Vier Lehrer erzählen

    Lehrer aus Israel, Brasilien, Großbritannien und Norwegen berichten:

    So sieht unser Corona-Schulalltag aus

    Die Corona-Pandemie hat den Arbeitsalltag aller Lehrer verändert – und das nicht nur in Deutschland. PROFIL hat bei vier Kollegen aus vier verschiedenen Ländern nachgefragt: Wie hat das Virus den Berufsalltag verändert?

    „Zu Beginn jeder Stunde gibt’s ein Zoom-Spiel“

    Tsippi Sandler (64), Lehrerin an der Hartman Girl’s School Jerusalem (Israel)

    Fach: Englisch

    Klassenstufen: 7 bis 12

    „Wir wurden 2019 innerhalb eines Tages alle zu Zoom-Benutzern. Damals haben wir so am Computer unterrichtet, wie wir es zuvor im Klassenzimmer getan haben – frontal. Wir haben dieses erste Schuljahr mit Corona überlebt und erleichtert aufgeatmet, als die Mädchen ihre Abschlussprüfungen geschrieben haben. Dann wurde uns klar, dass Online-Unterricht vorerst unsere Zukunft sein sollte und wir viel Zeit damit verbringen würden, digitale Programme zu lernen. Das Bildungsministerium führte viele Online-Schulungen zu verschiedenen digitalen Tools durch. Ich war überwältigt von der Menge an digitalen Möglichkeiten. Jetzt versuche ich den Unterricht mit Google-Folien, Formularen und Dokumenten zu variieren und die Schülerinnen wissen auch, wie sie diese Dinge effizient einsetzen können.

    Zwei Wochen nach Beginn des neuen Schuljahres ging Israel in den zweiten Lockdown. Unsere Schule hat einen ziemlich guten neuen Stundenplan ausprobiert: Wir machen vor allem Doppelstunden. Die erste Stunde ist immer eine Zoomstunde, die zweite eine asynchrone Aufgabe. Alle Aufgaben werden im Google-Klassenzimmer veröffentlicht. Am Anfang jeder neuen Stunde versuchen wir ein Zoomspiel durchzuführen, um soziale Kontakte aufrechtzuerhalten. In letzter Zeit haben sich die Corona-Regeln etwas entspannt, so dass sich gelegentlich eine halbe Klasse im Freien mit ihrem Klassenlehrer treffen darf.

    Ich habe festgestellt, dass ich im Unterricht von Angesicht zu Angesicht viele verschiedene Dinge mache, im Online-Unterricht konzentriere ich mich aber auf eine zentrale Aktivität. Ich hatte anfangs das Gefühl, dass wir mit dem Online-Unterricht vielleicht in eine neue Welt eintreten, in der das Lernen in die Verantwortung der Schüler fällt und wir wie Fahrlehrer auf dem Beifahrersitz sitzen und anleiten. Heute denke ich, etwas davon ist tatsächlich wahr geworden.“

     

    Tsipi Sandler Lehrerin
    Michele Rossoni Rosa

    „Viele Schüler haben schon Probleme damit, überhaupt ins Internet zu kommen“

    Michele Rossoni Rosa (43), Lehrerin am Städtischen Ausbildungszentrum Paulo Freire, Porto Alegre (Brasilien)

    Fach: Geschichte

    Klassenstufen: 6 bis 9

    „Viele Schüler und Lehrer hielten die Präventivmaßnahmen, die ich und sonst nur wenige Schulen schon zu Beginn der Pandemie praktizierten, für übertrieben. Es gab Kommentare, dass das Corona-Virus eine ,chinesische Lüge‘ sei, geschaffen, die Weltwirtschaft zu Fall zu bringen. Als im März in Brasilien der Präsenzunterricht abgesagt wurde und die Quarantäne begann, waren wir in vielerlei Hinsicht nicht vorbereitet. Wir hatten keine offizielle Plattform, die uns digital mit den Schülern verbinden würde. Wir haben angefangen, mit Hilfe von Facebook, WhatsApp, Google Meet, Zoom, E-Mail und auch Telefon zu unterrichten. Pandemie hieß für uns ,Notfalllernen‘. Erschwerend hinzu kam noch, dass ich meine Schüler eigentlich kaum kannte, denn wir hatten vor Corona erst einen gemeinsamen Monat Präsenzunterricht. Die Schüler versuchen weiter online zu lernen, aber viele von ihnen haben schon Probleme damit, überhaupt ins Internet zu kommen.“

    „Die Regierung war eine absolute Katastrophe“

    Damien Mackinney (51), stellvertretender Schulleiter und Lehrer an der St. Michael’s Church of England High School in Rowley Regis (Großbritannien)

    Fächer: Informatik und Wirtschaft

    Klassenstufen: 7 bis 11

    „Das britische Bildungsministerium hat seit Beginn der Pandemie eine Reihe entsetzlicher Entscheidungen getroffen, die auf der Annahme beruhen, dass Lehrer keine Arbeit leisten und nur darauf warten, dass andere etwas tun. Im März wurden die ersten Schulen in Teilen geschlossen, in Pressekonferenzen hat die Regierung Entscheidungen mitgeteilt, bevor überhaupt die Schulleiter Einzelheiten wussten. Ein Beispiel: In der Woche vor Weihnachten ordnete das Bildungsministerium an, dass die Schulen bis Weihnachten geöffnet bleiben sollen. Am selben Tag forderte der Gesundheitsminister aber alle auf, sofort zu Hause zu bleiben, wenn sie ihre Familien an Weihnachten sehen möchten. Die Regierung war eine absolute Katastrophe und hat die Schulen und uns Lehrer so aussehen lassen, als wären wir schuld daran. Dabei haben wir während der Pandemie unseren Beruf neu erfunden. Ich musste plötzlich strenge Sitzpläne, bei denen die Schüler viel Abstand halten können, entwickeln. Ich habe eine halbe Klasse in der Schule unterrichtet, während die andere Hälfte zu Hause arbeiten musste, ich habe alle zu Hause unterrichtet oder alle im Google-Klassenzimmer. Und ich weiß immer noch nicht, wie wir die Schüler im Sommer überhaupt benoten sollen.

