung, zugleich aber auch durch Fortbildungsangebote nach endgültigem Berufseintritt ausgeglichen werden müssen.“

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