    Für Schulleiter ist es noch schlimmer. Meine Frau leitet fünf Grundschulen und arbeitet seit Anfang März jeden Tag ohne Pause. Das sind mehr als 270 Arbeitstage am Stück. In der Woche vor Weihnachten wurde uns mitgeteilt, dass die Corona-Massentests von Lehrern und Schülern vom Schulpersonal durchgeführt werden sollen. Es wird dafür niemand vom Gesundheitsamt in die Schulen kommen. Wo denkt die Regierung, sollen wir diese Zeit noch hernehmen?“

    Damien Mackinney
    Astrid Kallenbach-Gustavson

    „Plötzlich ist man als Lehrer rund um die Uhr erreichbar“

    Astrid Kallenbach-Gustavson (44), Lehrerin an der Tastarustå Schule in Stavanger (Norwegen)

    Fächer: Deutsch, Theater, Musik und Sport

    Klassenstufen: 8 bis 10

    „Der totale Lockdown im März hat uns Lehrer, aber auch die Schüler zu einem Crash-Kurs im Anwenden von digitalen Kommunikationsplattformen und unterschiedlichen Lernprogrammen gezwungen. In Norwegen haben die meisten Kommunen in den letzten Jahren eine Digitalisierung an den Schulen vorangetrieben, so dass alle Schüler einen eigenen Laptop zur Verfügung haben. Dies erleichterte die Umstellung auf ausschließlich digitalen Unterricht enorm.

    Ich habe festgestellt, dass das Erstellen von schriftlichen Arbeiten und Projekten, aber auch die mündliche Kommunikation in Chatgruppen, besonders gut für schulstarke und selbständig arbeitende Schüler funktioniert. Schüler, die die nahe Relation zu Lehrern brauchen, die zu Hause keine Arbeitsruhe finden oder die Lernschwierigkeiten haben, haben größere Probleme, dem Unterricht zu folgen. Für uns Lehrer bedeutet der Lockdown eine enorme Mehrarbeit: alle Unterrichtseinheiten müssen schriftlich erstellt werden, jede Rückmeldung und das Beantworten von Fragen, was normalerweise im Klassenkontext stattfindet, erfolgt eins zu eins. Jede schriftliche Arbeit muss kontrolliert werden und eine schriftliche Rückmeldung gegeben werden. Schüler, die tagsüber aus unterschiedlichen Gründen nicht am Unterricht teilnehmen können, erhoffen Hilfestellung am Nachmittag oder Abend. Plötzlich ist man als Lehrer rund um die Uhr erreichbar, wenn man nicht deutliche Grenzen setzt.

    Die Mehrarbeit ist nicht weniger geworden. Als Lehrer muss ich mich schnell und flexibel an neue Richtlinien und Situationen anpassen können. Je nachdem, ob eine Klasse aufgrund von Corona-Ansteckungen in Quarantäne ist, wechsle ich zwischen ,Vorort – Unterricht‘ und ,Digital – Unterricht‘. Dabei darf ich nicht vergessen, Arbeitsblätter oder digitale Tafelbilder ins Netz zu stellen, damit Schüler, die wegen Krankheit zu Hause sind, trotzdem Schularbeiten erledigen können. Zusätzlich bin ich als Lehrer ein ,Hygienepolizist‘, der die Schüler zur Handhygiene anweist, Oberflächen, Materialien und Sportausrüstung desinfiziert.

    Aufgrund strengerer Regeln bezüglich Ansteckungsgefahr, müssen wir häufiger Lehrer vertreten, die wegen eigenen Krankheitssymptomen oder kranken Kindern zu Hause bleiben müssen. Die Einschränkungen des Pandemie- Lockdowns, der verminderte soziale Kontakt, das Absagen von klassenübergreifenden Projekten wie zum Beispiel Theater- und Musicalaufführungen, Schulsportmeisterschaften und anderen Veranstaltungen, führt nach meinen Beobachtungen zu einer Zunahme von depressiven Verstimmungen und Ängsten bei unseren Schülern. Außerdem verursacht die allgegenwärtige Corona-Gefahr Angst und Unsicherheit bei jenen, die Angehörige der Risikogruppe haben. Diese Schüler müssen besonders sensibel unterstützt werden. Zum Glück zeigen viele Schüler eine gute Anpassungsfähigkeit, Flexibilität und zum Teil eine hohe Resilienz und bringen zum Ausdruck, dass sie Unterricht in der Schule bevorzugen, weil sie so tagsüber ihre Freunde und Mitschüler treffen können. Ich bevorzuge auch den aktiven Unterricht im Klassenzimmer, weil keine Technologie das Zwischenmenschliche zwischen Lehrer und Schülern ersetzen kann. Auch wenn ich damit in Kauf nehme, dass ich täglich mehr Menschen treffe und somit einer größeren Ansteckungsgefahr ausgesetzt bin.“

    Nach oben